Klinische Ökonomie für Entwicklungsländer
Der renommierte Ökonom Jeffrey Sachs vertritt in seinem Buch „Das Ende der Armut“ die These, dass die Ziele des Milleniumsplans der Vereinten Nationen in einem überschaubaren Zeitraum erreicht und die extreme Armut in der Welt beseitigt werden können. Die traditionelle Entwicklungshilfe müsse durch den Ansatz einer „klinischen Ökonomie“ ersetzt werden, um den ärmsten Ländern den Sprung auf die unterste Sprosse der eigendynamischen wirtschaftlichen Entwicklung zu ermöglichen.
Jeffrey Sachs ist ein renommierter Ökonom, der wie viele Vertreter seines Fachs aufgrund seiner Nähe zu den Mächtigen dieser Welt zu Ruhm und Ehre gekommen ist. Als Erben der alten Philosophenkönige übernehmen Ökonomen heute die Aufgabe, die Welt zu erklären und Verbesserungsvorschläge für eine bessere Zukunft zu verbreiten. Bereits der Titel des Buches gibt dabei Anspruch und Umfang des Unternehmens vor, dem sich Sachs stellt: „Das Ende der Armut“. Auf 450 Seiten präsentiert der Autor eine Mischung aus volkswirtschaftlichen Analysen, eigenen Erfahrungen und moralischen Appellen – eine Mischung, die in dieser Form etwas sehr Amerikanisches hat: eingängige Bilder und pragmatische Sichtweisen, offene Kritik, aber auch Vereinfachung bis an die intellektuelle Schmerzgrenze kennzeichnen diese Streitschrift im Namen des globalen Guten. Das Versprechen lautet: Wenn man alles täte, was hier empfohlen wird, dann könnten die Ziele des Milleniumsplans der Vereinten Nationen in einem überschaubaren Zeitraum erreicht und die extreme Armut in der Welt beseitigt werden.
Sachs geht mit seinen Kollegen ins Gericht. Die traditionelle ökonomische Sichtweise, die das Denken der internationalen Institutionen wie Weltbank und Währungsfond beherrscht, ist falsch. Statt lediglich auf Liberalisierung und Marktöffnung, Privatisierung und Einschränkungen der Staatsaufgaben zu setzten, sollte die Entwicklungshilfe sich des Verfahrens der Differentialdiagnose bedienen. Wie in der Medizin, so haben auch in der Weltwirtschaft Krankheiten viele verschiedene Ursachen. Sachs nennt seinen Ansatz klinische Ökonomie.
„Die Entwicklungsökonomie muss gründlich überholt werden, damit sie sich ähnlich wie die moderne Medizin als Profession an Kriterien wie Strenge, Erkenntnis und praktischem Denken orientiert. ... Wenn die armen Länder in den letzten 25 Jahren die reichen Länder um Hilfe baten, schickte man sie zum Gelddoktor der Welt, dem IWF. Dessen Rezept bestand im Wesentlichen in der Empfehlung, den haushaltspolitischen Gürtel enger zu schnallen ungeachtet der Tatsache, dass sich die Patienten noch nicht einmal den Gürtel leisten konnten. Sparpolitik unter den Auspizien des IWF hat immer wieder zu Aufständen, Putschen und zum Zusammenbruch der öffentlichen Dienstleistungen geführt. "
Sachs weist darauf hin, dass man die Patienten in ihrem Umfeld verstehen und ihre ökonomischen Gebrechen als komplexe Folgen vielfältiger Ursachen sehen muss: von der physischen Geographie über die kulturelle Tradition und Bevölkerungsentwicklung bis hin zur geopolitischen Einbettung und der Verbreitung von Krankheiten wie Malaria und Aids prägen viele Faktoren die konkrete Situation der armen Länder und kruder Ökonomismus hilft hier nicht weiter.
Man muss versuchen, den Ärmsten der Armen den Schritt auf die unterste Sprosse der eigendynamischen wirtschaftlichen Entwicklung zu ermöglichen. Von dort aus können sie es selbst schaffen. Aber das kostet Geld. Oft verschleiern die aufsummierten Durchschnittszahlen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die wirklichen Probleme. Sachs macht deutlich, dass absolute Summen und relative Anteile nicht das gleiche sind. Es klingt bombastisch, wenn von Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe gesprochen wird, aber diese Summen sind verschwindend klein, wenn man sie auf den Reichtum der Geberländer einerseits und die Zahl der weltweit Armen andererseits bezieht. In keinem der Industrieländer wird der propagierte Anteil von 0.7 Prozent des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe aufgewendet und die absolut groß erscheinenden Summen sind, umgerechnet auf die Pro-Kopf-Beträge am Ende der Abnehmer minimal. Hier liegt eine der Stärken des Buches. Es rückt die Verhältnisse zurecht.
