Kloster Corvey

Idyllisch und bombensicher

Eingang zum Weltkulturerbe Kloster Corvey.
Eingang zum Weltkulturerbe Kloster Corvey. © picture alliance / Robert B. Fishman
Von Wolfgang Brosche · 03.11.2014
16 Jahre hat es gedauert, jetzt ist Corvey Weltkulturerbe. Ehemals wichtigster Außenposten der fränkischen Könige im Land der Sachsen, ertönten hier um 800 erstmals Mönchsgesänge. Das Kloster war Ausgangspunkt christlicher Mission in Nordeuropa.
Fast könnte man meinen, die Holzdielen in der Bibliothek des Klosters Corvey ächzten unter der Last ihrer Geschichte. Doch der Fußboden und die hallenden Säle sind erst 350 Jahre alt.
Neben dem monumentalen dreistöckigen Barockbau - 112 Meter Länge - wirken die zwei Türme der viel älteren romanischen Kirchenfront fast unscheinbar. Es sieht aus, als lehnte sich der aus dunkelroten Ziegeln gemauerte Sakralbau Schutz suchend an die hell verputzte mächtige Reichsabtei. Man braucht wohl ein gutes Stündchen, um das gesamte von einer Mauer begrenzte Klostergelände mit alten Wirtschaftsgebäuden, Stallungen und Landschaftspark zu umrunden. All das liegt idyllisch zwischen dem Bergland auf der einen und dem Solling auf der anderen Seite der Weser. Idyllisch aber auch ein wenig abseits großer Städte und Verkehrswege.
Vor einem Jahrtausend war das noch ganz anders. Da ist Corvey der wichtigste Außenposten der fränkischen Könige im Land der Sachsen. Um das Jahr 800 ertönen zum ersten Mal Mönchsgesänge an der Weser. Ja, überhaupt zum ersten Mal im Norden Deutschlands. Ludwig der Fromme, Nachfolger von Kaiser Karl d. Gr., will die Eroberungen seines Vaters festigen. Die heidnischen Sachsen sollen wie alle anderen Untertanen das Christentum annehmen. Zur Durchsetzung des neuen Glaubens holt Ludwig Benediktinermönche aus der französischen Picardie an die Weser – sie nennen ihr Kloster Nova Corbeia nach ihrem Heimatort Corbie.
So leicht lassen sich die Sachsen aber nicht unterwerfen. Bald 300 Jahre wehren sie sich gegen die neue Religion und die neuen Herren. Die Missionierung ist erst um das Jahr Elfhundert abgeschlossen.
1000 Jahre hallen im Kreuzgang von Corvey die Schritte der Mönche. Nicht immer geht es friedlich zu: im 30-jährigen Krieg wird das Kloster zerstört. Danach entsteht der imposante Barockbau, der bis heute beeindruckt. Nach dem Wiener Kongress, um 1820, verlassen die Benediktiner Corvey und die gesamte Anlage gelangt in den Besitz der Herzöge von Ratibor aus Böhmen.
"Ratibor, Viktor Ratibor", so stellt sich der heutige Eigentümer bescheiden vor – dabei lautet sein vollständiger Titel: Herzog von Ratibor und 5. Fürst zu Corvey, Prinz Hohenlohe-Schillingsfürst-Breunner-Enkevoirth.
Die Herzogsfamilie möchte ihre Eigentum öffnen
Der Hochadlige residiert mit seiner Familie im Westflügel des Schlosses. Mitte der neunziger Jahre erhält der Herzog einen Anruf von der obersten Denkmalpflegerin in Nordrhein-Westfalen. Sie fragt ihn, was er davon hielte, wenn Corvey auf die Nominierungsliste des UNESCO-Weltkulturerbes gesetzt würde:
"… ich hab gesagt, entschuldigen sie, Frau Doktor, das müssen Sie mir jetzt aber erklären, was um Gottes Willen ist Weltkulturerbe. Ich habe keine Ahnung gehabt, was Weltkulturerbe ist. Das war damals auch nicht so bekannt wie heute."
