Klinsmanns unvermeidliche Demission
Wie weit trägt die unglaubliche WM-Euphorie über die Spiele hinaus? Diese Frage wurde seit dem Finale vom Sonntag unentwegt gestellt. Die meisten waren felsenfest davon überzeugt, dass die Woge der Begeisterung den noch zaudernden Jürgen Klinsmann mitreißen würde über die eigene Bedenkzeit hinweg bis nach Wien ins Ernst-Happel-Stadion, wo 2008 der neue Europameister gekürt wird.
Bereits drei Tage nach dem Finale hat aber nun jene flächendeckende Welle des kollektiven Frohsinns einen empfindlichen Dämpfer bekommen, nachdem Klinsmann, sein Stab und sein unerwartet kühn aufspielendes Team vier Wochen lang jene faszinierende Dynamik in Gang gesetzt hatte. Der ehrgeizige Schwabe war nämlich erfolgreich bei seinem Versuch, einem ganzen Fußball-Volk die Illusion zu verpassen, wir seien besser als wir eigentlich sind. Wir müssten nur an uns glauben, dann würden selbst noch unfertige Talente und mittelprächtige Bundesliga-Cracks ihre spielerischen Grenzen sprengen.
Tatsächlich ist es ihm mit diesem probaten Griff in die Motivationskiste gelungen, der jungen Mannschaft nach Wochen tief sitzender Zweifel im Lande fehlendes Selbstbewusstsein einzubläuen, getragen von einem beflügelnden Heimvorteil. Das Prinzip Klinsmann wollte mit der Methode der Überforderung hochgepushten Spielern wie jubelnden Fans ein anderes Lebens- und Leistungsgefühl vermitteln. In der propagandistischen Hochzeit seines Projektes 2006 wurde dafür die Erweckungsparole ausgegeben, Deutschland müsse sich "neu erfinden".
Damit sollten nicht nur die strukturkonservativen Verhältnisse beim mächtigen Deutschen Fußball-Bund zum Tanzen gebracht, sondern schlummernde Geister allerorten angestachelt werden, getreu der abgedroschenen Aufmunterungsparole aller Oppositionsführer: "Unser Land kann mehr."
Mögen Trauer und Enttäuschung über die abrupte Demission noch so groß sein – Jürgen Klinsmanns Abgang war aus zwei Gründen unvermeidlich:
Zum einen war sein erfrischendes Reformprojekt kaum auf Nachhaltigkeit angelegt, sondern auf einen "Erfolg jetzt", auch wenn sein Nachfolger Joachim Löw nicht müde wird, die Kontinuität seiner künftigen Arbeit zu betonen.
Und andererseits bedarf die längst realitätsflüchtige Fußball-Euphorie im Lande einer analytischen Desillusionierung. Denn Ballack & Co sind noch lange nicht in der sicheren Spur künftiger Titelgewinne.
Wer jetzt trauert, übersieht, dass der clevere Schwabe sich nur als quer einsteigender Projektleiter eines weltumspannenden Großevents sah und nicht in einer ehrwürdigen Lebensstellung als Bundestrainer in Permanenz. Klinsmanns rasanter Kurzauftritt an der Spitze der deutschen Nationalmannschaft erinnert denn auch an höchst umstrittene Unternehmensstrategien, mit einem dynamischen Team von draußen marode Betriebe in Rekordzeit im Crashkurs auf Erfolg zu trimmen, um danach den ebenso raschen Abgang zu machen.
In siebenwöchiger Quarantäne wollte man das deutsche Team auf unerlässliches Tempospiel einschwören, das bei anderen Länderteams wie der squadra azzurra, der équipe tricolore, der brasilianischen seleção oder den argentinischen Gauchos längst Routine ist. Der von Klinsmann berufene Schweizer DFB-Scout Urs Siegenthaler wies denn auch während des Turniers kritisch auf die Fragwürdigkeit solcher Schnellverfahren hin, Mannschaften für ein Turnier konkurrenzfähig zu trimmen.
Der Abgang des Jürgen K. enthält mithin eine bittere betriebswirtschaftliche Wahrheit. Denn im Strategieverzicht auf Nachhaltigkeit liegt gerade die Misere des deutschen Unternehmens-Managements begründet? Kritiker wenden ein, "Klinsi" habe dank enormer suggestiver Fähigkeiten aus dem Team eine "Sekte ohne Substanz" gemacht. Er habe sich als Sektenführer bewährt. Doch für die Substanz tauge eher ein operativer Übungsprofi oder gewiefter Rasenstratege. Zumal der begabte Fußball-Motivator aus Kalifornien ohnehin bekannte, dass der erlebte Massenzauber im eigenen Lande selbst durch einen Titelgewinn im fernen Südafrika nicht mehr zu toppen sei.
Damit wären wir wieder bei unserer Megaparty angelangt, dem schwarz-rot-goldenen Kostümball, der nicht aufhört, in Nachbetrachtungen als emotionaler Dammbruch, neue Leichtigkeit oder unter dem Titel "Deutschland bei sich" verklärt zu werden. Doch die schier unüberwindbare Woge neu-patriotischer Unverkrampftheit, die "Klinsis" Zaudern hinwegfegen sollte, glich vor dessen Kalkül eher einer Seifenblase.
