Klischee und Wirklichkeit
Brina Svit, Autorin und Ich-Erzählerin zugleich, verliebt sich in einen marokkanischen Koch. Das klingt nach Klischee: Europäerin verfällt exotischem jungem Mann. Aber die in Ljubljana geborene und in Paris lebende Schriftstellerin Svit weiß auch, dass Klischees oft verdammt nah an die Wirklichkeit heranreichen können.
In der Toskana steht ein Haus. Ein Haus für Schriftsteller. In diesem Fall für einen kanadischen, für einen irischen und für eine Schriftstellerin aus Frankreich, aus Paris. Brina Svit heißt sie, hat ihre Kindheit und Jugend in Slowenien verbracht, bevor sie 1980 mit 26 Jahren nach Paris ging. Lange hat sie auf Slowenisch geschrieben. Jetzt wechselt sie ins Französische. "Moreno" heißt ihr erster in Französisch veröffentlichter Text.
Es ist wie ein Begleittext zu ihrem Aufenthalt in diesem Haus in der Toskana, nicht weit von Florenz – ein Anwesen mit einer älteren Frau, die viel - sehr viel - auf sich hält, nicht nur die Vanity Fair liest, sondern auch für sie schreibt, eine Frau, die schon von den berühmtesten Fotografen fotografiert wurde, sich nur Baronessa nennt und ihre Bediensteten wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Gleichzeitig soll dieses Haus aber gastlich sein, ein Haus, in dem Schriftsteller schreiben sollen. So stellt es sich die Baronessa vor. Arbeiten für etwas Höheres als das Leben. Für die Kunst! Doch was macht Brina Svit? Sie macht aus Sicht der Baronessa mindestens zwei Fehler. Einer davon findet vor den Augen der Hausherrin statt. Die Autorin spricht mit den Bediensteten des Hauses. Nicht nur das. Sie versteht sie, sie umarmt sie, sie geht mit ihnen zu Festen außerhalb des Anwesens, sie fährt mit ihnen nach Florenz, sie hört sich ihre Geschichten an, sie fühlt mit ihnen, sie weint mit ihnen, sie findet sie interessanter als die Baronessa, als das Haus, die Torre - den Turm - in dem sie ihr Schreibzimmer hat und in dem sie sich gleichzeitig eingeschlossen und behütet fühlt und dabei genau begreift, was mit dem Wort Elfenbeinturm gemeint ist.
Den anderen Fehler bemerkt die Baronessa nicht. Es ist der vorliegende Text: Moreno. Es ist die unverhüllt autobiografische Beschreibung des Kampfes der Schriftstellerin Brina Svit nicht nur mit dem Wechsel in eine Fremdsprache – ins Französische –, sondern auch mit dem Konflikt zwischen Kunst und Leben. "Ich habe niemals an einem Ort geschrieben, der für das Schreiben vorgesehen war", erklärt sie in ihrem Buch, "ich habe es immer mitten im Leben getan." Brina Svit, die Autorin und Ich-Erzählerin zugleich, verliebt sich in den marokkanischen Koch des Hauses, Mohammed. Das klingt nach Klischee: Europäische Schriftstellerin verfällt exotischem jungem Mann. Es ist auch ein Klischee: Mohammed ist schön, hat ein ebenes Gesicht, schöne Füße, eine Gestalt ohne einen Gramm Fett und ein einnehmendes Lachen. Aber auch die Autorin weiß, dass Klischees oft verdammt nah an die Wirklichkeit heranreichen können. Sie scheinen sich offenbar dadurch auszuzeichnen, dass sie meistens stimmen. Zumindest in der konkreten Situation. Aber es ist mehr als das. Brina Svit erkennt in Mohammed und in der albanischen Angestellten Milika Seelenverwandte. Er, so wie sie, fühlt sich nicht zugehörig zum westlichen Europa, auch wenn er Teil davon ist. Die Slowenin, die betont, dass sie früher Jugoslawin war, weiß wie es dem Marokkaner ergeht: hier zu sein und doch anderswo. Es ist der Konflikt von Zuwanderern, die mit Ernüchterung beobachten, wie sie höchstens geduldet, im besten Fall noch als exotische Geschöpfe wahrgenommen werden.
