Klimawandel

Die Älteren sollten ihre Schuld eingestehen

03:54 Minuten
Demonstrierende junge Menschen stehen in Hannover hinter einem Transparent mit der Aufschrift: "Wir streiken bis ihr handelt".
Schülerdemonstration "Fridays for Future": Verständnis für oder Verbrüderung mit den Streikenden reichen nicht aus, so Tillmann Bendikowski. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Patrick Graf
Ein Standpunkt von Tillmann Bendikowski · 09.05.2019
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Hinter der niedlichen Schülerstreik-Fassade steckt politischer Sprengstoff, meint der Historiker Tillmann Bendikowski. Die Jugend werde den älteren Generationen bald die unangenehme Schuldfrage stellen: Wo warst du, als das Klima zerstört wurde?
Schulstreik für den Klimaschutz: Auch morgen werden in vielen europäischen Städten wieder Aktionen der Schüler stattfinden. Seitdem die Mädchen und Jungen auf die Straße gehen, stellen sie auch ihren Eltern kritische Fragen: Warum essen wir so viel Fleisch, warum kaufst du noch Plastikprodukte? Der Historiker Tillmann Bendikowski meint, bald kommt auch die Frage an die ältere Generation: Warum habt ihr die Umweltzerstörung so lange ignoriert?
Machen wir uns nichts vor: Hinter der Fassade vermeintlicher Niedlichkeit lauert politischer Sprengstoff. Mancher mag die Greta Thunbergs dieser Welt mit ihren Pudelmützen und Eisbär-Kostümen noch belächeln, aber im Grunde ahnen wir es längst: Bald ist es mit der Niedlichkeit vorbei, die Pudelmützen und Eisbären werden sich gegen uns richten, und die Jugend wird den vorhergehenden Generationen die Schuldfrage stellen: "Wo warst Du, Adam?", so fragte einst schon Heinrich Böll die Kriegsgeneration.

Reaktionen auf die Jugend: verspotten, verbrüdern, tolerieren

Noch haben die Erwachsenen die Sache mit "Fridays for Future" im Griff. Abgesehen von den selbsternannten Profis, die das Ganze als Kinderkram verspotten, haben sich die meisten für eine von zwei weiteren Strategien entschieden: Da ist zunächst die "Fraternisierung", die vor allem verständnisvolle Eltern betreiben. Sie finden es "total toll" von ihren Kindern, dass sie jetzt die Welt retten – und steigen damit selbst moralisch auf: zu "Parents for Future".
Zudem gibt es die Strategie des wohlwollenden Verständnisses, der sich die breite politische Mitte von den Grünen bis zur Bundeskanzlerin verschrieben hat. So kann Bundeswirtschaftsminister Altmaier die Demonstrierenden loben – wenn sie halt nicht die Schule dafür schwänzen.
Beide Strategien sind beeindruckende Techniken der Erstickung durch Umarmung; haben sich doch alle lieb beim Klima-Retten, oder? Wann wird es wohl den ersten Kindern zu peinlich sein, wenn Mama und Papa freitags mitmarschieren, vielleicht sogar noch der komische Typ vom Wirtschaftsministerium, womöglich der Onkel Gewerkschaftssekretär oder die pensionierte Klassenlehrerin? Wann werden die Kinder merken, dass sich die Erwachsenen so lange auf ihre Seite schlagen, bis es da niemanden mehr gibt, gegen den sie demonstrieren können?

Viele Eltern der Streikenden haben Umweltprobleme ignoriert

Ob Ablehnung, Fraternisierung oder wohlwollendes Verständnis – es ist stets der Versuch, der Schuldfrage auszuweichen. Dabei tragen die Kinder sie längst auf die Straße, denn es waren die Erwachsenen, die ihre Welt kaputt gemacht haben. Und wer die Zerstörung der Umwelt mit verantwortet, darf sich nicht wundern, wenn das zum Zerwürfnis mit den Nachgeborenen führt.
"Warum hast du nichts getan? Hast du wirklich mitgemacht damals?" Alte und ewig junge Fragen. Darauf muss es Antworten geben. Wünschenswert wäre eine aufrichtige, eine erwachsene Reaktion. Scham wäre schon einmal ein Anfang, Reue im Grunde das Mindeste – wirklich angemessen wäre ein Schuldeingeständnis.

Schuldeingeständnis der Älteren wäre wichtig

Bleibt die Frage, wie die Nachgeborenen mit der Schuld der Erwachsenen an der Klimakatastrophe umgehen. Werden sie sich die Zeit für einen fairen Prozess nehmen? Oder gar nicht mehr diskutieren, nicht mehr groß fragen, ob sie Autokonzerne zerschlagen oder Chemieunternehmen enteignen dürfen, ob es Gesetze gibt, die das eine erlauben, das andere aber verbieten? Und wie realistisch ist die Annahme, dass die Verhandlung der Schuldfrage noch in einem demokratischen Rahmen stattfinden wird?
Wenn die Grundlagen des Lebens knapp werden, die Wut der Jungen sich gesteigert hat und der Ton ruppiger geworden ist, dann werden vermutlich nicht nur selbsternannte Profis wünschen, sie hätten damals lieber das spöttische Maul gehalten. Das ist der politische Sprengstoff hinter der Fassade vermeintlicher Niedlichkeit, und deshalb ist es Zeit für ein Schuldeingeständnis und einen daraus resultierenden neuen, gleichberechtigten Dialog mit der protestierenden Jugend. Er könnte in diesem Fall unsere Welt retten.

Tillmann Bendikowski, geboren 1965, Historiker und Journalist. Er ist Leiter der Medienagentur Geschichte in Hamburg. Er verfasst Beiträge für Printmedien und Hörfunk und betreut die wissenschaftliche Realisierung von Forschungsprojekten und historischen Ausstellungen. Für das Museum "Varusschlacht im Osnabrücker Land" realisierte er die Sonderausstellungen "Theodor Mommsen" (2003) sowie "Gesprochen, geschrieben, gedruckt. Wie die Rede auf die Varusschlacht kam" (2007). Er verfasste u.a. "Der Tag, an dem Deutschland entstand. Geschichte der Varusschlacht" (2008), "Friedrich der Große" (2011) und "Sommer 1914" (2014). 2016 veröffentlichte ein Buch über "Helfen. Warum wir für andere da sind", das ein großes Medienecho fand.

Der Historiker Tillmann Bendikowski sitzend auf dem blauen Sofa.
© dpa/picture alliance/Jens Kalaene
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