Der Aachener und der Kölner Dom sind damals bereits zu Weltkulturerbestätten ernannt worden - weit weg von der Weser im Rheinland. Nun will die NRW-Landesregierung zwei weitere Stätten vorschlagen. An erster Stelle steht ein Industriedenkmal, die Zeche Zollverein in Essen, wie sich die ministerielle Anruferin beim Herzog, Brigitta Rimbeck, erinnert:
"Ich war damals gerade ins Ministerium gekommen, als Leitung der obersten Denkmalbehörde und ich hatte ganz klar den Auftrag Zollverein so schnell wie möglich auf die Welterbeliste zu bringen. Und wir hatten da noch einen zweiten Platz frei und das ging ganz unspektakulär: als Westfälin habe ich den westfälischen Landeskonservator angerufen und habe ihn gefragt, was ihm einfiel, was aus Westfalen gemeldet werden könnte nach Welterbestätten im Rheinland. Und dann hat er gesagt, mir fällt eigentlich nur Corvey ein."
Natürlich muss sich die Herzogsfamilie als Privat-Eigentümer einverstanden erklären:
"Wir haben uns da in der Familie zusammen gesetzt, mein Vater, der damals noch gelebt hat und meine Geschwister und haben überlegt, ob das eine gute Idee ist oder nicht - und wir sind zu dem Schluss gekommen, natürlich ist es eine gute Idee, weil dieser Gebäudekomplex zwar in unserem Eigentum ist, aber wir betrachten das nicht als unser Privathaus, in dem wir sitzen und keinen reinlassen. Sondern ganz im Gegenteil, wir haben ja immer schon gesagt, dieses Haus ist nicht für uns allein da, sondern für alle und wir machen die Türen weit auf und laden alle Menschen ein, sich mit uns an diesem Erbe zu erfreuen."
Komplizierte Besitzverhältnisse
Nicht nur die Herzogsfamilie muss der Anfrage der Landesdenkmalpflegerin zustimmen. In den 1970er-Jahren hatte der damalige Herzog von Ratibor die Klosterkirche an die katholische Gemeinde im benachbarten Höxter abgetreten. Die Besitzverhältnisse sind also, na sagen wir mal, kompliziert - und die finanzielle Verantwortung auch. Jedenfalls liegt sie für den Sakralbau nicht beim sonst zuständigen Erzbistum Paderborn, erläutert Dechant Ludger Eilebrecht, der Pfarrer der Corveyer Kirche:
"Die Kirche gehört streng genommen sich selbst, ist eine hohe Domkirche und eine eigene Rechtspersönlichkeit, vertreten durch den Vorstand der Pfarrgemeinde St. Stephanus und Vitus zu Corvey und damit auch unabhängig vom Erzbistum, wobei die öffentlichen Stellen die Verpflichtung übernommen haben, für den Erhalt Sorge zu tragen."
Die riesige Barockanlage mit einem Pavillon für die einstigen Äbte und einer knorrigen uralten Eichenallee sind eigentlich weltkulturelle Beifänge. Die wirklich bedeutenden Teile des Klosters Corvey fallen angesichts der Pracht nicht gleich ins Auge. Dazu gehört vor allem jene für heutige Besucher eher unscheinbare Kirche, die eine eigene Rechtspersönlichkeit ist.
