Psychologische Hilfe bei Krebs

Personalmangel in der Psychoonkologie

06:28 Minuten
Nahaufnahme in einem Krankenhaus. Eine Person hält einer anderen Person die Hände.
Psychoonkologen betreuen Krebspatienten psychologisch. Entsprechendes Personal für Krankenhäuser ist aber nicht so leicht zu finden. © Getty Images / thianchai sitthikongsak
Von Anke Schaefer · 30.01.2023
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Kliniken arbeiten am Limit, oft gibt es einfach nicht genug Personal. Dass es schwierig ist, Stellen zu besetzen, erlebt etwa in einer Saarbrücker Klinik der Leiter der Psychoonkologie: ein Bereich, in dem Krebskranke psychologisch betreut werden.
Neun Uhr im Foyer des Klinikums Saarbrücken auf dem Winterberg. Mit wehendem weißen Kittel kommt Wolfgang Merda um die Ecke. Der Tag des 64-Jährigen beginnt normalerweise mit der Frühbesprechung im Darmkrebszentrum.
Heute hat er anders angefangen. „Die Intensivstation rief an, ob ich runterkommen kann zu einer Patientin“, erzählt er. „Sie hat Ängste, hat Schmerzen, brauchte ein vertrautes Gesicht, mit dem sie sprechen kann.“

Nie ist vorhersehbar, was der Tag bringen wird, wenn Wolfgang Merda morgens auf dem Winterberg ankommt. Das städtische Klinikum ist das Krankenhaus im Saarland. 2021 wurde in der Chirurgischen Onkologie, genauer gesagt im Darmkrebszentrum, die Psychoonkologie eingerichtet.

Berufsbezeichnung sorgt für Verwirrung


„So, wir gehen jetzt auf Station 26, das ist ein Patient mit einem Magenkrebs – der ist circa eine Woche hier, ich habe ihn drei Mal besucht, er ist emotional sehr robust“,  erklärt Wolfgang Merda.
Wir treffen den Patienten, 76 Jahre alt, in seinem Zimmer. Er sitzt vor seinem Frühstück, die Wurstsemmel ist seinem neuen, viel kleineren Magen sichtlich zu viel. Er hat keinen Appetit und lässt sich gern von uns vom Essen ablenken.
Was hat er gedacht, als Wolfgang Merda zum ersten Mal zu ihm kam und sagte, er sei der Psychoonkologe? „Es ging mir einiges durch den Kopf“, erinnert sich der Patient: „Einmal die Kostenfrage. Zum anderen: Onkologie, da war ich doch schon.“
Die Berufsbezeichnung führt des Öfteren zu Verwirrung. Es geht hier nicht um Onkologie, sondern um Psychologie. Und der Besuch des Psychoonkologen kostet nichts extra. „Aber als ich mit ihm ins Gespräch kam, muss ich sagen, das war das Beste, was mir begegnen konnte, glaube ich.“ Er streicht sich über das glatte Kinn. „Ich weiß schon gar nicht mehr, über was wir gesprochen haben.“
Für Wolfgang Merda keine Überraschung.

Die Patienten befinden sich in einem sehr hohen Stresslevel. Das bedeutet auch, dass die Funktion der Großhirnrinde für unser Gedächtnis sehr eingeschränkt ist. Von daher ergibt sich das, dass man sich an viele Dinge nicht erinnert.