" Im Jahr 2002 belief sich die Entwicklungshilfe der USA für die afrikanischen Länder südlich der Sahara auf drei Dollar pro Kopf. Rechnet man die Teilbeträge für US-Berater, Nahrungsmittel- und sonstige Nothilfe, Verwaltungskosten und Schuldenerlass heraus, dann belief sich die Entwicklungshilfe pro Kopf auf die grandiose Summe von sechs Cents. "
Sachs untermauert seine Argumente für eine nachhaltige und umfassende Unterstützung mit Beispielen aus seiner eigenen Tätigkeit als Wirtschaftsberater in verschiedenen Ländern. Er räumt dabei mit manchen Vorurteilen auf. Der Neger ist nicht dumm, faul und unfähig und jeder Euro oder Dollar, der in die Entwicklungshilfe fließt, ist gut angelegt auch im Sinne der Länder, die ihn geben. Aber der Optimismus, den diese Beispiele verströmen – Indien, China, Bangladesh, aber auch Polen und Kolumbien haben es nicht zuletzt dank der Hilfe von Professor Sachs geschafft – übersieht die dunklen Seiten. Letztlich erweist sich die volkswirtschaftliche Lehre, die Sachs bemüht, dann doch als Schönwettertheorie, auch wenn er sie um einige Aspekte erweitert. Das Doppelpack Markt und Demokratie entfaltet nicht naturwüchsig die segensreichen Wirkungen, die ihm seine Propheten zusprechen. Mit dürren Worten stellt der Autor am Ende seines Buches fest:
" Die volkswirtschaftliche Theorie rechtfertigt marktkonformes Verhalten von Unternehmen, wenn die Spielregeln sachgerecht sind. Doch es gibt keinerlei wirtschaftswissenschaftliche Entschuldigung dafür, die Unternehmen durch Lobbyarbeit, Wahlkampffinanzierung und beherrschenden Einfluss auf die Politik die Spielregeln selbst festlegen zu lassen. "
Sollte sich am Ende das global agierende Kapital nicht an die Spielregeln gehalten haben?! Sollte vielleicht gar der semi-legale Handel mit Waffen lukrativer sein, als die kostengünstige Abgabe von AIDS-Medikamenten und ist es denkbar, dass die Interessen der global agierenden Unternehmen auf die unmittelbare Verwertung des eingesetzten Kapitals, nicht aber auf die langfristigen Folgen für die Menschheit zielen? Auf diese Fragen gibt der Autor keine Antworten.
Sachs hat ein langes Buch für Leser geschrieben, die guten Willens sind und die gerne wissen wollen, wie alles mit rechten und gerechten Dingen auf der Welt zugehen könnte. Da passt es, dass Bono von der Gruppe U2, eine Ikone der Popmusik, ein flammendes Vorwort geschrieben hat. Darin findet man jene Art von politisch korrekter Betroffenheit, deren moralische Dramatik im umgekehrten Verhältnis zur Konsequenz der politischen und ökonomischen Analyse steht. Aber bleiben wir bescheiden und halten wir es weiterhin mit der Maxime, dass jeder Euro, der nicht in die Rüstung fließt, gut angelegt ist.
Jeffrey D. Sachs: Das Ende der Armut – Ein ökonomisches Programm für eine gerechtere Welt
Siedler Verlag, München 2005
Sachs geht mit seinen Kollegen ins Gericht. Die traditionelle ökonomische Sichtweise, die das Denken der internationalen Institutionen wie Weltbank und Währungsfond beherrscht, ist falsch. Statt lediglich auf Liberalisierung und Marktöffnung, Privatisierung und Einschränkungen der Staatsaufgaben zu setzten, sollte die Entwicklungshilfe sich des Verfahrens der Differentialdiagnose bedienen. Wie in der Medizin, so haben auch in der Weltwirtschaft Krankheiten viele verschiedene Ursachen. Sachs nennt seinen Ansatz klinische Ökonomie.
„Die Entwicklungsökonomie muss gründlich überholt werden, damit sie sich ähnlich wie die moderne Medizin als Profession an Kriterien wie Strenge, Erkenntnis und praktischem Denken orientiert. ... Wenn die armen Länder in den letzten 25 Jahren die reichen Länder um Hilfe baten, schickte man sie zum Gelddoktor der Welt, dem IWF. Dessen Rezept bestand im Wesentlichen in der Empfehlung, den haushaltspolitischen Gürtel enger zu schnallen ungeachtet der Tatsache, dass sich die Patienten noch nicht einmal den Gürtel leisten konnten. Sparpolitik unter den Auspizien des IWF hat immer wieder zu Aufständen, Putschen und zum Zusammenbruch der öffentlichen Dienstleistungen geführt. "
Sachs weist darauf hin, dass man die Patienten in ihrem Umfeld verstehen und ihre ökonomischen Gebrechen als komplexe Folgen vielfältiger Ursachen sehen muss: von der physischen Geographie über die kulturelle Tradition und Bevölkerungsentwicklung bis hin zur geopolitischen Einbettung und der Verbreitung von Krankheiten wie Malaria und Aids prägen viele Faktoren die konkrete Situation der armen Länder und kruder Ökonomismus hilft hier nicht weiter.
