Koch plädiert für Regionalisierung der Langzeitarbeitslosen-Vermittlung

Hessens Ministerpräsident Koch hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über eine Neuregelung der Betreuung von Hartz-Vier-Empfängern begrüßt. Es sei sinnvoll, die Zuständigkeit für die Arbeitsverwaltung vollständig an die Kommunen zu übertragen, sagte Koch. Gerade bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen gehe es nicht nur um die Qualifikation, sondern auch um die Frage des sozialen und familiären Umfelds.
Birgit Kolkmann: In 69 Kommunen läuft es ganz anders, dort geht es auch ganz ohne den Bund. Diese Gemeinden arbeiten nach dem sogenannten Optionsmodell und würden sich auch jetzt wieder so entscheiden, also: große Zufriedenheit mit der Betreuung aus einer Hand. Hessens Ministerpräsident Roland Koch, CDU, hatte sich vor drei Jahren stark gemacht, vor allen Dingen für dieses Modell. Er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!

Roland Koch: Guten Morgen, Frau Kolkmann.

Kolkmann: Herr Koch, fühlen Sie sich jetzt bestätigt?

Koch: Ja, ich fühle mich bestätigt. Rechthaberei ist in der Politik nicht besonders hilfreich, aber wir haben damals in der Diskussion ja schon heftig über diese Frage, die das Bundesverfassungsgericht jetzt entschieden hat, gerungen. Herr Kollege Clement, damals als der Bundesarbeitsminister, war ja nicht bereit, eine klare Trennung durchzuführen und hat dann dieses Modell durchgesetzt, und ich bin sehr froh, dass es uns damals gelungen ist, wenigstens für 69 Landkreise und kreisfreie Städte in Deutschland diese Optionschance zu geben. Wir sehen jetzt, die arbeiten mit hoher Motivation, großem Erfolg, und deshalb gibt es jetzt in dieser Gesetzgebungsdebatte überhaupt die Chance zu sagen: Lasst das die Kommunen machen. Das ist keine theoretische Sache mehr, sondern wir haben Gott sei Dank in den letzten Jahren Erfahrung gewonnen und jetzt wird es darüber sicherlich eine sehr heftige Debatte geben von verschiedensten Fronten.

Kolkmann: Das war ja ein ganz erbitterter politischer Streit damals, Sie haben gerade auch noch mal daran erinnert. Nun hat aber Karlsruhe gerade diese Doppellösungen gekippt. Ist das für die damals beteiligten Politiker im Nachhinein auch eine Blamage, weil alles doch irgendwie mit einer heißen Nadel gestrickt wurde, wie es zumindest Berlins Sozialsenatorin gestern sagte?

Koch: Na, ob es eine heiße Nadel ist, das habe ich eigentlich nicht den Eindruck gehabt, aber es war die letzte Chance eines Ausweges, der ja auch vom Bundesverfassungsgericht durchaus unter der Hinsicht gewürdigt worden ist, zu sagen, man versteht, warum man den Weg gegangen ist, will aber die Grundsätze der Trennung aufrecht erhalten, weil eben die sozialdemokratischen Kollegen unter gar keinen Umständen damals bereit waren, Verantwortung an die Kommunen aus der Bundesregierungssicht abzugeben, und wir, auch ich persönlich, unter gar keinen Umständen bereit waren - das gebe ich gerne zu -, zu sagen, wir machen dort eine zentrale Verantwortung. Man muss immer im Hinterkopf haben: Die Niederlande haben, kurz bevor wir das Gesetzgebungsverfahren hatten, entschieden, sie übergeben das den Kommunen, weil die Niederlande zu groß sind, dass man das einheitlich organisieren kann. Und ich finde, da sollten wir als Deutsche auch vorsichtig sein. Wir sind ein riesiges Land.

Kolkmann: Im Vergleich zu den Niederlanden.

Koch: Auf jeden Fall. Wir müssen nicht von einer zentralen Behörde bis zur letzten Maschinenausstattung, Personalverhalten und alles vorgegeben bekommen. Die Kommunen sind tolle Einrichtungen mit tollen Leuten, die können das machen, und die wissen vor Ort bei Langzeitarbeitslosigkeit sehr viel besser, wie sie das lösen müssen.

Kolkmann: Nun haben ja gestern die Landkreise auch schon gefordert, dass sie nun alles selber machen möchten am liebsten. Da gibt es auch wieder Kritik, nun wird gesagt, da überschätzen sich auch manche Kommunen, nicht alle hätten den Sachverstand, den auch Vertreter der Bundesagentur dann mitbringen. Also, das Optionsmodell ist nicht für jeden etwas.