Wolfgang Merda, Psychoonkologe

Psychologische Hilfe für Patienten und Angehörige

Wolfgang Merda kümmert sich nicht nur um die Patienten, sondern auch um deren Angehörige. Die sind nicht selten von der Situation überfordert und brauchen selbst psychologische Hilfe. Die Gespräche führt er meist in einem Gesprächszimmer. Es ist ein kleiner Raum. Auf dem Tisch steht eine Kerze. Wolfgang Merda bietet mir ein Glas Wasser an.
Jeden Tag ist er hier in der Klinik mit schwerer Krankheit, manchmal auch mit dem Tod konfrontiert. Den, so sagt er, hat er früh als Teil des Lebens akzeptieren können.
Als junger Mann entschied sich Wolfgang Merda, Krankenpfleger zu werden. Später wurde er über den zweiten Bildungsweg Psychologe. Er hatte auch Krebs und musste sich auf dem Winterberg behandeln lassen.
„Ich glaube, wenn man selbst betroffen war von so einer Krebserkrankung, dann ist einem sehr klar: Wo befinde ich mich in meinem Leben, wie viel Lebenszeit liegt, wenn es gut läuft, noch vor mir? Das macht mir keine Sorgen, überhaupt nicht“, sagt er.
Eine Erfahrung, die ihm auch bei den Gesprächen mit den Patientinnen und Patienten hilft. Man redet auf Augenhöhe, man vertraut ihm. Dass es die Psychoonkologie auf dem Winterberg gibt, ist Gregor Stavrou zu verdanken, dem Chefarzt für Allgemeinchirurgie, er hat diesen Fachbereich eingerichtet.
Stavrou, ein kräftiger Mann mit Ambitionen, will, dass die Psychoonkologie auch den Patienten anderer Abteilungen zu Gute kommt. Wir treffen ihn in seinem Büro.

Es gibt immer wieder auch belastete Patienten, zum Beispiel in der Unfallchirurgie, und andere, die vielleicht gar keinen Krebs haben, wo man sagt: Das wäre super, wenn ein Psychologe mal dazu kommen würde. Deshalb müssen wir aufwachsen in diesem Bereich Psychoonkologie und Personal nachziehen.

Gregor Stavrou, Chefarzt für Allgemeinchirurgie

Neues Personal schwer zu finden

Das aber ist extrem schwierig. Junge Absolventen wollen häufig lieber in einer eigenen Praxis arbeiten und sich nicht unbedingt einem hierarchischen Klinikalltag unterordnen. Zudem hat die Deutsche Krebsgesellschaft festgelegt, dass, wer Psychoonkologe im Krankenhaus werden will, eine Approbation, also eine Heilerlaubnis, braucht und dazu eine psychoonkologische Weiterbildung. „Und diese beiden Qualifikationen zusammen sind eine Rarität“, beschreibt Gregor Stavrou das Problem.
Die ausgeschriebene Psychoonkologenstelle auf dem Winterberg konnte bislang nicht besetzt werden. Immerhin wird Wolfgang Merda stundenweise von zwei jungen Psychologinnen unterstützt.

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Wir sind mit Wolfgang Merda jetzt auf der Station 51, einem Bereich mit 25 bauchchirurgischen und sechs gynäkologischen Betten.

Ein Screening ermittelt seelische Belastung

Der Mann mit den großen Löchern in den Ohren und dem hochgerutschten T-Shirt liegt in seinem Bett. Er erzählt, dass ihn die vielen Fragen, die ihm Wolfgang Merda im Rahmen eines sogenannten psychoonkologischen Screenings gestellt hat, beeindruckt haben: Das ist ein standardisierter Fragebogen, mittels dessen die emotional-seelische „Belastung“ eingeschätzt werden soll.
Was ihn dabei verwundert hat, waren Fragen zu seinem Verhältnis zur Kirche. „Ich bin zwar ein gläubiger Mensch, aber dass ich jeden Tag in die Kirche laufe – das mach ich nicht.“ Es geht um die Frage: Hat die Erkrankung Auswirkungen auf meinen Glauben? Und hat sie das? „Nein, nein das hat keine Auswirkung auf meinen Glauben. Die Krankheit, die ich jetzt habe, das ist Schicksal. Ich habe mir das nicht ausgesucht.“
Für heute kann Wolfgang Merda diesen Patienten guten Gewissens allein lassen. Morgen wird er wieder hier vorbeikommen. Jetzt wartet der nächste auf ihn. Auf dem Gang meint er noch: „Ich sage oft, ich habe den besten Job hier im Haus. Auch wenn er schwierig ist, aber er ist gut!“
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