Koalition und Gesundheit

"Wie brauchen in absehbarer Zeit eine Lösung"

Rolf Rosenbrock im Gespräch mit Julius Stucke · 19.11.2013
Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht bei Union und SPD keine Lösung zur Finanzierung der Krankenkassen. Der Vorsitzende des Verbandes, Rolf Rosenbrock, warnt vor einer "beständig wachsenden Schere" zwischen dem Finanzierungsbedarf der Kassen und deren Einnahmen.
Julius Stucke: Die Koalitionsverhandlungen, sie sind auf der Zielgeraden, allerdings eher auf einer zeitlichen Zielgeraden nach dem Motto „Jetzt muss auch mal Schluss sein“. Eine inhaltliche Zielgerade ist da noch nicht so richtig zu sehen. Arbeitsgruppen haben auf allen wichtigen Politikfeldern verhandelt, haben teils ohne Einigungen diskutiert und längst nicht alle Punkte ausgeräumt, und so sieht es auch bei der Gesundheitspolitik aus. Und man ist zu keiner Einigung gekommen bei der Frage, wie finanziert man in Zukunft das Gesundheitssystem? Welche Vorschläge liegen für die Parteispitzen nun auf dem Tisch und was wären denn gesunde Lösungen für die Zukunft? Das kann uns Rolf Rosenbrock erklären, er forscht seit vielen Jahren zum Thema Gesundheit und hat die Politik auf diesem Feld beraten, ist mittlerweile Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und jetzt im Studio. Guten Morgen, Herr Rosenbrock!
Rolf Rosenbrock: Guten Morgen!
Stucke: Der Streitpunkt der Parteien, das ist ja besonders, wie finanzieren wir das Gesundheitssystem, wie finanzieren wir in Zukunft Kranken- und Pflegeversicherung? Ist das Ihrer Ansicht nach das zentrale Problem unserer Gesundheitspolitik?
Rosenbrock: Ja nun, das steht immer im Hintergrund und ist das große Problem, und leider werden darüber oft die Probleme der Qualität der Versorgung in den Hintergrund gerückt. Aber reden wir über die Finanzierung: Natürlich gibt es da nach wie vor die beiden großen Alternativen, die Bürgerversicherung, wo alle Menschen gleichermaßen drin versichert sind und wo nicht nur die Arbeitseinkommen zu Beiträgen herangezogen werden, sondern auch die anderen Einnahmen. Das ist an sich ein schlüssiges Modell, das ist nachhaltig finanzierbar, das stößt aber politisch auf das Problem, dass dazu die private Krankenversicherung als Vollversicherung abgeschafft werden müsste.
Das will auf keinen Fall die CDU, und das stößt zum anderen natürlich auch auf das Problem, dass auch noch die SPD und die Grünen da uneins sind und zwei Konzepte haben. Das macht es ganz schwierig. Deswegen geht es in den jetzigen Verhandlungen gar nicht um die große Lösung, sondern beide Seiten suchen nach Schritten, die konsensfähig einerseits sind, und die andererseits mit ihren nach wie vor auseinanderstrebenden Konzepten vereinbar sind.
"Deshalb brauchen wir in absehbarer Zeit eine strategische Lösung"
Stucke: Wo liegt denn aber ganz konkret noch mal das Problem? Den Kassen geht das Geld aus – wann und warum?
Rosenbrock: Nun ja, wir haben sozusagen einfach eine sinkende Lohnquote, der Anteil des Volkseinkommens, der für abhängig Beschäftigte bezahlt wird, sinkt. Dafür steigen aber zum Beispiel andere Einnahmequellen, die derzeit nicht in die Beitragspflicht einbezogen sind, und daraus gibt es eine beständig wachsende Schere zwischen dem Finanzierungsbedarf der gesetzlichen Krankenversicherung und den Einnahmen. Und das wird mit dem demografischen Wandel nicht einfacher, weil einfach der Anteil der Rentner steigt, die ja auch nicht gerade höhere Beiträge bezahlen.
Deshalb brauchen wir in absehbarer Zeit, nicht heute, nicht morgen, aber eigentlich spätestens übermorgen da wirklich eine strategische Lösung, und ich sehe nicht, wie diese Koalition sich auf eine wird einigen können.
Stucke: Also Sie sehen diese Lösung dafür nicht. Sie haben vorhin auch die Qualität genannt. Also Finanzierung ist eine Sache, aber am Ende geht es auch um die Qualität. Was ist denn in Sachen Qualität als Allerwichtigstes zu verbessern, und wie?
Rosenbrock: Wir haben zunächst mal das große Problem, dass ja nicht die großen Organtransplantationen die großen Kostenblöcke sind, sondern die stinknormale Versorgen chronisch degenerativ Erkrankter. Das sind 70 bis 80 Prozent der Krankheitskosten, und da geht nach wie vor unendlich viel Geld verloren, weil die Leute, die Menschen, die Patienten nicht ordentlich ausgeschilderte Wege durch dass System finden und vorfinden, sondern im Grunde genommen mehr dem Zufall und der Launen des Systems ausgeliefert sind.
