Klug, komisch und tieftraurig

Vorgestellt von Adelheid Wedel |
Jakob Hein, 1971 in Leipzig geboren, arbeitet als Kinderarzt an der Charité Berlin und hat mit "Vielleicht ist es sogar schön" bereits sein drittes Buch vorgelegt. Wie auch in den ersten beiden beleuchtet der Sohn des Schriftstellers Christoph Hein Biografisches, diesmal aus einem ganz besonderen Blickwinkel: Das Buch, das jetzt als Hörbuch erschienen ist, beginnt mit der Nachricht, dass seine Mutter an Krebs erkrankt ist.
Kein nur trauriges Buch, stellenweise sogar richtig lustig. Oder: Ein kurzes kluges komisches und zugleich tieftrauriges Buch. So lauten zwei der vielen – vorwiegend lobenden – Kritiken zu Jakob Heins drittes Buch "Vielleicht ist es sogar schön". Die Adjektive komisch und lustig kommen einem fremd vor, handelt das Buch doch vom Tod der Mutter. Aber gerade diese Spannweite der Gefühle – von komisch bis tieftraurig – machen den Reichtum dieses Buches aus – und auch den Reiz beim Hören des Textes, den der Autor selbst liest. Obwohl das Buch das "schrittweise Begreifen den Todes" vorführt, nährt es doch in den seltensten Fällen die Traurigkeit.

Jakob Hein befreit sich von der Niedergeschlagenheit, die der Tod der Mutter auslöst, indem er das Vergängliche festhält. Er erinnert sich an verschiedene Szenen im Zusammenleben, beispielsweise an die ermutigenden Worte die seine Mutter, Christiane Hein, für den Sohn fand, wenn er frisch vom Friseur kam und sich im Spiegel nicht ansehen wollte. Er erinnert an die Mutter, die die Küche als Experimentierfeld benutzte und Kochbücher sammelte. Er holt aus seiner Kindheit die Episode hervor, in der ihn seine Mutter mit zur Arbeit nahm, wir begleiten die beiden beim alltäglichen Einkauf. Leise Bewunderung schwingt immer dann mit, wenn Jakob Hein seine Mutter als handelnde Person beschreibt, wie beispielsweise an einem kühlen Maitag auf Rügen:

"Also ich gehe jetzt baden. Ich finde es hier viel zu schön. Kommst du mit? Das Wasser ist bestimmt noch viel zu kalt. Ach Quatsch, sagte sie, da gehe ich eben allein. Sie zog sich aus und lief ins Meer. Wenn man erst einmal ganz im wasser ist, ist es gar nicht so kalt, rief sie mir zu. Willst du nicht doch herein kommen? Dann schwamm sie eine große Runde, während ich leicht frierend am Strand stand und ihr dabei zusah. Sie trocknete sich mit ihrem Unterhemd ab, das wir später im Auto zum Trocknen aufhängten. "

Die Beschreibung des gemeinsamen Lebens weitet sich über Alltagsszenen aus, nimmt Familiengeschichte auf. Jakob Hein schreibt vom Leben seiner Großeltern väterlicher- wie mütterlicherseits. Vorrang hat dabei die Familienvergangenheit der Mutter und hierbei die Berührung mit jüdischem Leben. Der jüdische Großvater emigrierte spät, ließ die Großmutter, die als so genannte Arierin keine Heiratserlaubnis bekommen hatte, mit dem Kind Christiane, seine Mutter, zurück.

"Sie war schon längst erwachsen, als meine Mutter beschloss, mehr über ihren Vater in Erfahrung zu bringen. Außer den unzusammenhängenden Bemerkungen, die meine Großmutter im Zusammenhang mit Weinanfällen machte, gab es noch eine Menge offizielle Papiere. "

Den Spuren der Mutter folgend, setzt der Autor die Suche nach den jüdischen Wurzeln fort. Voller Interesse und Sympathie sucht er eine Annäherung an die jüdische Gemeinde in Ostberlin und schließlich im wieder vereinten Berlin. Nach seinem Amerikaaufenthalt beschließt er, in Berlin jüdisch zu leben. Doch auf der Suche nach einem Friedhofsplatz für seine Mutter wird er bitter enttäuscht:

"Vor ihrer Geburt war meine Mutter zu jüdisch. Ihre Eltern waren zu jüdisch gewesen, um in Deutschland heiraten zu dürfen. Ihr Vater war zu jüdisch gewesen, um leben zu dürfen. Meine Mutter war jüdisch genug, dass sie in einem Keller versteckt werden musste, weil sie nach dem Gesetz nicht leben durfte. Sie war zu jüdisch für eine einigermaßen glückliche Kindheit. Zu jüdisch, um eine Verwandtschaft zu haben. Noch jüdisch genug für die jüdische Gemeinde in Ostdeutschland, jüdisch genug schließlich für ihre schwere Krankheit. Aber nach ihrem Tod war sie nicht jüdisch genug für den jüdischen Friedhof in Berlin. ... Zusammen mit meiner Mutter war nun selbstverständlich auch ich ganz fraglos aus der jüdischen Gemeinde ausgeschlossen worden. "

Als Buch über den Tod der Mutter wurde "Vielleicht ist es sogar schön" angekündigt. Tatsächlich ist kein Buch über das Sterben, sondern über das Leben entstanden. Autobiografisches von Jakob Hein, das Porträt seiner Mutter, einer lebenspraktischen, warmherzigen Frau, der Dokumentarfilmerin Christiane Hein und Familiengeschichte – zwischen diesen Ebenen pendelt der Erzähler, ohne dass es dabei je zu Verwirrungen kommt. Der Erzählton ist vorrangig nüchtern, registrierend, ruhig, fast beruhigend. Und so bleibt auch Heins Stimmlage im Hörbuch ohne Aufgeregtheit. Manchmal benutzt er die Stimme, um Szenen plastisch zu machen, was sehr lustig anzuhören ist – das bleibt aber die Ausnahme. Für den Hörer ist es sicherlich reizvoll den Autor selbst zu hören, so teilt sich neben dem Text auch über die Stimme die Stimmung des Erzählers mit, desjenigen, dem das Beschriebene widerfuhr. Ein Sohn verarbeitet den Tod der Mutter, indem er – wie er von sich selbst sagt – schließlich erwachsen wird und sich erneut als Autor bestätigt.

Jakob Hein: Vielleicht ist es sogar schön
ungekürzte Autorenlesung
3 CD, 167 Minuten.
Hörbuch-Hamburg Verlag Margrit Osterwod, 23,90 Euro