König Theseus sieht doppelt
Eine gesamte Oper auf eine einzige Schellack-Platte zu bekommen, war Darius Milhauds Ehrgeiz – obwohl seine Stoffe den griechischen Sagen entstammten. Beim Carinthischen Sommer in Ossiach (Kärnten) funktionieren diese "Minutenopern" durchaus.
Die Vorherrschaft der deutschen Musik, insbesondere die Richard Wagners, lehnte die 1920 gegründete, den Surrealisten nahestehende "Groupe de Six", zu der auch der Komponist Darius Milhaud gehörte, kategorisch ab. Als Milhaud daher 1927 von Paul Hindemith aufgefordert wurde, für das Kunstfest Baden-Baden eine Kurzoper einzureichen, war sein Entwurf mit neun Minuten nicht nur der allerkürzeste (Kurt Weills "Mahagonny-Songspiel" zum Beispiel dauerte 30 Minuten), sondern auch zugleich ein Gegenentwurf zu Richard Wagners 15 Stunden langem "Ring der Nibelungen": Der neun Minuten langen"Entführung der Europa" folgten zwei weitere Opern "Der befreite Theseus" (das ist die Geschichte Phädras) und "Die verlassene Ariadne", wodurch also in 30 Minuten der gesamte Theseus-Sagenkreis von der Geburt des Minotaurus bis zum Tod von Theseus Sohn Hippolytos abgehandelt wurde.
Trotz der Kürze der Zeit wird die Handlung durchaus personenreich und in vielen traditionellen Opernnummern, in Duetten, Arien, Chören, Ensembles, erzählt – Ausrufe und kurze Sätze wie "Ich fliehe!" müssen für eine Arie reichen. Eine gesamte Oper auf eine einzige Schellack, auf der man ja höchstens 15 Minuten Musik pressen konnte, zu bekommen, war Milhauds Ehrgeiz – eine vorweggenommene Musikvideoclip-Ästhetik also. Der Librettist, der Diplomat Henri Hoppenot, hat sehr dezent einige kabarettistische Einfälle einfließen lassen. Den Chor lässt er meist als Kühe muhen und die Aussetzung der Ariadne ist ein Alkoholproblem König Theseus. Er sieht doppelt und glaubt fälschlicherweise mit Phädra auch Ariadne mitgenommen zu haben.
Titus Hollweg inszeniert die Minutenopern sehr stilisiert in einem Bühnenbild und Kostümen, die ausschließlich aus weißem Papier bestehen – die Nähe zu den Kunstbemühungen der Surrealisten wird dadurch deutlich. Gespielt wird in der Mitte eines neuen Konzertsaals, dem Alban-Berg-Saal, denn ein Theatergebäude hat der Carinthische Sommer nicht zur Verfügung. Deshalb auch pflegt das Festival kontinuierlich - oft durch Auftragswerke - die moderne "Kirchenoper", ein Genre, das vor allem durch die Werke Benjamin Britten bestimmt scheint. Auch diesmal wechselt der Besucher vom Konzertsaal in die barocke Stiftskirche Ossiach, wo szenisch eine Kantate Milhauds "Die Rückkehr des verlorenen Sohnes" , Text: Andé Gide, gegeben wird. Frömmelnd sind diese Kirchenopern keineswegs, zumal Gide ja sogar auf dem katholischen Index der verbotenen Bücher stand.
Der heimgekehrte verlorene Sohn, so die Pointe der Oper, muss sich zwar vor seinem zu Hause gebliebenen zweiten Bruder rechtfertigen, einem dritten rät er aber, so wie er einst schleunigst auszureißen. Verhandelt wird das Problem, ob die Kinder zu Hause bleiben sollen oder nicht, an einem Esstisch der 50er-Jahre, der unter dem Altar aufgestellt ist. Musikalisch überzeugt das 1917 für Rio de Janeiro komponierte Werk weniger, der Dirigent Emanuel Schulz hat zu Milhauds auch Barockmusik von Jean Baptist Lully einmontiert. Auch den Minutenopern ist ein kurzes Werk vormontiert, eine Uraufführung "Neige sur le fleuve". Milhaud hatte dieses Werk 1960 dem Vater des Festspielintendanten Thomas Daniel Schlee, Alfred Schlee, dem früheren Verlagsleiter der Universaledition, gewidmet.
