Koalitionsstreit über Mindestlöhne findet vorläufiges Ende

Von Martin Steinhage |
Es zeichnet einen politischen Kompromiss aus, wenn sich hinterher alle Beteiligten als Gewinner fühlen dürfen. Oder zumindest halbwegs glaubhaft den Anschein erwecken können, sie hätten die Oberhand behalten. So gesehen sind die Verabredungen der Koalition in Sachen Mindestlöhne eine gelungene Übereinkunft.
Kann doch einerseits SPD-Arbeitsminister Scholz jubeln, man habe der Union den Einstieg in flächendeckende und branchenbezogene Mindestlohn-Regelungen abgetrotzt. Während auf der anderen Seite Wirtschaftsminister Glos von der CSU für seine Seite reklamieren darf, er habe schlimmeres zu verhindern gewusst. Wie etwa die Einführung einheitlicher, bundesweiter Mindestlöhne, was die SPD ja schon lange will.

All diejenigen in der Koalition freilich, die mit den heute vom Kabinett gebilligten Gesetzentwürfen so gar nicht glücklich sind – man denke nur an den Wirtschaftsflügel der Union -, werden nunmehr auf das vom amtierenden SPD-Fraktionschef einst ebenso launig wie zutreffend formulierte "Strucksche Gesetz" vertrauen: "Keine Gesetzesinitiative verlässt das parlamentarische Verfahren so, wie sie hineingekommen ist". Soll heißen: Es ist noch viel Arbeit nötig, bis die Entwürfe zur Ausweitung des Entsendegesetztes und zur Novellierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes wirklich spruchreif sind.

Da ist noch reichlich Spielraum im Detail, den beide Seiten versuchen werden, zu ihren Gunsten auszudehnen. Die Art und Weise, wie die Minister Glos und Scholz bereits jetzt einzelne Passagen des Kompromisspapiers völlig unterschiedlich interpretieren, ist ein erster Fingerzeig auf weitere, beinharte Auseinandersetzungen.

Richtig spannend wird auch, wenn es gilt, den abstrakten Gesetzestext konkret anzuwenden, was nur neuen Streit provozieren sollte. Man denke allein an die ganz zentrale, bislang aber bewusst ausgeklammerte Frage, welche der Wirtschaftszweige, die sich um Aufnahme in das neue Entsendegesetz bewerben, dann tatsächlich aufgenommen werden? Zum Beispiel auch die Zeitarbeitsbranche, was die SPD für zwingend hält, die Union aber entschieden ablehnt - und jede Seite sich dabei auf die Gesetzentwürfe beruft…

Vor diesem Hintergrund kann ein Urteil über die getroffenen Vereinbarungen nur sehr vorläufig sein: Angesichts der fortschreitenden Erosion in der Tariflandschaft, wo in vielen Branchen und Regionen Gewerkschaften wie Unternehmerverbände einen immer geringeren Organisationsgrat aufweisen, ist es grundsätzlich zu begrüßen, wenn die Politik beim Prozess der Lohnfindung mitredet. Das nämlich kann Arbeitnehmer vor Hungerlöhnen schützen. Und Unternehmen vor Dumpinglöhnen, mit deren Hilfe sich schwarze Schafe Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Auf der anderen Seite befürchtet nicht nur das Arbeitgeberlager, dass mit dem Koalitions-Kompromiss die Tarifautonomie dauerhaft beschädigen werden könnte. Sollte dies der Fall sein, wäre der Preis dafür zu hoch. Wie die Dinge da wirklich liegen, wird sich wohl erst im Herbst zeigen, wenn der Gesetzgebungsprozess anläuft.