Klischee oder Wahrheit?

    Von Marina Schweizer · 11.05.2013
    Als die Reporter sich auf ihre Reise vorbereitet haben, ist ein Thema immer aufgetaucht: Grenzkriminalität. Passend zum Vorurteil: Polen klauen und die Deutschen müssen zusehen - Fakt versus Klischee. In der Region ist die Zahl der Diebstähle seit der Grenzöffnung ja tatsächlich extrem angestiegen.
    O-Ton Polizei "Da fahren die Kollegen jetzt schon mal hinterher. Ja, wir kommen mit."

    Die Autobahn A 12, bei Frankfurt (Oder). Frank Jakob lenkt vom Seitenstreifen auf die Fahrbahn und tritt aufs Gas: Die Grenzschützer haben ein verdächtiges Auto ausfindig gemacht. Neben ihm sitzt sein polnischer Kollege David Lenard. Die Polizisten sind gerade auf ihrer grenzüberschreitenden Streife. Eigentlich ist die Grenze hier seit Ende 2007 offen. Aber die Polizei hat alle Hände voll zu tun, um sie zu sichern.

    Frank Jakob: "Es geht auf der Autobahn richtig zur Sache. Sowohl auf der deutschen als auch auf der polnischen Seite. Gerade was die Eigentumsgeschichten angeht. Die Fahrer, die die gestohlenen Fahrzeuge außer Landes bringen, die halten definitiv nicht mehr an. Auch mit drei vier Fahrzeugen, die rammen die Polizeifahrzeuge von der Straße."

    Die Hauptaufgabe der beiden Polizisten ist es, illegale Einwanderung zu stoppen. Aber auf diesem Autobahnabschnitt an der deutsch-polnischen Grenze verkehrt so viel Diebesgut, dass sie heute wieder nach auffälligen Autos Ausschau halten.

    Gut möglich, dass auf dieser Route auch die Autos von Frank Losensky abtransportiert wurden. Dem Autohändler, der gerade in seinem Eisenhüttenstädter Büro sitzt, wurden in den letzten beiden Jahren zwei Autos vom Parkplatz geklaut und immer wieder kommen Metallteile weg. Auch das Auto seiner Frau verschwand in Frankfurt (Oder). Das ist eindeutig erst seit der Öffnung der Grenze so, sagt Losensky.

    "Viele Kunden sagen schon ketzerisch: So schnell und billig kann man hier nicht einkaufen, innerhalb von zwanzig Minuten ist man über die Grenze und dann hat man eigentlich keine Befürchtungen mehr in dem Moment."

    Ganz so einfach, wie Losensky das formuliert, soll es natürlich nicht gehen. Eine eigens eingerichtete SOKO der Polizei, mit der schönen Bezeichnung: "Besondere Aufbauorganisation Grenze", geht gegen alle Diebstähle in der brandenburgischen Grenzregion vor. Meistens fallen sie unter den Begriff "Grenzkriminalität."

    Timo Lück: "Wir haben es hier natürlich mit gut strukturierten Täterbanden zu tun, die arbeitsteilig handeln. Und wir konzentrieren uns auf drei Tätergruppen hinsichtlich der Nationalität. Das sind einmal die deutschen Täter, dann die polnischen Täter und dann die Litauischen. Das sind die drei am meisten vertretenen Tatverdächtigen, beziehungsweise. Täter, die wir hier festgestellt haben in unserem Bereich."

    Polizeioberkommissar Timo Lück von der SOKO Grenze unterstreicht, was eigentlich längst bekannt ist: Das abgenutzte Klischee vom allein klauenden Polen ist zu platt. Die Banden arbeiten meist grenzübergreifend zusammen. Von der seit knapp sechs Jahren existierenden Durchlässigkeit der deutsch-polnischen Grenze profitieren eben auch Kriminelle. Die Polizei versucht dagegen zu halten: Für Großeinsätze kann die SOKO bis zu drei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei anfordern.

    Aus der Sicht von Autohändler Frank Losensky haben diese Hundertschaften aber nicht den erhofften Erfolg gebracht: zu punktuell ihr Einsatz, zu berechenbar für Diebesbanden.

    Frank Losensky: "Die wussten ganz genau, wo die Polizei jetzt präsent ist und wo sie nicht mehr hin müssen."

    Wenn die Diebe erst einmal im Nachbarland sind, wird es schwer, nach ihnen und ihrer Beute zu suchen. Seit 2007 versucht die Polizei mit einem gemeinsamen Stützpunkt Brücken für die Ermittler zu bauen.

    Das deutsch-polnische Lagezentrum am Grenzübergang im polnischen Swiecko. Ein großer, heller Raum. In der Mitte: ein langer Tisch. Acht Polizisten sitzen drum herum, getrennt nach Nationalität: Zum Fenster sitzen die vier deutschen Kollegen, zur Wand die polnischen. Ständig klingeln Telefone, rattern Drucker, die Beamten besprechen sich auf Deutsch und Polnisch. Sie verstehen sich als Dienstleister für die Kollegen im Einsatz. Auch wegen der Sprachbarriere und der grenzüberschreitenden Bürokratie erklärt Marek Fila, der polnische Leiter des Zentrums:

    "Wenn ein Auto auf deutscher Seite verfolgt wird, dann wird ein Beamter informiert und der muss dann hier aufstehen und laut sagen, damit alle Behörden mitbekommen, was passiert. Und dann wird das Auto weiter in Polen verfolgt."

    Das klingt gut, aber praktisch fühlt sich Autohändler Losenksy trotzdem oft im Stich gelassen. Wie viele Bewohner und Unternehmer in der Grenzregion greift sein Autohaus jetzt zur Selbsthilfe und bezahlt zusätzlich eine private Wachfirma, die nachts ihre Runden dreht. Die Verzweiflung ist dem Autohändler anzuhören:

    "Es gibt Kollegen, denen haben sie das Fahrzeug aus der Werkstatt entwendet. Also, wir haben ne Menge damit zu tun - und das kann nicht alles auf Lasten der Firmen gehen."