Klimaschutz

Warum Energiesparmaßnahmen oft zu höherem Verbrauch führen

29:53 Minuten
Eine kleine Lampe leuchtet in der Dunkelheit an einem Strommast.
Schon im 19. Jahrhundert stellten Ökonomen den sogenannten Rebound-Effekt fest: Damals stieg der Kohleverbrauch trotz verbesserter Dampfmaschinen. © Unsplash/Sven Scheuermeier
Von Agnes Handwerk · 14.01.2020
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Mehr Energieeffizienz führt zu Energieeinsparung: Diese Erwartung bestimmt die gegenwärtige Debatte. Doch oft tritt stattdessen ein "Rebound-Effekt" ein: Wer an der einen Stelle spart, verbraucht anderswo mehr. Muss der Klimaschutz andere Wege gehen?
Reger Betrieb vor einem Elektronikkaufhaus. Kunden kommen und gehen. Wie nutzen sie neue Technologien? Wie halten sie es mit dem Energiesparen?
Für Leo Herrdum fängt das beim Autofahren an: "Ich habe einen Eco-Schalter, den ich aktivieren kann, dass das Auto selbst abbremst."
"Man könnte seinen Konsum auf ein Minimum beschränken, um ein Minimum an Energieverbrauch zu haben. Da würde ich spontan auf meine Kaffeemaschine deuten und sagen, dass ich darauf nicht so gerne verzichten würde."
Für den Nächsten, Jan, fängt das Energiesparen auch bei der Mobilität an: "Ich fahre Fahrrad". Aber andererseits: "Unser komplettes Zuhause ist mittlerweile ein Smarthome. Wir steuern viel über Google Home und Amazon Echo, Alexa und google Assistant. Ich finde es ganz gut. Es ist für viele wahrscheinlich unnötig, aber ich sehe schon einen gewissen Zweck. Und ich finde schon, dass man dadurch – ich würde nicht sagen, dass man Zeit spart, aber es ist ganz cool, würde ich behaupten. Wir verwenden das ziemlich viel. Eigentlich überall."

Der Energieverbrauch von Privathaushalten steigt

Energie und Ressourcen sparen ist das Gebot der Stunde. Und tatsächlich ist ja schon viel geschehen. Von der Energiesparlampe, über den TV-Bildschirm bis hin zur Waschmaschine. Viele Geräte sind energiesparender geworden. Das sollte man eigentlich längst auch am Stromverbrauch ablesen können. Doch paradoxerweise ist das Gegenteil der Fall. Der Verbrauch von Privathaushalten steigt immer weiter an.
Der Begriff "Rebound" ist vor allem im Basketball geläufig und bezeichnet Bälle, die vom Korbrand abspringen. Rebound heißt so viel wie Rückstoß oder Abprall. Der Wurf führt nicht nur nicht zum Ziel, sondern der Ball prallt ab und fliegt quasi in Gegenrichtung zurück. In der Ökologie und in der Ökonomie spricht man deshalb von Rebound-Effekten, wenn man mit einer Technologie oder Maßnahme nicht nur die erwarteten Einsparpotenziale nicht erreicht, sondern gegenläufige Effekte hervorruft.
"Moderne Lichtsysteme, die man über WLan steuern kann, diese Technikspielereien führen einfach dazu, dass mehr gemacht wird. Und damit wird ein Teil des technischen Einsparpotenzials, das technisch zur Verfügung stehen würde, wieder kompensiert", sagt Hans Georg Buttermann. Er leitet das EEfa, das Energieprognose Institut. Mit weiteren Wirtschaftsinstituten gehört es zur "Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen". Sie erstellt für das Bundeswirtschaftsministerium die jährlichen Energiebilanzen für die Sektoren Private Haushalte, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen, Industrie und Verkehr. Darin zeigt sich, dass der Stromverbrauch von Haushalten in den letzten Jahren steigt.
"Ich hab alles LED eingebaut, die Lampen mach ich gar nicht mehr aus! Das sind typische Rebound-Effekte, die sieht man nicht direkt in den Energiebilanzen, sondern die muss man mit zusätzlichen Methoden versuchen über die Daten rauszurechnen." So Marco Sonnberger, der untersucht, wie es zu Rebound-Effekten kommt. Er ist Soziologe und arbeitet am Institut für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung an der Universität Stuttgart:
"Wie Studien gezeigt haben, ist das Haushaltseinkommen die entscheidende Einflussvariable auf den Energieverbrauch und damit letztendlich auf den Fußabdruck des Haushaltes. Wenn ich das Geld habe, kann ich mir mehr leisten, ich gebe es dann auch aus. Und so wie unsere Gesellschaft konstruiert ist, sind die meisten Aktivitäten mit Energieverbrauch und dementsprechend mit CO2-Ausstoß und Ressourcenverbrauch gekoppelt."