Ihre Turmfront ist das erste Westwerk nördlich der Alpen. Ein Kirchenvorbau aus der Karolingerzeit, wie er bis dahin nur in Italien üblich war - mit Wandmalereien in den Gewölben, die man vor einigen Jahrzehnten entdeckt, auch die ersten ihrer Art im Norden. Überreste der frühesten Klosterbauten und der dazu gehörigen Siedlung, vor 1200 Jahren entstanden, sind heute gar nicht mehr sichtbar. Sie liegen in der Erde unterhalb des gesamten Komplexes verborgen. Aber gerade diese architektonisch-archäologischen Besonderheiten sind es, die Corvey zum Weltkulturerbe machen, betont die Denkmalsexpertin Brigitta Rimbeck:
"Corvey hat mit dem Westwerk Architekturgeschichte geschrieben. Schauen Sie in jedes Architekturhandbuch, der Begriff Westwerk wird an Corvey festgemacht. Das ist ein Bautyp, den gab es vorher nicht, der ist in der Karolingerzeit erfunden worden. Die andere Einmaligkeit von Corvey sind die Wandmalereien das ist dann der Rückgriff auf die Antike in der Karolingerzeit das gibt es nördlich der Alpen so nicht."
Pfarrkirche Sankt Stefanus und Vitus in Corvey.
Pfarrkirche Sankt Stefanus und Vitus in Corvey.© picture alliance / Robert B. Fishman
Das Kulturerbe Corveys ist nicht nur materiell, sondern auch immateriell - u.a. kultur- und kirchenhistorisch. Von Corvey aus wurden das Sachsenland, also das heutige Norddeutschland, missioniert, ebenso Teile der Niederlande, und schließlich zogen Corveyer Mönche sogar nach Skandinavien, um dort ihre frohe Botschaft zu verkündigen. Corvey ist Ausgangspunkt einer christlichen Globalisierung in Europa. Auch nach Osten gibt es Verbindungen, erzählt Dechant Ludger Eilebrecht:
"Es gibt beispielsweise in Prag den Veitsdom auf dem Hradzin an der Burg. Veit ist Vitus, der ist eigentlich ein sizilianischer Märtyrer, dessen Gebeine bis 836 in St. Denis in Paris verehrt wurden und dann in feierlicher Prozession nach Corvey übertragen worden sind."
Die Corveyer Mönche schicken 1355 geschmackvoller Weise einen Teil des Hl. Vitus, seinen Kopf, nach Prag. Dort hat man dem Heiligen zu Ehren, der in siedendem Öl hingerichtet worden ist, den Veitsdom gebaut. Der böhmische König wünscht sich die Reliquie des Märtyrers für die Kathedrale auf dem Hradzin über der Moldau.
Nicht bloß die Religion spielt eine bedeutende Rolle in der Geschichte Corveys:
Die knarzenden Holzböden in der Bibliothek und die Säle mit alten Tapeten, die wie Wandbespannungen aus Seide aussehen, beherbergen Wissenschaftsgeschichte. Eine erste wichtige Bibliothek, mit Abschriften antiker Autoren, ist den Mönchen im Skriptorium, der Schreibstube, zu verdanken. Teile dieser Bibliothek werden in andere Klöster überführt oder fallen Zerstörungen im 30-jährigen Krieg zum Opfer. Eine zweite fürstäbtliche Bibliothek wird Anfang des 19. Jahrhunderts während der Säkularisation aufgelöst und verkauft. Aber es gibt eine dritte, noch erhaltene Bibliothek, die der Herzöge von Ratibor, berichtet die Museumsleiterin von Corvey, Claudia Konrad:
"… die jetzige Bibliothek, die fürstliche, eine der größten Privatbibliotheken überhaupt mit fast 75.000 Bänden, ist ja ganz neu im Biedermeier entstanden und zu der Bedeutung und Dimension aufgestockt worden durch den Bibliothekar Hoffmann von Fallersleben…"
Der Germanist Hoffmann von Fallersleben schreibt nicht bloß den Text zur Nationalhymne - den allerdings auf der Insel Helgoland - sondern auch viele Kinderlieder, die heute als Volkslieder gelten. "Alle Vögel sind schon da", "Kuckuck ruft´s aus dem Wald" oder "Ein Männlein steht im Walde". Die Handschriften dazu werden heute noch im Museum Corvey präsentiert.