Der Carinthische Sommer führt mit seinem Milhaud-Schwerpunkt in mehreren Konzerten auch dieses Jahr wieder eine ein wenig aus der Mode gekommen Moderne vor, die es aber, wie die Minutenopern zeigen, durchaus neu zu entdecken lohnt.
Homepage des Festivals Carinthischer Sommer
Trotz der Kürze der Zeit wird die Handlung durchaus personenreich und in vielen traditionellen Opernnummern, in Duetten, Arien, Chören, Ensembles, erzählt – Ausrufe und kurze Sätze wie "Ich fliehe!" müssen für eine Arie reichen. Eine gesamte Oper auf eine einzige Schellack, auf der man ja höchstens 15 Minuten Musik pressen konnte, zu bekommen, war Milhauds Ehrgeiz – eine vorweggenommene Musikvideoclip-Ästhetik also. Der Librettist, der Diplomat Henri Hoppenot, hat sehr dezent einige kabarettistische Einfälle einfließen lassen. Den Chor lässt er meist als Kühe muhen und die Aussetzung der Ariadne ist ein Alkoholproblem König Theseus. Er sieht doppelt und glaubt fälschlicherweise mit Phädra auch Ariadne mitgenommen zu haben.
Titus Hollweg inszeniert die Minutenopern sehr stilisiert in einem Bühnenbild und Kostümen, die ausschließlich aus weißem Papier bestehen – die Nähe zu den Kunstbemühungen der Surrealisten wird dadurch deutlich. Gespielt wird in der Mitte eines neuen Konzertsaals, dem Alban-Berg-Saal, denn ein Theatergebäude hat der Carinthische Sommer nicht zur Verfügung. Deshalb auch pflegt das Festival kontinuierlich - oft durch Auftragswerke - die moderne "Kirchenoper", ein Genre, das vor allem durch die Werke Benjamin Britten bestimmt scheint. Auch diesmal wechselt der Besucher vom Konzertsaal in die barocke Stiftskirche Ossiach, wo szenisch eine Kantate Milhauds "Die Rückkehr des verlorenen Sohnes" , Text: Andé Gide, gegeben wird. Frömmelnd sind diese Kirchenopern keineswegs, zumal Gide ja sogar auf dem katholischen Index der verbotenen Bücher stand.
Der heimgekehrte verlorene Sohn, so die Pointe der Oper, muss sich zwar vor seinem zu Hause gebliebenen zweiten Bruder rechtfertigen, einem dritten rät er aber, so wie er einst schleunigst auszureißen. Verhandelt wird das Problem, ob die Kinder zu Hause bleiben sollen oder nicht, an einem Esstisch der 50er-Jahre, der unter dem Altar aufgestellt ist. Musikalisch überzeugt das 1917 für Rio de Janeiro komponierte Werk weniger, der Dirigent Emanuel Schulz hat zu Milhauds auch Barockmusik von Jean Baptist Lully einmontiert. Auch den Minutenopern ist ein kurzes Werk vormontiert, eine Uraufführung "Neige sur le fleuve". Milhaud hatte dieses Werk 1960 dem Vater des Festspielintendanten Thomas Daniel Schlee, Alfred Schlee, dem früheren Verlagsleiter der Universaledition, gewidmet.
Der Carinthische Sommer führt mit seinem Milhaud-Schwerpunkt in mehreren Konzerten auch dieses Jahr wieder eine ein wenig aus der Mode gekommen Moderne vor, die es aber, wie die Minutenopern zeigen, durchaus neu zu entdecken lohnt.
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