Norbert Seitz, geboren 1950 in Wiesbaden, promovierter Politologe, ist verantwortlicher Redakteur der politischen Kulturzeitschrift "Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte"; schreibt u. a. für den "Tagesspiegel", die "Frankfurter Rundschau" und verschiedene Magazine. Letzte Buchveröffentlichung: "Die Kanzler und die Künste. Die Geschichte einer schwierigen Beziehung" (2005).
Tatsächlich ist es ihm mit diesem probaten Griff in die Motivationskiste gelungen, der jungen Mannschaft nach Wochen tief sitzender Zweifel im Lande fehlendes Selbstbewusstsein einzubläuen, getragen von einem beflügelnden Heimvorteil. Das Prinzip Klinsmann wollte mit der Methode der Überforderung hochgepushten Spielern wie jubelnden Fans ein anderes Lebens- und Leistungsgefühl vermitteln. In der propagandistischen Hochzeit seines Projektes 2006 wurde dafür die Erweckungsparole ausgegeben, Deutschland müsse sich "neu erfinden".
Damit sollten nicht nur die strukturkonservativen Verhältnisse beim mächtigen Deutschen Fußball-Bund zum Tanzen gebracht, sondern schlummernde Geister allerorten angestachelt werden, getreu der abgedroschenen Aufmunterungsparole aller Oppositionsführer: "Unser Land kann mehr."
Mögen Trauer und Enttäuschung über die abrupte Demission noch so groß sein – Jürgen Klinsmanns Abgang war aus zwei Gründen unvermeidlich:
Zum einen war sein erfrischendes Reformprojekt kaum auf Nachhaltigkeit angelegt, sondern auf einen "Erfolg jetzt", auch wenn sein Nachfolger Joachim Löw nicht müde wird, die Kontinuität seiner künftigen Arbeit zu betonen.
Und andererseits bedarf die längst realitätsflüchtige Fußball-Euphorie im Lande einer analytischen Desillusionierung. Denn Ballack & Co sind noch lange nicht in der sicheren Spur künftiger Titelgewinne.
Wer jetzt trauert, übersieht, dass der clevere Schwabe sich nur als quer einsteigender Projektleiter eines weltumspannenden Großevents sah und nicht in einer ehrwürdigen Lebensstellung als Bundestrainer in Permanenz. Klinsmanns rasanter Kurzauftritt an der Spitze der deutschen Nationalmannschaft erinnert denn auch an höchst umstrittene Unternehmensstrategien, mit einem dynamischen Team von draußen marode Betriebe in Rekordzeit im Crashkurs auf Erfolg zu trimmen, um danach den ebenso raschen Abgang zu machen.
In siebenwöchiger Quarantäne wollte man das deutsche Team auf unerlässliches Tempospiel einschwören, das bei anderen Länderteams wie der squadra azzurra, der équipe tricolore, der brasilianischen seleção oder den argentinischen Gauchos längst Routine ist. Der von Klinsmann berufene Schweizer DFB-Scout Urs Siegenthaler wies denn auch während des Turniers kritisch auf die Fragwürdigkeit solcher Schnellverfahren hin, Mannschaften für ein Turnier konkurrenzfähig zu trimmen.
Der Abgang des Jürgen K. enthält mithin eine bittere betriebswirtschaftliche Wahrheit. Denn im Strategieverzicht auf Nachhaltigkeit liegt gerade die Misere des deutschen Unternehmens-Managements begründet? Kritiker wenden ein, "Klinsi" habe dank enormer suggestiver Fähigkeiten aus dem Team eine "Sekte ohne Substanz" gemacht. Er habe sich als Sektenführer bewährt. Doch für die Substanz tauge eher ein operativer Übungsprofi oder gewiefter Rasenstratege. Zumal der begabte Fußball-Motivator aus Kalifornien ohnehin bekannte, dass der erlebte Massenzauber im eigenen Lande selbst durch einen Titelgewinn im fernen Südafrika nicht mehr zu toppen sei.
Damit wären wir wieder bei unserer Megaparty angelangt, dem schwarz-rot-goldenen Kostümball, der nicht aufhört, in Nachbetrachtungen als emotionaler Dammbruch, neue Leichtigkeit oder unter dem Titel "Deutschland bei sich" verklärt zu werden. Doch die schier unüberwindbare Woge neu-patriotischer Unverkrampftheit, die "Klinsis" Zaudern hinwegfegen sollte, glich vor dessen Kalkül eher einer Seifenblase.
Norbert Seitz, geboren 1950 in Wiesbaden, promovierter Politologe, ist verantwortlicher Redakteur der politischen Kulturzeitschrift "Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte"; schreibt u. a. für den "Tagesspiegel", die "Frankfurter Rundschau" und verschiedene Magazine. Letzte Buchveröffentlichung: "Die Kanzler und die Künste. Die Geschichte einer schwierigen Beziehung" (2005).