Seine letzten 15 Lebensjahre verbringt Hoffmann - als junger Mann ein Rebell und politisch verfolgt - gutbürgerlich als Bibliothekar in Corvey. In den Sälen der einstigen klösterlichen Bibliothek schafft er eine neue, die herzogliche.
Erstaunliche Entdeckungen unter den bibliophilen Schätzen
Heute werden die staunenden Besucher über die knarzenden Holzböden geführt, durch die Säle mit edlen Schränken aus Kirschholz und Glastüren, in denen zehntausende leinen- und ledergebundene Bände aus allen Bereichen der Literatur und Wissenschaft aufbewahrt werden. Noch sind diese bibliophilen Schätze nicht ganz gesichtet. Zuweilen kommt Überraschendes zutage in den Archiven, Gewölben und Kellern Corveys - erstaunliche Entdeckungen…
… verblüffend ist 1996 der Fund von 800 Fotos in den Untiefen der Bibliothek. Sie zeigen Pläne, Skizzen und Modelle von Germania. Germania sollte das umgebaute Berlin nach Hitlers Wahn und Wunsch als Welthauptstadt heißen. Dem Planungsstab seines Leibarchitekten, Albert Speer, ist es 1943 angesichts der Bombenangriffe in Berlin zu ungemütlich geworden. Also zieht man um in das idyllische und bombensichere Corvey - in jeder Hinsicht weit vom Schuss. Bis kurz vor Kriegsende wird hier fleißig weiter geplant. Zwar ist das in der Region bekannt, doch lange Zeit kultivieren die Verantwortlichen lieber die friedliche Geschichte des Klosters auch zu Kriegszeiten. Der Fotofund rückt diese Facette Corveys kurz ins Licht internationaler Aufmerksamkeit.
Eine winzige Facette allerdings von zahllosen Aspekten, die die Bedeutung Corveys tatsächlich ausmachen. Diese Bedeutung muss für die UNESCO dokumentiert werden. Daran sind in einem Zeitraum von 15 Jahren Historiker, Archäologen und Denkmalschützer der Behörden von Stadt, Kreis und Land beteiligt. Die Leiterin des Schlossmuseums, Claudia Konrad, hat an der Erstellung der Bewerbungsunterlagen zum Weltkulturerbe intensiv mitgearbeitet:
"Diese Antragsunterlagen sind sehr umfangreich. Früher wurde mir gesagt, bei den alten Weltkulturerbestätten Aachen, Köln da genügten ein paar DIN-A4-Seiten, das hat sich nun ganz gründlich geändert. Der Antrag besteht aus vier Bänden: Einmal - was zeichnet Corvey aus? Dann gibt es einen zweiten Band, den sogenannten Managementplan, wo Planungen enthalten sind zur Besucherlenkung, zur touristischen Infrastruktur, wie vermittelt man Corvey optimaler. Der dritte Band ist ein Materialband, der vierte Band ist ein Vortragsband."
Der Material- und der Vortragsband enthalten auf 700 Seiten Fotos, Karten, Grundrisse und die Ergebnisse von Fachtagungen zur Architektur und Geschichte des Klosters. Wissenschaftliche Hilfestellung bei der Erarbeitung der katalog-dicken Unterlagen für die UNESCO liefern die Studenten eines eigens eingerichteten Studiengangs an der Universität im benachbarten Paderborn. Seit 2006 ist Eva-Maria Seng als Professorin Inhaberin des Lehrstuhls für materielles und immaterielles Kulturerbe:
"Die Uni und das Land NRW wollten sich auf diesem Gebiet stärker engagieren. So ist dieser Lehrstuhl geschaffen worden und der Studiengang, der das kulturelle Erbe, nicht nur das materielle, sondern auch das immaterielle, zum Gegenstand hat."
In den ersten Jahren nach der Neueinrichtung des Lehrstuhls steht Corvey natürlich im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeit der Studenten, zumeist Kunsthistoriker. Sie betreuen Forschungsprojekte und Tagungen, die Material für die Bewerbung zum Weltkulturerbe liefern.