Man muss versuchen, den Ärmsten der Armen den Schritt auf die unterste Sprosse der eigendynamischen wirtschaftlichen Entwicklung zu ermöglichen. Von dort aus können sie es selbst schaffen. Aber das kostet Geld. Oft verschleiern die aufsummierten Durchschnittszahlen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die wirklichen Probleme. Sachs macht deutlich, dass absolute Summen und relative Anteile nicht das gleiche sind. Es klingt bombastisch, wenn von Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe gesprochen wird, aber diese Summen sind verschwindend klein, wenn man sie auf den Reichtum der Geberländer einerseits und die Zahl der weltweit Armen andererseits bezieht. In keinem der Industrieländer wird der propagierte Anteil von 0.7 Prozent des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe aufgewendet und die absolut groß erscheinenden Summen sind, umgerechnet auf die Pro-Kopf-Beträge am Ende der Abnehmer minimal. Hier liegt eine der Stärken des Buches. Es rückt die Verhältnisse zurecht.
" Im Jahr 2002 belief sich die Entwicklungshilfe der USA für die afrikanischen Länder südlich der Sahara auf drei Dollar pro Kopf. Rechnet man die Teilbeträge für US-Berater, Nahrungsmittel- und sonstige Nothilfe, Verwaltungskosten und Schuldenerlass heraus, dann belief sich die Entwicklungshilfe pro Kopf auf die grandiose Summe von sechs Cents. "
Sachs untermauert seine Argumente für eine nachhaltige und umfassende Unterstützung mit Beispielen aus seiner eigenen Tätigkeit als Wirtschaftsberater in verschiedenen Ländern. Er räumt dabei mit manchen Vorurteilen auf. Der Neger ist nicht dumm, faul und unfähig und jeder Euro oder Dollar, der in die Entwicklungshilfe fließt, ist gut angelegt auch im Sinne der Länder, die ihn geben. Aber der Optimismus, den diese Beispiele verströmen – Indien, China, Bangladesh, aber auch Polen und Kolumbien haben es nicht zuletzt dank der Hilfe von Professor Sachs geschafft – übersieht die dunklen Seiten. Letztlich erweist sich die volkswirtschaftliche Lehre, die Sachs bemüht, dann doch als Schönwettertheorie, auch wenn er sie um einige Aspekte erweitert. Das Doppelpack Markt und Demokratie entfaltet nicht naturwüchsig die segensreichen Wirkungen, die ihm seine Propheten zusprechen. Mit dürren Worten stellt der Autor am Ende seines Buches fest:
" Die volkswirtschaftliche Theorie rechtfertigt marktkonformes Verhalten von Unternehmen, wenn die Spielregeln sachgerecht sind. Doch es gibt keinerlei wirtschaftswissenschaftliche Entschuldigung dafür, die Unternehmen durch Lobbyarbeit, Wahlkampffinanzierung und beherrschenden Einfluss auf die Politik die Spielregeln selbst festlegen zu lassen. "
Sollte sich am Ende das global agierende Kapital nicht an die Spielregeln gehalten haben?! Sollte vielleicht gar der semi-legale Handel mit Waffen lukrativer sein, als die kostengünstige Abgabe von AIDS-Medikamenten und ist es denkbar, dass die Interessen der global agierenden Unternehmen auf die unmittelbare Verwertung des eingesetzten Kapitals, nicht aber auf die langfristigen Folgen für die Menschheit zielen? Auf diese Fragen gibt der Autor keine Antworten.
Sachs hat ein langes Buch für Leser geschrieben, die guten Willens sind und die gerne wissen wollen, wie alles mit rechten und gerechten Dingen auf der Welt zugehen könnte. Da passt es, dass Bono von der Gruppe U2, eine Ikone der Popmusik, ein flammendes Vorwort geschrieben hat. Darin findet man jene Art von politisch korrekter Betroffenheit, deren moralische Dramatik im umgekehrten Verhältnis zur Konsequenz der politischen und ökonomischen Analyse steht. Aber bleiben wir bescheiden und halten wir es weiterhin mit der Maxime, dass jeder Euro, der nicht in die Rüstung fließt, gut angelegt ist.
Jeffrey D. Sachs: Das Ende der Armut – Ein ökonomisches Programm für eine gerechtere Welt
Siedler Verlag, München 2005