Klimawandel

Wie hoch ist der Meeresspiegel?

Japanische Schulkinder berühren bei einer Messe einen elektronischen Globus, der die Erhöhung des Meerwasserspiegels durch die Erderwärmung verdeutlicht.
Japanische Schulkinder berühren bei einer Messe einen elektronischen Globus, der die Erhöhung des Meerwasserspiegels durch die Erderwärmung verdeutlicht. © afp / TORU YAMANAKA
Von Volkart Wildermuth |
Der Meeresspiegel steigt. Da sind sich die Forscher einig. Wann ist der Meeresspiegel zu hoch? Wie wird die Höhe gemessen und wo ist der Nullpunkt? Die Fragen klingen einfach - ihre Beantwortung ist komplex.
Das Meer. Es schwappt und schwappt und langsam aber kontinuierlich schwappt es höher. Der Klimawandel hebt dieses Schwappen langsam, aber kontinuierlich an.
Harald Schuh: "In den letzten zehn bis 20 Jahren waren das drei bis vier Millimeter pro Jahr, die wir gemessen haben, für den globalen Meeresspiegelanstieg."
Sagt Professor Harald Schuh vom Geoforschungszentrum Potsdam und der muss es wissen, schließlich ist der auch der Präsident der Internationalen Organisation für Geodäsie, für Erdvermessung. Gemessen wird der Anstieg relativ zu einem Bezugspunkt, dem Höhendatum. Das geht zurück auf die Jahre 1683 und 84. Damals hat man in Amsterdam das Schwappen des Meeres genau beobachtet und dann das mittlere Hochwasser als Nullpunkt für die Höhenmessung definiert. Preußen hat das später übernommen und noch heute bezieht sich Normal Null in Deutschland auf den Amsterdamer Pegel. Der ist keine Naturkonstante, sondern eine Vereinbarung, betont Dr. Wilko von Hardenberg vom Berliner Max Planck Institut für Wissenschaftsgeschichte.
Von Hardenberg: "Es gibt nicht einen mittleren Meeresspiegel, es ändert sich ständig, es ändert sich von Punkt zu Punkt entlang der Küste. Man sieht hohe Gezeiten und sieht niedrige Gezeiten, man sieht aber nie den mittleren Meeresspiegel. Deshalb ist es eindeutig ein soziales Konstrukt, ein wissenschaftliches Konstrukt."
Und deshalb gilt völlig unbeeinflusst vom Klimawandel.
Schuh: "Der Referenzpunkt bleibt natürlich bestehen."

