Koalitionsvertrag

Von der Vernunft, endlos zu verhandeln

Bundeskanzlerin Angela Merkel blättert im neuen Koalitionsvertrag.
Bundeskanzlerin Angela Merkel blättert im neuen Koalitionsvertrag. © picture-alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Von Gregor Sander · 27.11.2013
"Wir wollen darauf hinwirken" und "werden dafür sorgen": Auf Wunschlisten und auch manch Konkretes im Koalitionsvertrag blickt die FAZ. Die Süddeutsche schreibt darüber, wie der jugendliche Sensations-Dichter Yahya Hassan in Dänemark eine neue Offenheit ins Spiel bringt.
Kultur wie immer zuletzt?, fragt Rüdiger Schaper im Berliner TAGESPIEGEL und antwortet gleich selbst: Das kann man vom Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD nicht sagen. Er umfasst 185 Seiten, die Einlassungen zur Kultur stehen auf den Seiten 128 bis 132, und sie hat ein eigenes Kapitel.
Hanns Georg Rodek von der WELT nimmt diese fünf Seiten erst einmal sprachlich unter die Lupe: Die Sprache solcher Verträge wimmelt von "soll geprüft werden" (noch schwächer als "wird geprüft"). Überall "soll entwickelt werden", will man "verstärken", und es wird unglaublich viel "unterstützt", "vorangetrieben" und sich "bekannt".
Jürgen Kaube von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG bemängelt etwas ganz anderes: Inwiefern also gehörte es diesmal zur Vernunft, so endlos zu verhandeln? Zumal wenn das Ergebnis sich in vielen Passagen wie eine Aufnahme der Wünsche aller liest. Auch der unsinnigsten wie der Vermittlung von "IT-Fertigkeiten" in Kitas. Good luck, die Weiterbildungslobby wird’s freuen. Es geht natürlich auch einige Zeit drauf, wenn man in einen Koalitionsvertrag Sätze wie den aufnimmt: "Wir wollen darauf hinwirken, dass deutlich mehr Fahrradfahrer Helm tragen."
Der Koalitionsvertrag wird aber auch konkret. Beispielsweise beim Urheberrecht im Internet: "Wir werden dafür sorgen", heißt es mit ungewohnter Bestimmtheit an die Adresse von Plattformen, deren Geschäftsmodell auf Urheberrechtsverletzung beruht, "dass sich solche Diensteanbieter nicht länger auf das Haftungsprivileg zurückziehen können und insbesondere keine Werbeeinnahmen mehr erhalten." Der Verbraucher soll bei der Nutzung digitaler Inhalte von seinen Endgeräten nicht eingesperrt und der verminderte Mehrwertsteuersatz auf Hörbücher ausgedehnt werden, und die Buchpreisbindung sei "essenziell für die Erhaltung der Vielfalt". Das sind doch mal ein paar klare Ansagen, meint Hanns Georg Rodek in der WELT.
In Dänemark ist ein Gedichtband zur literarischen Sensation des Jahres geworden. Der Autor, Yahya Hassan, ist 18 Jahre alt und in Aarhus geboren. Thomas Steinfeld berichtet in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG von einer ungewöhnlichen Lesung in Odense: Die Veranstaltung war aus einer städtischen Bibliothek in die alleinstehende Turnhalle eines Gymnasiums verlegt worden, mehrere Hundertschaften der Polizei hatten die Halle schon am Morgen abgeriegelt, über der Schule war ein Flugverbot mit einem Radius von fünf Kilometern verhängt worden. Die gesamte Veranstaltung von knapp zwei Stunden Dauer wurde live im zweiten Programm des staatlichen dänischen Fernsehens übertragen.
Der junge Dichter Yahya Hassan während einer Lesung im dänischen Vollsmose. Sein Gedichtband sorgte nach der Veröffentlichung im Oktober 2013 für eine Debatte über Immigranten und Rassismus in Dänemark.
Der junge Dichter Yahya Hassan während einer Lesung im dänischen Vollsmose.© dpa / Thomas Lekfeldt

Das Buch, das die dänische Gesellschaft so bewegt, beschreibt Steinfeld in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG als eines: in dem der Autor, Kind palästinensischer Flüchtlinge, in ebenso lyrischer wie offener Weise von seiner Kindheit und Jugend in einem muslimischen, weitgehend sozialstaatlich finanzierten Milieu erzählt, von prügelnden, bigotten Vätern, von Müttern, die kein Dänisch können, von einer frühen Karriere als Dieb und Räuber und von Dänen, die ihren Einwanderern in puncto Rassismus wenig nachstehen.Einen selbstbewussten jungen Dichter hat Steinfeld in Odense erlebt und ein euphorisches Publikum: Endlich, so sprachen viele danach in die Fernsehkameras, werde in diesem Land offen darüber gesprochen, was man von einander wolle und was einen aneinander störe.Ebenfalls in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG trauert Karl Lippegaus um den Jazz-Schlagzeuger Chico Hamilton: Mit seinem Miniorchester propagierte er einen offenen, frei fließenden Stil: keine Protestmusik, keine parfümierte Unterhaltung, sondern ein Aufbruch in Freiräume, die bald zu einem neuen Status quo wurden, den Free Jazz möglich machten. Doch Film blieb immer Chico Hamiltons Schlüssel zum großen Publikum. Roman Polanski bestellte 1962 die Musik für den Film "Ekel" bei ihm. zuAm Dienstagmorgen ist Chico Hamilton mit 92 Jahren in New York gestorben.
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