Koch: Ich glaube, dass alle Kommunen in der Lage sind, sich diese Kenntnisse anzueignen. Sicherlich gibt es da Landkreise oder kreisfreie Städte, die erfahrener sind. Es ist ja auch ein Streit unter den Kommunen, das muss man fairerweise sagen. Die Landkreise teilen diese Position, die ich nenne, sehr stark, bei den kreisfreien, großen Städten ist das sehr viel unterschiedlicher, weil gerade diese Frage, traut man sich das zu, im Hintergrund steht. Dennoch: Langzeitarbeitslosigkeit unterscheidet sich ja von der normalen Kurzzeitarbeitslosigkeit dadurch, dass sie nicht mehr so stark an der Berufsqualifikation des Einzelnen hängt, sondern sehr viel mehr an Lebensumständen - dass mehr getan werden muss, als nur den neuen Arbeitgeber zu suchen, dass es häufig Fragen von Qualifikationen sind, dass es eine Frage ist, dass man das familiäre und soziale Umfeld bedenken muss, dass man durchaus mit Menschen zu tun hat, die oft jahrelang nicht mehr in einen regelmäßigen Arbeitsprozess integriert waren. Das ist ja der Grund, warum wir sagen: Das muss man dezentral machen. Man muss den einzelnen Menschen sehr genau anschauen. Es betrifft nur 10 bis 15 Prozent der Menschen, die in einem Jahr arbeitslos werden, alle anderen kann man mit großen zentralen Computern der Bundesagentur mit Vermittlungen über Landesgrenzen und Stadtgrenzen hinaus sehr viel besser und schneller vermitteln und das muss die Bundesagentur auch tun. Aber dort, wo es um das Individuum geht, wo man sich wirklich um die Person kümmern muss, da gehört eine dezentrale Einrichtung hin. Das, glaube ich, ist auch für die Zukunft richtig.

Kolkmann: Sie sprechen also von der klassischen Sozialarbeit und Sozialbetreuung. Wie kann man denn nun das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes umsetzen? Gibt es pragmatische Lösungen, dass man sagt, okay, es bleibt bei den Häusern, den sogenannten Jobcentern oder ARGEN, und auf der einen Seite des Flurs gibt es das Arbeitslosengeld II und auch Jobangebote, und auf der anderen Seite des Flures gibt es Wohngeld und Sozialberatung? Manche von den Jobcentern arbeiten ja schon so, wie zum Beispiel Heilbronn.

Koch: Ich glaube, das Minimum wäre, dass das, was wir bisher mit den 69 Optionskommunen gemacht haben, geöffnet wird, dass jeder, der jetzt aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes und seinen eigenen Erfahrungen sagt, wir wollen das so machen, wie das in den 69 Landkreisen und Städten gemacht wird, dass sie das Recht dazu bekommen. Es gibt keinen Grund mehr, es nicht zu tun, die Kommunen sind zufrieden damit, der Bund kann sehen, dass das, was dort geleistet wird, nicht schlechter, sondern im Zweifel eher ein bisschen besser ist als das, was in den eigenen Einrichtungen geleistet wird, er muss keine Angst haben um sein Geld. Also - öffnen für alle, die das selbst machen wollen, sollen es selbst tun.

Kolkmann: Und die anderen?

Koch: Die anderen, die sich dafür nicht entscheiden, werden sich mit einem solchen Modell arrangieren müssen, dass auf der einen Seite des Gangs das eine und auf der anderen das andere gemacht wird, aber man muss wissen, das bedeutet, dass aus den zwei Gängen auf Dauer zwei Häuser werden werden. Denn Behörden haben ihre Eigendynamik, das haben wir nun 60 Jahre lang wieder geübt in Deutschland, dass wir das nicht hinbekommen, dass die dann zusammenarbeiten, wenn sie nicht eine Behörde sind. Das muss jede Kommune selbst tragen. Wenn das vor Ort so entschieden wird, dann, finde ich, ist der Respekt vor der Selbstverwaltung auch wieder groß genug, dann muss man das hinnehmen. Aber die, die es sich zutrauen, dürfen vom Bund nicht länger gehindert werden, das zu machen, und es darf da keinen Rückschritt in den Zentralismus geben, nach dem Gesetz. Das wäre ganz schlecht für die Menschen, die lange arbeitslos sind, denn Zentralismus verlängert die Zeit, die sie brauchen, um wieder Arbeit zu finden, und deshalb darf man das jetzt nicht aus dem Bundesverfassungsgericht heraus ablesen.

Kolkmann: Das war Hessens Ministerpräsident Roland Koch von der CDU über die Konsequenzen aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Hartz IV-Reform. Vielen Dank für das Gespräch in der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur.
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