Unser Alltagsverhalten steckt voller Widersprüche

Grundlage für die Erforschung von Rebound-Effekten waren umfangreiche Diskussionen mit so genannten Fokusgruppen, d.h. mit Nutzern energieeffizienter Technologien. Wie passt sich ihr Verhalten neuen technischen Gegebenheiten an und welchen Einfluss hat es auf Alltagsroutinen und Konsum?
"In der Forschung zum Thema Rebound-Effekte unterscheidet man verschiedene Effekte: Da ist der direkte Rebound-Effekt. Das bedeutet, es gibt eine Energieeffizienzverbesserung im Hinblick auf ein ganz bestimmtes Produkt und im Zuge dieser Energieeffizienzverbesserung wird danach dieses Produkt mehr genutzt, was zur Folge hat, dass das theoretisch mögliche Einsparpotenzial durch die Energieeffizienzverbesserung nicht vollständig ausgeschöpft wird, weil ich das Gut mehr nutze. Beispielsweise ich hatte bisher ein acht Liter Auto, habe mir jetzt ein vier Liter Auto gekauft. Dadurch habe ich eine relativ hohe Spriteinsparung, aber ich kann dieses Geld, das ich dadurch einspare, kann ich wieder reinvestieren, indem ich mehr mit dem Auto fahre. Das wäre der direkte Rebound-Effekt."
Die Wissenschaftler haben jedoch festgestellt, dass der steigende Energieverbrauch allein mit direkten Rebound-Effekten nicht erklärt werden kann. Wenn man das Nutzerverhalten insgesamt untersucht, stößt man auf erstaunliche Verschiebungen des Energieverbrauchs, auf indirekte Rebound-Effekte.
"Der indirekte Rebound-Effekt beschreibt auf Haushaltsebene: Ich habe mir ein effizientes Auto gekauft, ich habe dadurch Einsparungen und das reinvestiere ich dann, in dem ich mir einmal im Jahr einen Kurztrip mit dem Flugzeug nach Barcelona leiste."
Als indirekte Rebound-Effekte bezeichnet die Forschung die kleinen und großen Widersprüche, in die wir uns in unserem Alltag verheddern, obwohl wir doch das große Ziel vor Augen haben: energie- und ressourcensparend zu leben.

Ein Bewusstsein für den Verbrauch bekommen

Auf der IBA, der Internationalen Bauausstellung in Hamburg, wurden 2013 unterschiedliche energieeffiziente Wohnformen vorgestellt. In einer Siedlung mit kleinen Eigenheimen, in den 1950er-Jahren gebaut für Hafenarbeiter, wurde ein Haus exemplarisch zu einem lichtdurchfluteten und effizienten Energiesparhaus umgebaut. Wie in den anderen Siedlungshäusern gehört dazu ein Garten zur Selbstversorgung mit Kartoffeln, Kohl und Gemüse.
Heute geht es um die Selbstversorgung mit erneuerbarer Energie. Eine Familie wurde gesucht, die die Alltagstauglichkeit von Wärmepumpe, Fotovoltaikanlage auf dem Dach und dem ausgeklügelten Lüftungssystem testen sollte. Die Wahl fiel auf Familie Oldendorf. Seit sieben Jahren wohnen Christian Oldendorf, seine Frau und die beiden Söhnen in diesem Energiesparhaus im Süden von Hamburg:
"Mit dem Einzug in das LichtAktiv Haus, mit dem Monitoring über den Computer, dass man wirklich gesehen hat, was man tagtäglich verbraucht an Kilowatt und was man wiederum über die Sonnenenergie einnehmen kann an Kilowatt, dann bekommt man ein ganz anderes Bewusstsein für den Verbrauch und für die Einnahmen und was es für Möglichkeiten gibt, tatsächlich das zu steuern. Und man kriegt ein Bewusstsein dafür, dass man auch durch Kleinigkeiten wie Licht aus, immer drauf achten, oder moderne Techniken, Strom sparen kann."
Das Modell zeigt das Gelände der Internationalen Bauausstellung (IBA) Hamburg, unter anderem mit dem Energieberg, aufgenommen am 01.11.2013 in Hamburg-Wilhelmsburg.
Auf der Internationalen Bauausstellung in Hamburg 2013 war Energie und Wohnen ein großes Thema.© picture alliance / dpa / Pauline Willrodt
Über zwei Jahre hat die Technische Universität Braunschweig ein Monitoring durchgeführt d.h. Heizung, Fotovoltaik- und Lüftungsanlage wurden auf ihre Wirkungsweise überprüft und nachjustiert. Inzwischen gehört Familie Oldendorf das Haus. Sie wollten nicht mehr zurück in ihre ehemalige Etagenwohnung, in der sie schon am frühen Nachmittag das Licht anmachen mussten und in der sie so gut wie keinen Einfluss auf ihren Energieverbrauch hatten.
"Unser Stromverbrauch und die Einnahmen über unsere Fotovoltaikanlage sind übers Jahr gerechnet kostenneutral, obwohl wir sogar zum Teil für unseren Elektrowagen nachts Strom aufladen."

