Klô Pelgag über ihr neues Album

"Ich lasse die Dinge geschehen"

Porträt der frankokanadischen Sängerin Klô Pelgag, deren Gesicht ein zweites Mal in einem Spiegel zu sehen ist.
Die frankokanadische Sängerin Klô Pelgag © Starkult Promotion
Moderation: Holger Hettinger · 30.04.2018
Die Sängerin Klô Pelgag stammt aus der kanadischen Provinz Quebec, wo die französische Sprache eine große Rolle für die Identität spielt. Aus diesem Fundus schöpft die 28-Jährige auch in ihrem Album "L'Étoile thoracique" lustvoll und mehrdeutig.
Holger Hettinger: Die schöne Standard-Floskel-Einleitung bei Interviews mit Musikerinnen ist immer: "Ihre Lieder handeln von diesem und von jenem. Gar nicht so einfach bei Ihnen – Ihre Songs sind weniger linear angelegte Erzählungen als vielmehr regelrechte Assoziationsgewitter, schlaglichtartige Montagen von Situationen, Emotionen und Stimmungen. Wie entsteht so etwas?"
Klô Pelgag: Meine Art, solche Sachen anzulegen, ist sehr instinktiv. Ich habe nicht das Gefühl, die Textproduktion zu steuern, zu beherrschen. Im Gegenteil, ich lasse die Dinge eher geschehen, ganz impulsiv. Also, ich konstruiere da eigentlich nichts. Mir ist bewusst, dass einiges an deutscher Musik so funktioniert. Ich orientiere mich eher an Gedichten, an Ungegenständlichem. Ich arbeite viel mit Assoziationen, insbesondere aber mit Bildern, mit Empfindungen, Emotionen und Eindrücken.
Holger Hettinger: Zwischenfrage: Wie ein erzählter Film?
Klô Pelgag: Ein wenig, ja. Man kann ja durchaus das Gefühl haben, dass man nicht alles versteht. Ich finde es berührender, wenn es nicht so glasklar ist, wenn man also nicht von Punkt A zu Punkt B zu Punkt C kommt, und dann gibt's dann womöglich noch eine Zusammenfassung. Es ist eher wie eine Art Reise, jede Etappe ist so etwas wie das Bezeugen eines Lebensmoments. Mir geht es nicht darum, eine Woche auf 15 Minuten zu reduzieren.

Eigenständiger Umgang mit der Sprache

Holger Hettinger: Es hat mich sehr beeindruckt, dass Sie durch das Zusammenspiel zwischen Ihren Texten und Ihrer Musik ein ganz weites Spektrum aufziehen: "Les ferrofluides-fleurs" klingt wie ein munteres Kinderliedchen, der Text hat dann eine surrealistische Schwere. Wie legen Sie diese Kontraste an?
Klô Pelgag: Das stimmt schon, gerade die Kontraste sind bewusst angelegt. Das Leben ist hochkomplex, der Mensch ist hochkomplex. Da liegen die unterschiedlichsten Momente und Lebenssituationen ganz nah beieinander. Daher muss eine traurige Musik nicht unbedingt gekoppelt sein an einen traurigen Text. So klassisch und so offensichtlich möchte ich das gar nicht machen. Es gibt ganz viele Möglichkeiten, Traurigkeit auszudrücken, ganz viele Facetten. Mit Musik kann man diese Wahrnehmung ganz nuanciert vermitteln. Insofern ist das Schreiben eines Songs, das Zusammenbringen von Text und Musik, auch immer etwas unerschöpfliches, nicht zuletzt wegen dieser Wechselwirkung von scheinbar Widersprüchlichem. Damit kann man jede Menge anstellen!

Holger Hettinger: Sie stammen aus Kanada, kommen aus Saint-Anne-des-Monts aus der Provinz Quebec – lassen Sie uns über die Aussagekraft der Sprache sprechen. In der Provinz Québec steht die französische Sprache auch und gerade für Abgrenzung, für Autonomie. Wie beeinflusst diese Haltung Ihre Texte?
Klô Pelgag: Natürlich spielt da auch eine bestimmtes historisches Erbe eine Rolle, das an die Sprache geknüpft ist. Die ältere Generation hat leidenschaftlich dafür gekämpft, unsere Sprache zu bewahren, als Teil unserer Identität. Das hat zweifellos abgefärbt auf unser Lebensgefühl und unser Selbstverständnis. Nun ist das in meiner Generation anders, da wird dieses Anliegen nicht mehr so kämpferisch vorgetragen. Dadurch ergibt sich für uns eine gewisse Freiheit, die ich als größer empfinde als beispielsweise in Frankreich. Dort hält man in meiner Wahrnehmung stärker an Konventionen fest. Bezieht man das nun auf die musikalische Tradition, so muss ich sagen: wir Frankokanadier fühlen uns freier, wir haben uns stärker gelöst von Regeln und Gebräuchen. Ohne jetzt mit diesem Anderssein hausieren zu gehen: Aber wir haben schon eine eigenständige Art entwickelt, mit dieser Sprache umzugehen. Wir setzen Akzente und Betonungen ganz anders, fernab der Konformität.

"Religion hat immer auch Kreativität befördert"

Holger Hettinger: Manchmal glaubt man, in der Anmutung ihrer Songs auch religiöse Anklänge zu hören – die Chor-Einwürfe in "Samedi soir à la violence" etwa. Nun kuratieren Sie beim Festival Santa Teresa eine "Messe transfigurée", eine "verklärte Messe" – welche Rolle spielt die Spiritualität für Sie?
Klô Pelgag: Ich gehöre keiner Konfession an, aber ich denke, dass schon etwas Tiefgründiges, etwas Bereicherndes in der Spiritualität besteht, in den mystischen Momenten. In jeder Religion gibt es auch unerfreuliche Aspekte, aber ich glaube, dass Religion immer auch die schöpferische Kreativität befördert hat. All die Maler, die sich den religiösen Sujets gewidmet haben! Da ist viel Schönes entstanden; möglicherweise ist das nun etwas romantisch gedacht, dass hier die Kunst ein Interesse an einer Sache weckt, die von außen kommt, die aber Dinge und Menschen zusammenführt.
Das, was ich dort beim Festival Santa Teresa mache, bezieht sich nicht direkt auf die Religion – das Festival hat mir eine "carte blanche" gegeben, ich kann ganz ohne Vorgabe loslegen, es soll sich nur irgendwie auf diesen Ort beziehen, diese Kirche in dem Ort Sainte Thérèse. Ich habe mir überlegt, dass ich eine Art neue Messfeier erschaffen werde, für eine Religion, die nicht existiert. Da möchte ich die Musik feiern, die Freiheit – an diesem Ort, der ganz abgelegen liegt und fast vergessen ist.
Religion - was in der Region Québec soviel heißt wie: der Katholizismus - war eine ungeheuer starke und bestimmende Kraft, jedenfalls bis in die 1970er-Jahre hinein. Danach ist die Religiosität abgeklungen. Nun stehen all diese Kirchen da wie vergessenen Tempel, und für mich ist es sehr reizvoll, diese Stätten zu bespielen und sie auf diese Weise nochmal auf eine andere Weise mit Leben und Bedeutung zu füllen.
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