"Wir haben ja ein größeres Forschungsprojekt, die Rekonstruktion der Klosterbibliothek Corvey durchgeführt und eine Internetplattform erstellt, wo man die seit 200 Jahren verstreuten Bestände wieder recherchieren kann. Die wichtigsten Evangeliare und Handschriften haben wir voll digitalisiert."
Eine Welterbestätte pro Land pro Jahr
Dass es von der ersten Idee im Jahr 1998 bis zur Ernennung Corveys zum Weltkulturerbe 16 Jahre gebraucht hat, ist nicht nur den umfangreichen Vorarbeiten geschuldet. Die Regularien der UNESCO sehen vor, dass in jedem Land pro Jahr nur eine neue Welterbestätte ausgezeichnet wird.
Während man in Corvey die Bewerbung erarbeitet, werden unter anderem die Museumsinsel in Berlin, die Altstädte von Stralsund und Wismar, der Limes und das Wattenmeer zum Weltkulturerbe ernannt. Die Vorarbeit für eine Bewerbung wird natürlich vor Ort geleistet. Eingereicht wird sie aber offiziell von der Bundesrepublik. Im Fall von Corvey ist es der damalige Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der die Unterlagen bei der UNESCO in Paris persönlich abliefert.
Zwar ist die Ernennung zum Weltkulturerbe bloß eine ideelle Auszeichnung, dennoch sind die Vorteile nicht zu unterschätzen. Alle Erbestätten erhalten größere finanzielle Zuwendungen von den jeweiligen Städten Gemeinden und Bundesländern, mehr öffentliche Beachtung und Bestandsschutz.
Für den Herzog Viktor von Ratibor überwiegen die Vorteile:
"Es ist eine ganz wichtige Bedingung der UNESCO gewesen, dass die visuelle Integrität der Stätten nicht verletzt wird. Und so wird es hier in der unmittelbaren Umgebung beispielsweise keine Windkraft-Anlagen geben."
Der Titel "Weltkulturerbe" ist also nicht bloß für die Reputation der jeweiligen Orte und Städte gut, man erhofft sich auch wirtschaftliche Impulse.
Kein Wunder, dass man in der Nachbarstadt Paderborn die Bewerbung Corveys genau beobachtet hat. 2013 erhält Claudia Warnecke, technische Beigeordnete und Chefin des Planungsamtes der Stadt Paderborn, den Auftrag ebenfalls eine UNESCO-Bewerbung auszuarbeiten:
"Paderborn ist ja so eine verkannte Großstadt, sag ich jetzt mal - Paderborn wird es in Zukunft auch nicht leicht haben, sich als kleine Großstadt im Zuge der großen Großstädte zu behaupten. Da wäre so ein Welterbelabel etwas, das die Stadt quasi als weicher Standortfaktor attraktiv macht, auch für die Wirtschaft und auch auf dem Arbeitsmarkt."
In Paderborn bewirbt man sich mit einem "mixed property", einem Natur- und Kulturerbe: alles dreht sich um die 200 Quellen der Pader, mit vier Kilometern der kürzeste Fluss Deutschlands. Die Quellen entspringen mitten in der Stadt. Einige unter dem Paderborner Dom und sogar in den Kellern alter Bürgerhäuser. Die Pader hat die Stadt geprägt - Karl d. Gr. erbaute auf den Überresten viel älterer Siedlungen am Ufer des Flüsschens eine Pfalz und handelt an den Paderquellen im Jahre 799 mit dem Papst seine Krönung zum ersten fränkisch-deutschen Kaiser aus. Paderborns Geschichte, ist also noch älter als die von Corvey schwärmt Claudia Warnecke:
"… die Entstehungsgeschichte der Stadt mit den Kaiserpfalzen, der ältesten Hallenkirche nördlich der Alpen, der Bartholomäuskapelle, und dann dieser Wiederaufbau."