Der Identitätskonflikt, ausgelöst durch eine neue Sprache und ein neues Land, ist so tiefgreifend, daß er zu Solidarität untereinander führt. Daher ist nur zur erahnen, welche Art von Gefühlen Mohammed in Brina auslöst. Liebe? Freundschaft? Doch nur Solidarität? Sicher ist nur, ihre Beziehung können die beiden kaum ausleben, die Bedingungen scheinen es nicht zuzulassen. Er ist ein Bediensteter, sie ist die Künstlerin. Er ist das Leben, sie die Kunst. Mohammed hat viele Gründe traurig zu sein und viel zu viel zu trinken. Einer ist, dass er seine kleine Tochter lange nicht gesehen hat, weil seine Ex-Frau es nicht will. Und die Erzählerin? Sie will seine Nähe. Ob sie damit das schafft, was sie schaffen will, oder was sie soll, nämlich möglichst viel Literatur zu produzieren, das bleibt eine Frage am Rande. Was bleibt, ist der vorliegende Text. Moreno. Im Untertitel "Eine richtige Liebesgeschichte". Also eine aus dem echten Leben? In jedem Fall ist es eine Skizze, kein ausgefeilter Roman. Ein Entwurf, der aber trotzdem direkt zum Ziel kommt, auf Ausschweifungen wie auf Metaphern verzichtet, oft einen sachlichen, fast kühlen Ton anschlägt und dabei nur manchmal das Klischee (Mohammeds schöne Füße) mehr bedient, als der distanzierte Leser es verdauen kann. Ein Text aber auch, der – Verzeihung, manchmal muss dieses Klischee-Wort sein – authentisch ist. Ein Text, dessen Entstehung man spüren kann. Brina Svit lässt sich in die Karten schauen. Und dies ist auch für Menschen, die sich nicht zwischen Kunst und Leben entscheiden müssen, ein Gewinn.
Brina Svit: Moreno. Eine richtige Liebesgeschichte. Aus dem Französischen von Judith Klein.
C.H. Beck, 2005. 140 Seiten. Gebunden. 14.90 Euro.
Es ist wie ein Begleittext zu ihrem Aufenthalt in diesem Haus in der Toskana, nicht weit von Florenz – ein Anwesen mit einer älteren Frau, die viel - sehr viel - auf sich hält, nicht nur die Vanity Fair liest, sondern auch für sie schreibt, eine Frau, die schon von den berühmtesten Fotografen fotografiert wurde, sich nur Baronessa nennt und ihre Bediensteten wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Gleichzeitig soll dieses Haus aber gastlich sein, ein Haus, in dem Schriftsteller schreiben sollen. So stellt es sich die Baronessa vor. Arbeiten für etwas Höheres als das Leben. Für die Kunst! Doch was macht Brina Svit? Sie macht aus Sicht der Baronessa mindestens zwei Fehler. Einer davon findet vor den Augen der Hausherrin statt. Die Autorin spricht mit den Bediensteten des Hauses. Nicht nur das. Sie versteht sie, sie umarmt sie, sie geht mit ihnen zu Festen außerhalb des Anwesens, sie fährt mit ihnen nach Florenz, sie hört sich ihre Geschichten an, sie fühlt mit ihnen, sie weint mit ihnen, sie findet sie interessanter als die Baronessa, als das Haus, die Torre - den Turm - in dem sie ihr Schreibzimmer hat und in dem sie sich gleichzeitig eingeschlossen und behütet fühlt und dabei genau begreift, was mit dem Wort Elfenbeinturm gemeint ist.
