Knigge als Vater

09.09.2013
Knigge ging es nicht um den Löffel auf der linken Seite des Tellers, nein, Knigge wollte aufklären und verband damit eine Art Code für den gegenseitigen Umgang. Abseits dieses Codes ist Knigge wenig bekannt. Herausgeber Manfred Grätz will das ändern und stellte Briefe und Schriften zusammen über Knigges Umgang mit seiner Tochter.
Auf der Webseite "knigge.de – Manieren per Mausklick" beantwortet ein kompetentes Redaktionsteam Fragen nach der korrekten Tischordnung und bietet unter anderem Seminare zum Thema "Small Talk" an. Den ursprünglichen "Knigge", Adolph Freiherr Knigge (1752-1796), interessierten - anders als viele glauben - solche "kleinen, konventionellen Manieren" nicht besonders. Der umfassend gebildete Schriftsteller war ein verarmter Adliger, ein Aufklärer und Anhänger der französischen Revolution.

In seinem Klassiker "Über den Umgang mit Menschen" behandelt Knigge vor allem die größeren moralischen Fragen nach dem takt- und rücksichtsvollen Umgang der Menschen untereinander – und das in einer auch heute noch lesenswert pointierten Art und Weise. Daneben verfasste Knigge Romane, Satiren und pädagogische Schriften. In diesem Zusammenhang ist sein Verhältnis zu seiner einzigen Tochter Philippine besonders interessant.

Schriften und Briefe
Der Wallstein-Verlag hat nun erstmals sowohl die erhaltenen Briefe Knigges an seine damals halbwüchsige Tochter herausgegeben (ihre Antworten sind leider verloren), als auch einige Schriften von Philippine Knigge selbst. Eine solche Edition ist verdienstvoll, für die Erforscher des 18. Jahrhunderts und Knigge-Spezialisten sowieso. Sie ist aber auch ein äußerst interessantes Dokument für die Geschichte der Frauenemanzipation. Denn was sie geradezu beispielhaft zeigt, ist das maximal ambivalente Verhältnis der Spätaufklärung zur Frauenbildung.

So unterrichtet Knigge seine begabte Tochter in Fächern der höheren Bildung wie Mathematik, Philosophie und Logik, und zwar offensichtlich so intensiv, dass sie schon als 14-Jährige eine philosophische Überblicksschrift veröffentlichte. Gleichzeitig aber, und das zeigt sich in den editierten Briefen, verlangte er von ihr Hingabe an Handarbeit und Haushalt – die eigentlichen weiblichen Bestimmungen.

Philippine Knigges Werk, "Versuch einer Logik für Frauenzimmer", ist ebenfalls in dem Band abgedruckt. Philosophisch ist es nicht originell, stilistisch allerdings elegant und voller ungewöhnlich bunter und "weiblicher" Beispiele, vom Kleiderkauf bis zur Korsettfrage: "Franziske wird ihre Gesundheit einbüßen, wenn sie fortfährt, sich so enge zu schnüren" lautet etwa ein zentraler Beispielsatz, der zeigt, wie Philippine versucht, die formale Logik auf Themen der weiblichen Lebenswelt herunter zu brechen.

Angst vor der Bildung
Knigges Ambivalenz gegenüber der Bildung seiner Tochter zieht sich wie ein basso continuo durch seine Briefe: Während er einerseits sie unermüdlich zu täglichem Studium anhält, ist er andererseits voller Sorge, Philippine möge durch ihre Bildung "unbescheiden, gekünstelt, vorlaut und eitel" werden – ganz offensichtlich für das 18. Jahrhundert und sein Ideal einer bescheidenen, häuslichen Frau voll "edler Einfalt" (wie Knigge andernorts formuliert) der größtmögliche Schadensfall. Diese widersprüchlichen Bildungs- und Weiblichkeitsideale machen den Band zu einem spannenden Beispiel für das spätaufklärerische Frauenbild. Fast erstaunlich, dass Philippine Knigge später nicht nur standesgemäß heiratete und ihre Kinder versorgte, sondern sich trotz aller väterlichen Ermahnungen auch als Schriftstellerin versuchte.

Besprochen von Catherine Newmark

Adolph Freiherr Knigge und seine Tochter Philippine: Briefe und Schriften. Herausgegeben von Manfred Grätz
Wallstein Verlag, Göttingen 2013
gebunden, 244 Seiten, 22,90 Euro
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