Paderborn gehört neben Dresden, Berlin, Hamburg und Köln zu den im II. Weltkrieg am meisten zerstörten Städten. Obwohl nicht alle Einwohner dem zustimmen würden, gilt der Wiederaufbau der alten Stadt bei vielen Fachleuten als behutsam und gelungen - vor allem, weil die Paderquellen, ihre Teiche und Flussarme, ins Stadtbild integriert wurden. Ob das alles ausreicht, um sich erfolgreich als Kulturerbestätte zu bewerben? Bis zu einem Erfolg wird wohl noch viel Wasser die Pader hinabrinnen…
1007 Stätten auf der Liste
Allerdings haben die ersten Aktivitäten für diese Bewerbung neue Impulse bei Verwaltung und Bürgern ausgelöst. Man erarbeitet in vielen Gremien ein Projekt "Flusslandschaft Pader" - Stadtentwicklung mit ganz neuen Konzepten.
Natürlich geht´s bei dem Run auf die Ernennung zum Kulterbe den Antragstellern nicht bloß um ideelle Werte. Das ist zu Anfang, als die UNESCO die Liste der Weltkulturerbestätten Mitte der 70er erstmals auflegt noch anders, da dreht sich alles ganz hehr und gediegen um Kulturschätze. Brigitta Rimbeck hat als Denkmalsschützerin auch einige Jahre in der deutschen UNESCO-Vertretung gearbeitet und kennt die Erbe-Geschichte:
"Anfangs wurden tatsächlich die Ikonen eingetragen, da brauchte man gar nicht lange zu überlegen, ob das welterbeverdächtig ist oder nicht. Wenn Sie an die Pyramiden von Gizeh denken, an das Tadsch Mahal, den Yellowstone National Park, das war klar, da brauchte man nicht großartig begründen. Es sind nicht mehr acht Weltwunder, es sind auch keine 80 Weltwunder, sondern wir haben jetzt 1007 Stätten auf der Liste."
Man muss also aufpassen, dass die Idee vom Welterbe durch eine Inflation an Erbestätten nicht banalisiert wird. Zwar wird regelmäßig von der UNESCO kontrolliert, ob die Vorgaben zur Erhaltung beachtet werden - aber in manchen Orten wird der Titel nicht so in Ehren gehalten wie in Corvey. In Dresden etwa ist es Verwaltung und Bürgern wichtiger eine neue Brücke über die Elbe zu schlagen, um den innerstädtischen Verkehr zu entlasten. Diese Brücke aber zerstört die visuelle Integrität der Stadt - und deshalb wird Dresden von der Welterbe-Liste gestrichen. Das nimmt man dort schulterzuckend hin.
Die Verleihung eines Welterbetitels bringt Prestige, womöglich wirtschaftliche Vorteile, bedeutet aber auch Engagement für die kommenden Generationen, denn die Welterbestätten sollen ja erhalten bleiben.
In Corvey jedenfalls identifizieren sich auch die Menschen der Region mit ihrem Erbe. Bei einer Unterschriftensammlung, die die Bewerbung unterstützen sollte, beteiligten sich mehr als 70.000 Bürger. Stellvertretend für eben diese Bürger, für die Besitzer von Schloss und Kirche, für die beteiligten Wissenschaftler und verantwortlichen Politiker aus dem Weserbergland formuliert Herzog Viktor von Ratibor was das Welterbe Corvey ihnen heute bedeutet:
"Wir sind verantwortlich und sind natürlich sehr stolz und es ist natürlich eine große Herausforderung und eine große Freude gleichzeitig und die nehmen wir mit viel Elan wahr."
Weltwunder, Welterbestätten: das Tadsch Mahal am Fluss Yamuna, die Pyramiden von Gizeh am Nil und nun das lange etwas abseits gelegene Corvey an der Weser!
Das Knarzen im Gebälk könnte also auch heißen, dass Corvey sich reckt und streckt und aus seinem Dornröschenschlaf erwacht.
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