Den anderen Fehler bemerkt die Baronessa nicht. Es ist der vorliegende Text: Moreno. Es ist die unverhüllt autobiografische Beschreibung des Kampfes der Schriftstellerin Brina Svit nicht nur mit dem Wechsel in eine Fremdsprache – ins Französische –, sondern auch mit dem Konflikt zwischen Kunst und Leben. "Ich habe niemals an einem Ort geschrieben, der für das Schreiben vorgesehen war", erklärt sie in ihrem Buch, "ich habe es immer mitten im Leben getan." Brina Svit, die Autorin und Ich-Erzählerin zugleich, verliebt sich in den marokkanischen Koch des Hauses, Mohammed. Das klingt nach Klischee: Europäische Schriftstellerin verfällt exotischem jungem Mann. Es ist auch ein Klischee: Mohammed ist schön, hat ein ebenes Gesicht, schöne Füße, eine Gestalt ohne einen Gramm Fett und ein einnehmendes Lachen. Aber auch die Autorin weiß, dass Klischees oft verdammt nah an die Wirklichkeit heranreichen können. Sie scheinen sich offenbar dadurch auszuzeichnen, dass sie meistens stimmen. Zumindest in der konkreten Situation. Aber es ist mehr als das. Brina Svit erkennt in Mohammed und in der albanischen Angestellten Milika Seelenverwandte. Er, so wie sie, fühlt sich nicht zugehörig zum westlichen Europa, auch wenn er Teil davon ist. Die Slowenin, die betont, dass sie früher Jugoslawin war, weiß wie es dem Marokkaner ergeht: hier zu sein und doch anderswo. Es ist der Konflikt von Zuwanderern, die mit Ernüchterung beobachten, wie sie höchstens geduldet, im besten Fall noch als exotische Geschöpfe wahrgenommen werden.
Der Identitätskonflikt, ausgelöst durch eine neue Sprache und ein neues Land, ist so tiefgreifend, daß er zu Solidarität untereinander führt. Daher ist nur zur erahnen, welche Art von Gefühlen Mohammed in Brina auslöst. Liebe? Freundschaft? Doch nur Solidarität? Sicher ist nur, ihre Beziehung können die beiden kaum ausleben, die Bedingungen scheinen es nicht zuzulassen. Er ist ein Bediensteter, sie ist die Künstlerin. Er ist das Leben, sie die Kunst. Mohammed hat viele Gründe traurig zu sein und viel zu viel zu trinken. Einer ist, dass er seine kleine Tochter lange nicht gesehen hat, weil seine Ex-Frau es nicht will. Und die Erzählerin? Sie will seine Nähe. Ob sie damit das schafft, was sie schaffen will, oder was sie soll, nämlich möglichst viel Literatur zu produzieren, das bleibt eine Frage am Rande. Was bleibt, ist der vorliegende Text. Moreno. Im Untertitel "Eine richtige Liebesgeschichte". Also eine aus dem echten Leben? In jedem Fall ist es eine Skizze, kein ausgefeilter Roman. Ein Entwurf, der aber trotzdem direkt zum Ziel kommt, auf Ausschweifungen wie auf Metaphern verzichtet, oft einen sachlichen, fast kühlen Ton anschlägt und dabei nur manchmal das Klischee (Mohammeds schöne Füße) mehr bedient, als der distanzierte Leser es verdauen kann. Ein Text aber auch, der – Verzeihung, manchmal muss dieses Klischee-Wort sein – authentisch ist. Ein Text, dessen Entstehung man spüren kann. Brina Svit lässt sich in die Karten schauen. Und dies ist auch für Menschen, die sich nicht zwischen Kunst und Leben entscheiden müssen, ein Gewinn.
Brina Svit: Moreno. Eine richtige Liebesgeschichte. Aus dem Französischen von Judith Klein.
C.H. Beck, 2005. 140 Seiten. Gebunden. 14.90 Euro.