Und bis auf die wenigen Inseln der Vernunft wie Disease-Management-Programme für ganz spezielle Erkrankungen haben wir da einfach nach wie vor ein Nebeneinander von Überversorgung, Unterversorgung und Fehlversorgung. Und das ist seit vielen Jahren so, und das ist Feinarbeit. Das kann man nicht mit einem großen Rundumschlag oder mit einem wuchtigen Schwertschlag, wie Alexander den gordischen Knoten durchtrennen – das ist richtig politische Feinarbeit.
"Das Problem der Pflege ist ja primär ein anderes"
Stucke: Sehen Sie denn da Lösungen?
Rosenbrock: Ja nun, da gibt es immer wieder gute, kleine Schritte. Es gibt auch immer wieder Rückschritte, wo dann, zum Beispiel jetzt bei der Versorgung von psychiatrischen Patienten, wiederum sehr viel zu stark auf die Klinik gesetzt wird und allein von der Klinik, vom stationären Bereich her etwas reformiert werden soll, während alle Welt, die was davon versteht, sich darüber einig ist, dass man integrierte Formen braucht. Die gibt es auch, die müsste man nur ausweiten. Aber es gibt eben auch Fortschritte, die liegen darin, wenn die Kassen mit bestimmten Versorgergruppen ordentliche Verträge abschließen, die dann eben nicht nur den Hausarzt, sondern auch den Facharzt und die Pflege und das Krankenhaus und die Sozialarbeit einschließen.
Das ist eigentlich das Versorgungsmodell der Zukunft. Wir leben nun mal in einer Gesellschaft der chronisch degenerativen Erkrankungen. Aber unser Versorgungssystem tut immer noch so, als wären wir akut krank.
Stucke: Ralf Rosenbrock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, wollen wir noch mal einen konkreten Punkt herauspicken aus den Verhandlungen, auch wenn diese derzeit gestockt sind, und zwar den Punkt Pflege. Hier will die Union den Krankenkassen die Kontrolle entziehen. Derzeit läuft es ja so, der medizinische Dienst der Krankenversicherung entscheidet, ob und welche Hilfe, welche Pflege ein Mensch braucht, welche Pflegestufe jemand bekommt, und damit ja auch, welche Leistungen bezahlt werden. Und manch einer fragt sich da, entscheidet denn gerade die Kasse das immer nach Patientenwohl oder vielleicht auch nach Kosten, die der Kasse entstehen? Und dieser medizinische Dienst, der soll also nach Unions-Vorstellungen unabhängig werden. Ist das Ihrer Ansicht nach ein wichtiger Schritt für die Pflege?
Rosenbrock: Auf den ersten Blick erscheint mir das einleuchtend zu sein, weil der MDK, also der medizinische Dienst der Krankenkasse, so wie er heute ist, ja nicht nur sozusagen ein Diener der Kassen ist, bei aller formalen Unabhängigkeit, die er hat und die auch von den dort tätigen Ärzten zum Teil wacker verteidigt wird. Aber er ist halt ein Diener der Kassen, und wenn es dann noch dazu kommt, dass verschiedene Kassen in Konkurrenz zueinander stehen und unterschiedliche Anforderungen an den MDK stellen, dann, glaube ich, ist es wirklich, wäre es angemessener, ihn unabhängig zu machen.
Aber das Problem der Pflege ist ja primär ein anderes: Einig sind sich die beiden Koalitionspartner ja, dass die Beiträge um 0,5 Prozent steigen sollen, also fünf Milliarden. Aber wofür die fünf Milliarden verwendet werden, das ist die große Streitfrage. Da will die CDU einen Kapitalstock aufbauen, was, finde ich, beim derzeitigen Stand des weltweiten Kapitalmarkts eine ziemlich abenteuerliche Idee ist, während die SPD …
Stucke: … wobei man dafür keine Zinsen bekommt und es nichts bringt, es zur Seite zu legen.
"China wird uns mit dem demografischen Wandel ganz fix überholen"
Rosenbrock: Einmal deshalb, und zum Zweiten, weil wir das Geld dann unterbringen in Ländern, die noch viel schneller als wir von dem drohenden Gespenst des demografischen Wandels eingeholt werden. China wird uns mit dem demografischen Wandel, mit der Alterung der Gesellschaft in wenigen Jahren ganz fix überholen. Und dann brauchen die das Geld auch selber und dann fallen die Zinsen weiter und, und, und.
Während die andere Seite halt sagt, wir brauchen eben die Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes, der vor allen Dingen dann nicht mehr einfach auf warm, satt und sauber als Ziel der Pflege abzielt, sondern auf Teilhabe. Sozusagen zu gucken, wie kann man jeden Pflegebedürftigen so weit wie möglich am Leben teilhaben lassen.
Stucke: Was funktioniert und was funktioniert nicht im Gesundheitssystem, und welche Lösungen haben die potenziellen Großkoalitionäre? Dazu Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Herr Rosenbaum, danke, dass Sie hier waren und einen schönen Tag!
Rosenbrock: Wünsche ich Ihnen auch!
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