Knochentrockener Realismus

09.06.2009
Hauptfigur Henry ist erfolgreicher Kolumnist, als ihn eine Sinnkrise und Schreibblockade erwischt. Hinzu kommt ein ausgewachsenes Beziehungsdesaster. In seinem vierten Roman operiert André Kubiczek beherzt mit Klischees aller Art, doch ein Autor in der Schreibkrise ist als Sujet nur mäßig spannend.
Wenn Schriftsteller über Schriftsteller schreiben, denen nichts mehr einfällt, ist das immer ein Alarmzeichen. Das Ringen um das nächste Buch, während der Vorschuss schon verbraucht ist, mag eine Autorenexistenz vollkommen ausfüllen. Doch so richtig spannend ist das Erzählen von der Qual des Erzählens nicht. Das ist auch bei André Kubiczek nicht anders, auch wenn er seinen vierten Roman darüber hinaus zum Liebesroman anreichert, eine kleine Krimi-Episode hineinflicht und ein Sittenbild der Berliner Künstlerboheme der Zeit um den Jahrtausendwechsel zeichnet.

Die Hauptfigur Henry macht zunächst eine rasante Karriere vom Volontär zum Starkolumnisten einer großen Tageszeitung, obwohl oder gerade weil er über nichts als Belanglosigkeiten schreibt. Henry ist eine ganz und gar uninteressante und ziemlich unsympathische Figur, ohne Haltung, ohne eigenen Blick - das macht es schwer, sich für ihn zu interessieren. Sein Erfolg ist nur der Blasenbildung am Neuen Markt zu vergleichen, wo ja auch so manche Null in astronomische Höhen hochspekuliert wurde.

Henrys erstes Buch wird zum Bestseller, und er gewöhnt sich an die Lesereise als Daseinsweise. In Korea (Goetheinstitut!) lernt er schließlich die attraktive Birte - halb deutsch, halb koreanisch - kennen. Aus einem Flirt wird eine Beziehung mit Kind, und aus der so sexy wirkenden Geliebten im Rekordtempo eine nervtötende, egoistische Mutter. Zielstrebig arbeitet sie auf Trennung hin, entzieht Henry das gemeinsame Kind und verweigert ihm das Sorgerecht. Alles, was in Väterforen und Männergruppen zu dieser Problematik nachzulesen ist, findet sich auch in diesem Roman: Alle Ungerechtigkeit der Welt entlädt sich über das arme Opfer Mann, während die Frau offenbar von Anfang an nichts anderes im Sinn hatte, als ihn als Samenspender auszunutzen.

Zum Beziehungsdesaster kommt für Henry eine ausgewachsene Schreibkrise. Alle Versuche, vielleicht doch noch ein zweites Buch zustande zu bringen, scheitern - bis hin zum tragischen Ende der Geschichte. In diesen Passagen, die mit dem unaufhaltsamen Abstieg Henrys verknüpft sind, gewinnt der Roman an emotionaler Präsenz und man hat das Gefühl, dass der Autor endlich sein Thema gefunden hat. Kubiczek schreibt niederschmetternd genaue Dialoge, die das sinnlose Hin und Her ewiger Streitereien minutiös nachbilden. Das ließe sich durchaus als neue deutsche Tragödie verfilmen - mit Til Schweiger in der Hauptrolle.

Auch in der Konfrontation verschiedener Milieus - Henrys kleinbürgerliche Eltern leben in der Nähe von Prenzlau, Birtes schwerreiche Eltern in einer Villa in Norddeutschland - entwickelt der Roman gelegentlich Dynamik und Charme. Kubiczek, 1969 als Sohn deutsch-laotischer Eltern in Potsdam geboren, operiert beherzt mit Klischees aller Art, der Problematik des "zweiten Buches" ebenso wie dem Ost-West-Thema oder der "geifernden Mutter".

"Noch wusste er nicht, worauf sein Text hinausliefe", schreibt er über seinen schreibenden Helden, doch "er merkte, wie sich die einzelnen, im Grunde banalen Szenen allmählich zu einem bedeutsamen Ganzen fügten". Das ist, kaum verhüllt, als Auskunft in eigener Sache zu lesen - ebenso wie der Hinweis, Henry statte seinen Protagonisten "probehalber mit übersinnlichen Fähigkeiten aus, da ihn der knochentrockene Realismus seiner Erzählung allmählich selbst zu langweilen begann."

Kubiczek greift zu diesem Mittel erst im Epilog, wenn er den toten Henry zu seinem Kind zurückkehren lässt. Da zeigt er, wie viel in ihm stecken würde, wenn er sich vom "knochentrockenen Realismus" und der doch eher langweiligen Autoren-Selbstbespiegelung lösen würde.

Besprochen von Jörg Magenau

André Kubiczek: Kopf unter Wasser
Piper, München 2009
240 Seiten, 18,- Euro