Kochen mit Physik

Rezensiert vcn Christine Westerhaus |
Auch wenn manche Menschen vielleicht beim Kochen und Backen das Gefühl bekommen: Hinter den gewissen Küchentricks steckt keine höhere Kunst, sondern schlichtweg nüchterne Physik. Die Grundlagen der wichtigsten Küchenkniffe erklärt Thomas Vilgis in seinem Buch „Die Molekül-Küche“.
Ein Steak brät in einer Pfanne. Ein Vorgang, der sich tagtäglich in Deutschlands Küchen wiederholt. Wir legen das Fleisch ins heiße Fett und überlassen es seinem Schicksal. Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass da vielleicht gerade spannende Dinge in der Pfanne passieren. Doch genau das ist der Fall: Das Fleisch wechselt seine Farbe von rot zu braun, fängt an, wunderbar zu riechen und wird gar.

Für diese kleinen Wunder beim Kochen und Braten will uns Thomas Vilgis mit seinem Buch „Die Molekül-Küche“ begeistern. Denn er erklärt uns, welche physikalischen und chemischen Besonderheiten hinter diesen Veränderungen stehen. Und er gibt uns Antworten auf Fragen, die wir uns vielleicht noch nicht gestellt haben, die aber trotzdem interessant sind. Zum Beispiel die nach dem Schicksal des Steaks in der heißen Pfanne.

„Während des Bratens und Backens verbinden sich bei relativ hohen Temperaturen, ab etwa 100 °C, aber richtig effektiv erst bei 150-180° C, die im Fleisch oder Brot enthaltenen Zuckermoleküle mit den Aminosäuren der Eiweißmoleküle. Die Folge ist sichtbar: Es entstehen dunkle Farbstoffmoleküle oder Pigmente, die so genannten Melanoidine. Sie sind letztlich verantwortlich für die uns vertraute Farbe und die Knusperkruste von gebratenen, gebackenen und gerösteten Lebensmitteln. Bei der Verbindung zwischen den Zuckern und Proteinen spalten sich zahlreiche flüchtige Aromastoffe ab, die sehr schnell in unsere Nase wandern. Deshalb nehmen wir sofort jeden Röstduft, sei es von Brot, Pommes Frites oder Fleisch sofort und unwiderstehlich wahr.“

Der Autor gibt dem Leser keine Anleitung zum wissenschaftlichen Kochen, sondern geht den alltäglichen Küchen-Phänomenen auf den Grund. Und erklärt uns dabei die physikalischen und chemischen Grundlagen des Kochens. Das Schöne daran ist, dass man das gelernte Wissen beim nächsten Koch-, Brat- oder Backversuch nachvollziehen kann. Die Rezepte dafür liefert der Autor gleich mit. Und zwar direkt in den entsprechenden Kapiteln – zum Beispiel die Anleitung für die perfekte Senfkruste eines Schweinebratens.

„Für die Senfkruste ist es ratsam, einen grobkörnigen Senf zu nehmen. Die groben Körner unterstreichen bei dem Gericht nicht nur seine robuste Note, sie halten auch Ofenhitze besser aus als die glatten, feinen Senfarten. (…) Es wird ihnen köstlich munden. Und kein Röststoff ist dem Wundermittel Senf chemisch gewachsen. "

Dass der Autor, der als Physikprofessor am Max-Planck Institut für Polymerforschung arbeitet, selbst ein Gourmet ist, merkt man seiner Sprache an: So schwärmt er beispielsweise von „hinreißendem Tomatenkaviar“ und von „schmelzender Schokolade, die Zunge und den Gaumen erfüllt“. Keine Frage: Vilgis macht dem Leser Lust aufs Essen. Aber eben auch auf das Experimentieren in der Küche. Und so schlägt er dem Leser beispielsweise vor, den Spinat doch zur Abwechslung mal mit Parmesan zu servieren. Nach der Lektüre dieses Buchs sieht man die kulinarische Welt plötzlich mit ganz anderen Augen. Gebannt beobachtet man zum Beispiel beim Eiweiß schlagen, wie sich die kleinen Bläschen zu einem festen Schaum verbinden.

Die Erklärungen des Autors sind überwiegend gut verständlich, wenn auch zum Teil anspruchsvoll. Durch den lockeren und teilweise amüsanten Sprachstil bekommt dieses Buch jedoch einen guten Unterhaltungswert. Und selbst diejenigen Leser kommen auf ihre Kosten, die sich nicht übermäßig für das Kochen interessieren: Denn langweilig wird die „Molekülküche“ nie – dank der vielen anschaulichen Beispiele und Abbildungen und nicht zuletzt wegen des leicht ironischen Tonfalls.

Die Phänomene, die Thomas Vilgis beschreibt, sind keine Geheimnisse und er ist auch nicht der erste, der ein Buch darüber schreibt. Trotzdem lohnt sich die Lektüre der „Molekül-Küche“. Zum einen, weil dieses Buch sehr allgemein gehalten ist und die physikalischen Vorgänge beim Kochen gut verständlich und unterhaltsam erklärt. Zum anderen, weil Vilgis den Leser durch leckere Rezepte dazu animiert, das gelernte Wissen gleich in die Tat umzusetzen. Den Zeitgeschmack hat der Autor mit seinem Buch in jedem Fall gut getroffen.


Thomas Vilgis: Die Molekül-Küche
Physik und Chemie des feinen Geschmacks
Hirzel Verlag, 216 Seiten, 19,80 €