"Normalnull" ist eine politische Frage

Überhaupt ging es beim mittleren Meeresspiegel früher gar nicht um das Meer, sondern um das Land und weniger um die Natur, als um Technik, Architektur, Vermessung. Und die braucht einen einheitlichen Maßstab.
Von Hardenberg: "So dass die Franzosen nicht sagen könnten: das Montblanc wäre 4800 und was. Und die Italiener würden sagen 'Nee, es ist weniger'. Das ist aber der Fall, wenn man unterschiedliche Referenzpunkte hat."
Wobei die Franzosen den Meeresspiegel in Marseille messen und dort liegt er etwa einen halben Meter unter dem in Amsterdam. In Osteuropa ist der Pegel von Kronstadt relevant, der liegt wieder höher. Im 19. Jahrhundert wurden die Stunde, das Kilo, der Meter und die Längen und Breitengrade standardisiert. Bei der Höhe bleibt es aber bei der Kleinstaaterei.
Von Hardenberg: "Ja, die Normalnull ist immer schon eine politische Frage gewesen."
Die Vielfalt der Höhendefinitionen hat durchaus praktische Folgen. 2004 wollten die beiden Hälften der Rheinbrücke in Laufenburg nicht zueinander passen. Die Planer hatten die unterschiedlichen Höhensysteme in Deutschland und der Schweiz zwar mitbedacht, aber dann falsch verrechnet. GPS Messungen hätten hier auch nicht weitergeholfen. Die Höhenangaben der GPS-Empfänger sind nicht besonders exakt, weil ihnen ein ziemlich idealisiertes Modell der Erdform zugrunde liegt. Also hohe Zeit für eine Vereinheitlichung. In Europa ist sie schon auf einem guten Weg und die Internationale Organisation für Geodäsie denkt schon weiter.
Schuh: "Es gab 2015 eine entsprechende Resolution, dass wir alle bestrebt sind, ein gemeinsames vereinigtes Höhensystem auf der ganzen Welt zu definieren."
Geodäten wie Harald Schuh schauen dabei aber nicht mehr aufs Meer, sondern in den Himmel.
Schuh: "Seit 2002 gibt es eine sehr erfolgreiche Mission namens Grace, wo wir zwei Satelliten haben, die die Erde regelmäßig umkreisen und es wird gemessen, der Abstand zwischen diesen beiden Satelliten. Der Abstand ist ungefähr 220 km und der variiert geringfügig aufgrund der unterschiedlichen Anziehung der beiden Satelliten durch die darunterliegenden Massen, also durch die Erdanziehung."
Das Ergebnis dieser Messung ist ein sogenanntes Geoid, eine Fläche einheitlicher Schwerkraft.
Schuh: "Das hängt ab von der unterschiedlichen Verteilung der Massen im Erdinneren, es hängt auch ab von Massen, die auf der Erde liegen, wie zum Beispiel Eismassen, und wenn die Weg schmelzen, dann verändert sich dadurch auch das Geoid um einen geringen Betrag."

Klimawandel kann nicht regional gemessen werden

Das Geoid ist kein kugelrunder Globus, sondern eine ziemliche ruppeliger Körper namens Potsdamer Kartoffel. Und die hat deutliche Hügel und Dellen. Indien zum Beispiel liegt 200 Meter tiefer als das benachbarte Indonesien. Ein Problem für den Schiffsverkehr und Langstreckenschwimmer?
Schuh: "Natürlich schwimmt man nicht bergauf, weil man auf der Wasseroberfläche schwimmt, und das Wasser richtet sich nach dem Geoid, richtet sich nach der Erdanziehung und das Geoid ist eine Fläche gleicher Erdanziehung."
Sozusagen ein virtueller globaler Ozean um die gesamte Erde. Seine Form ist objektiv messbar, an welcher Stelle man ihn aber an den realen Ozean anpasst, das bleibt eine Frage der Festlegung. Derzeit ist da wieder der alte Pegel von Amsterdam im Gespräch. Wobei durchaus nicht alle davon überzeugt sind, dass ein globales Höhensystem notwendig ist. Der virtuelle Meeresspiegel des Geoids liegt in manchen Städten mehrere Meter über den Köpfen der Menschen. Das ist zwar mathematisch egal, für die alltägliche Arbeit der Architekten und Stadtplaner aber nicht besonders praktisch. Und die Praxis entscheidet, ob sich ein Höhenstandard wie das Geoid durchsetzt, betont Wilko von Hardenberg.
Von Hardenberg: "Die Frage ist ob es nützlich ist, ob es nützlich bleiben wird. Ob wir in zehn Jahren noch dieselbe politische Aussicht haben, ob uns immer noch dieser Punkt interessiert oder ob die Probleme die das Anthropozän bringt nicht lokal so viel gravierender sind, das viel Interesse verliert im globalen, weil uns wirklich die Änderung des Meeresspiegel in dieser gewissen Bucht interessieren zum Beispiel Hafen Hamburg oder Bremerhaven."
Für den globalen Klimawandel bleibt eine globale Messlatte aber wichtig. Ursprünglich ging es bei der Festlegung des mittleren Meeresspiegels um die Arbeit an Land, inzwischen nimmt man damit wieder das Meer selbst in den Blick.
Von Hardenberg: "Heute wenn man von level of the sea spricht, wenn man von Meereshöhe spricht, spricht man von Klimawandel, Anthropozän, Änderung der Welt durch die Hand des Menschen und immer weniger vom Höhendatum."
Mehr zum Thema