Klöckner: Eine Partei, die nicht diskutiert, ist tot

Julia Klöckner im Gespräch mit Ute Welty |
Julia Klöckner (CDU) will im nächsten Jahr Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz werden. Sie hält es in der Debatte um das konservative Profil ihrer Partei für wichtig, Werte immer wieder neu zu diskutieren. Die CDU sei eine Volkspartei und habe daher verschiedene Stränge. Aktive Sterbehilfe und Präimplantationsdiagnostik lehnt sie als gläubige Katholikin ab.
Ute Welty: Heute erscheint im "Stern" das Interview mit dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller von der CDU, der seiner Partei dringend empfiehlt, neue Wege zu suchen und zu gehen. "Wir können uns nicht auf den Status quo zurückziehen", sagt Müller, und er fordert mehr CDU pur bei den Themen Heimat, Nation und Schutz des Lebens. Angesichts anhaltend schlechter Umfragewerte diskutiert die CDU über den künftigen Kurs und ihr konservatives Profil, und dann ist auch immer ganz schnell die Rede von den christlichen Werten, auf die sich die CDU wieder stärker beziehen sollte.

Genau darüber spreche ich jetzt mit der CDU-Bundestagsabgeordneten Julia Klöckner, die Staatssekretärin im Verbraucherschutzministerium möchte im nächsten Jahr Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz werden. Guten Morgen, Frau Klöckner!

Julia Klöckner: Hallo, guten Morgen, Frau Welty, ich grüße Sie!

Welty: Als Sie gefragt wurden, ob Sie Spitzenkandidatin werden wollen für die CDU in Rheinland-Pfalz, haben Sie da um Gottes Segen gebeten, bevor Sie sich entschieden haben?

Klöckner: Och, da sind verschiedene Momente, bevor man sich entscheidet, da sind innerweltliche Momente, aber sicherlich auch die Erkenntnis, dass man selbst auch Grenzen hat und dass man nicht alles in der Hand hat. Und ich persönlich bin eine gläubige Christin, keine Fundamentalistin, aber dass ich bete und dass ich meinen christlichen Bezug auch lebe, das ist kein Geheimnis. Das ist ein Teil meiner Lebensgestaltung, aber nicht ausschließlich.

Welty: Wo ziehen Sie denn persönlich eine Grenze? Warum lehnen Sie beispielsweise die Möglichkeit der Präimplantationsdiagnostik ab, also die Möglichkeit, bei einem Embryo nach der künstlichen Befruchtung und vor dem Einsetzen in die Gebärmutter eine Erbkrankheit auszuschließen, und warum ist es in Ordnung, unverheiratet zu sein und doch einen Mann an Ihrer Seite zu haben? Ich nehme an, dass Sie mit dem nicht nur Händchen halten.

Klöckner: Also das schließt sich nicht aus, meiner Meinung nach, denn konservativ zu sein muss man auch definieren: Ist es wertkonservativ oder strukturkonservativ? Mich leiten Werte, und die können durchaus in unterschiedlichen Gestalten daher kommen, das heißt, dass man nicht an alten Strukturen unbedingt festhalten muss, um das, was einen leitet, auch zu bewahren. Und ein ganz urchristliches Momentum, was einen leitet, ist, Wert und Würde menschlichen Lebens sowohl am Lebensanfang wie auch am Lebensende zu verteidigen und uneingeschränkt auch Geltung zu verhelfen.

Das heißt für mich, dass aktive Sterbehilfe nicht die Antwort darauf sein kann, wenn Menschen Schmerzen haben, wenn Menschen einsam sind. Da ist für mich die Antwort Palliativmedizin, Hospizarbeit. Und das Gleiche gilt für mich am Lebensanfang, denn ungeborenes Leben hat keine Lobby, kann sich nicht äußern. Und Wert und Würde gibt es nicht geteilt, gibt es zu 100 Prozent, und nicht zu 80 Prozent nach irgendwie dreieinhalb Monaten. Und es steht uns Menschen nicht an, zu sagen, dieser Mensch hat Würde, dieser Mensch ist lebenswert oder sein Leben ist lebenswert oder nicht lebenswert. Und Werte in einer Beziehung, ganz gleich, wie Menschen sie leben, müssen Paare unter sich ausmachen. Das heißt für mich, dass man aufeinander achtgibt, dass man füreinander einsteht, dass man auch Pflichten füreinander übernimmt.

Welty: Inwieweit ist die Diskussion über christliche Werte auch der Versuch, staatliche Aufgaben auf private Schultern abzuwälzen, wenn zum Beispiel es um die Betreuung alter Menschen geht? Denn natürlich ist es für den Staat billiger, wenn das jemand aus Nächstenliebe macht, und nicht als Liebe zum schnöden Mammon.

Klöckner: Ich bin nicht der Meinung, dass diejenigen, die Geld verdienen, die ihren Lebensunterhalt verdienen zum Beispiel auch in der Altenpflege, dass die nicht auch motiviert sind von der Nächstenliebe oder zum Beispiel vom christlichen Menschenbild. Das eine schließt das andere nicht aus, denn der Staat, unser Gemeinwesen, lebt ja von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann. Und der Staat setzt Rahmenbedingungen und klare Zielsetzungen, und bürgerschaftliches Engagement ist immer mehr als der Staat selbst leisten kann.

Welty: Die Frage nach Werten und Warten ist ja keine theoretische. Sie sind im beginnenden Wahlkampf in Rheinland-Pfalz, gleich nebenan in Nordrhein-Westfalen ringt der dortige CDU-Landesverband nach einer verlorenen Wahl um Haltung. Da tut doch eine schnelle Entscheidung Not, oder?

Klöckner: Eine schnelle Entscheidung über was?

Welty: Über die Positionen der CDU, auch im Hinblick auf die Werte, und vielleicht der, ja, Versuch will ich nicht sagen, aber das Bestreben, diese Werte besser in den Vordergrund zu stellen.

Klöckner: Wir müssen uns ja auch einig sein, welche Werte uns leiten, welche Werte für wen im Vordergrund stehen, …

Welty: Ich dachte, das ist klar.

Klöckner: … und wir sind eine große Volkspartei. Ja, wir sind eine große Volkspartei, die verschiedene Stränge eben hat. Und das heißt, dass Werte uns leiten bei der Bildungspolitik, Werte leiten uns bei der Arbeitsmarktpolitik, und die Frage ist ja, welchen Schwerpunkt, wer in welchem Bundesland setzt, weil ja Bundesländer auch unterschiedliche Zahlen, unterschiedliche Voraussetzungen haben.

Und es tut gut, in einer Partei auch darüber sich immer wieder neu zu vergewissern, wo man eben steht. Und die Debatte, ob wir wertkonservativ sind – die Debatte ist schon so alt, wie es die Union gibt. Das hat es gegeben unter Helmut Kohl, das hat es unter vielen Parteivorsitzenden gegeben. Und wenn Parteien nicht mehr darüber diskutieren, was in aktuellen Situationen ihre Standpunkte sind, dann sind Parteien tot.

Welty: Die Katholikin und CDU-Politikerin Julia Klöckner im Interview der "Ortszeit" über die Bedeutung des C für ihre Partei und für sie selbst. Ich danke fürs Gespräch!

Klöckner: Ich bedanke mich auch, schönen Tag!
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