Knorriger Kauz beim Linsengericht

19.04.2011
Véronique Bizot ist in Frankreich bereits durch mehrere Erzählbände aufgefallen. Für "Meine Krönung" erhielt die Autorin und Journalistin im vergangenen Jahr den "Großen Preis des Romans".
Das erste Mal fällt sein Name, als es um seinen Grabstein geht. Da ist die Geschichte bereits auf Seite 99 angelangt und fast schon vorbei. Gilbert Kaplan soll einen Preis für eine Forschungsarbeit erhalten, an die er sich nicht erinnern kann. Er ist 89 Jahre alt, lebt zurückgezogen in einer Pariser Wohnung, umgeben von einem Sammelsurium, auf das sich der Staub der Jahrzehnte gelegt hat.

Kaplan hat eine Haushälterin, die ihm Linsen kocht und auch anderweitig umsorgt. Madame Ambrunaz drängt den knorrigen Alten, den Preis anzunehmen. Ihm ist die Ehrung nur unangenehm. Der Misanthrop fühlt sich in seiner Ruhe und Abgeschiedenheit gestört. Und es ist ihm peinlich, dass er sich nicht an seine Forschungen erinnern kann. Wie peinlich, sagt allein schon seine Benennung des Preises, die zugleich der Titel des Buches ist: "Meine Krönung".

Damit ist schon der ironische bis sarkastische Tonfall angezeigt, der das Buch von Véronique Bizot auszeichnet. Kaplan soll "gekrönt" werden für ein Laborergebnis, das angeblich viele Menschen gerettet hat. Für ihn sind die Forschungen jedoch nur mit einem dunklen, schlecht beheizten Flur verbunden, mit feuchten Backsteinmauern und abgestandenem Tee. Auf diesem Zwiespalt zwischen dem Wohlklang von "Krönung" und der Tristesse im Labor, zwischen dem krönenden Abschluss eines Lebens und der Amnesie des Alters, zwischen Ideal und Wirklichkeit blühen die Humoresken bei Bizot.

Der kauzige Alte will die gewaltigen Lücken in seinem Gedächtnis füllen. Er erzählt sich selbst – in einem inneren Monolog – Details aus seinem Leben. Etwa wie er seine Frau in einem Eisenwarengeschäft kennenlernte. Sie war erpicht auf Accessoires und Gerätschaften aller Art. Auch auf einen gebogenen Spatel, den er für sein Labor brauchte. Man einigte sich, denn er war "von ihren Zähnen hingerissen". Man heiratete, zeugte einen Sohn, kaufte ein Landhaus. Sie war depressiv, "stürzte sich aus dem Fenster und hinterließ mir Schränke und Schubladen voller Sachen."

Véronique Bizot ist eine Meisterin der Verkürzung. Die 42-jährige Autorin und Journalistin ist in Frankreich bereits durch mehrere Erzählbände aufgefallen. Für "Meine Krönung" erhielt sie letztes Jahr den "Großen Preis des Romans".

Aber ist das Buch überhaupt ein Roman? In einem Roman hätte der Leser erfahren, was die Ehefrau in den Selbstmord trieb. Hier wird nur erwähnt: Sie war halt depressiv. Das Buch steckt voller überraschender Wendungen, walzt aber die Pointen nicht aus. Darin liegt die Stärke von Bizot und auch die der Novelle. Denn um eine solche handelt es sich.

Das Beste an der Novelle ist der sarkastische Blick des verbitterten Alten auf den Alltag, etwa auf Angestellte mit paniertem Fisch auf dem Teller, dem Rentenbescheid vor den Augen und der Einsamkeit im Herzen. Dieser Blick erinnert an die Gestalten von Thomas Bernhard.

Aber Véronique Bizot erlöst uns von der Verbitterung, indem sie der Hauptfigur die Haushälterin gegenüberstellt. Madame Ambrunaz lässt das Tragische ins Komische kippen. Das Linsengericht versöhnt den Alten und den Leser mit der Welt. Und auch die Hauptfigur, der Griesgram, verkörpert einen kritischen Moment des Umkippens: Der technische Fortschritt aus dem Labor führt zum gesellschaftlichen Rückschritt, die Verlängerung des Lebens zur Einsamkeit. Erträglich wird all das mit dem Humor und der Erzählkunst von Véronique Bizot.

Besprochen von Ruthard Stäblein

Véronique Bizot: Meine Krönung
Roman
Aus dem Französischen von Tobias Scheffel und Claudia Steinitz
Steidl Verlag, Göttingen 2011
127 Seiten, 16 Euro