Mit dem eingesparten Geld eine Flugreise finanziert

Das LichtAktiv-Haus war als Modellprojekt gedacht. Allerdings sind in der Siedlung mit insgesamt über tausend Haushalten nur drei Eigenheimbesitzer dem Beispiel gefolgt. Nicht einmal auf neu gedeckten Dächern sind Fotovoltaik-Anlagen zu sehen. An fehlenden finanziellen Mitteln kann es nicht liegen. So jedenfalls ist der Eindruck. Das Geld wird in das Auto vor der Haustür gesteckt.
In ihrem Umfeld gibt es keine Anzeichen für ein Umsteuern im Energieverbrauch. Da fällt es Christian Oldendorf nicht leicht, seine beiden Söhnen davon zu überzeugen, dass sie als Familie an ihrer energiesparenden Lebensweise festhalten.
"Das Streitgespräch geht dann oft dahin: Papi, wir tun doch schon mehr als viele andere, weil wir ein umweltbewusstes Haus haben und ein Elektroauto fahren! Sollen andere erst einmal mitmachen und so leben wie wir! Damit haben sie ein Stück weit recht, aber trotzdem muss jeder für seine Ideale auch auf die Straße gehen."
Die Oldendorfs machen sich Gedanken über ihren CO2-Fußabdruck und können für sich in Anspruch nehmen: sie wohnen klimaneutral. Aber Heizung und Stromverbrauch sind nicht alles im Leben.
"Ein großes Thema ist bei uns: Fernreisen. Mein großer Sohn, der ist 16 Jahre alt und ein großer Barcelona-Fan. Für den ist das Größte, mal übers Wochenende nach Barcelona zu fliegen und dort seine Mannschaft live zu sehen. Und da fragt man sich natürlich schon: einerseits kann man da für 14,99 hinfliegen, andererseits ist dann die Umweltbelastung dafür total hoch. Und das sind dann so Streitgespräche. Es ist nicht so, dass wir so was gar nicht machen und wir waren dieses Jahr auch in Thailand und wir möchten auch den Kindern die Welt zeigen, aber man muss dann ein gesundes Maß finden."
Die Oldendorfs sind damit nicht alleine. Trotz "Fridays for Future" und Demonstrationen gegen den Klimawandel verzeichnen Fernreisen weiterhin Zuwachsraten. Es besteht offenbar eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Gerade bei energieeffizienten Haushalten fließt eingespartes Geld oft in Fernreisen. Zu diesem Ergebnis kommen eine Reihe von empirischen Untersuchungen. Das eine schließt das andere scheinbar nicht aus: bei Demonstrationen von "Fridays for Future" ist Familie Oldendorf dabei.

"Der Mensch ist komfort-verwöhnt"

Auch Hans-Jörg Peter hat zusammen mit seiner Tochter für mehr Klimaschutz demonstriert. 30.000 Demonstranten haben bei eisigem Wind die Hamburger Innenstadt für ein paar Stunden lahm gelegt. Nun wärmt er sich auf, bei einer Tasse Tee in gepflegter Atmosphäre:
"Ich bin Energieberater und Architekt und beschäftige mich schlicht damit, Wohngebäude zu sanieren und weise Bauherrn immer darauf hin, dass es sich in dem Sinne nicht rechnet: Wenn man in eine Haussanierung hunderttausend Euro investiert, so viel Öl kann kein Mensch einsparen, dass es sich rechnet. Es lohnt sich, aber es rechnet sich nicht."
Ein Flugzeug fliegt bei strahlendem Sonnenschein tief über einem Strand mit Reihen voller Liegen und Touristen.
Indirekter Rebound-Effekt: das durch Energieeffizienz eingesparte Geld für eine Flugreise ausgeben.© imago/Eibner Europa
Das heißt, die Kosten einer energieeffizienten Gebäudesanierung lassen sich mit Einsparungen nicht hereinholen, auch wenn es einen Zuschuss von durchschnittlich zehn Prozent gibt. Siebzehn Milliarden Euro hat der Bund für Energieeffizienz-Maßnahmen in den Jahren von 2015 bis 2020 bereitgestellt, von der Gebäudesanierung bis zur Förderung der Elektromobilität. Verpuffen die Fördermittel, wenn der Eigenheimbesitzer energieeffizient wohnt, aber mit einer Fernreise dann doch einen fetten CO2-Fußabdruck hinterlässt? Hans-Jörg Peter wehrt ab.
"Nicht weil man sein Haus saniert, fliegt man einmal mehr nach Südostasien. Aber was ich schon gesagt habe, dass der Mensch komfort-verwöhnt ist und alles tut, was möglich ist. Das wird man ihm auch nicht austreiben, und wenn es möglich ist, für kleines Geld nach Südostasien zu fliegen, dann wird er das tun und so oft, wie er sich das leisten kann. So lange Kerosin steuerlich begünstigt ist und wir von Umweltschutz reden, wird sich da nichts verändern. Fliegen ist viel zu billig. Ich nutze das auch. Ich bin auch ein Schwein. Ich war Anfang des Jahres in Nepal. Es war wunderschön, ich möchte es nicht missen, aber es ging halt nur, weil der Flug hin und zurück 550 Euro gekostet hat!"

Über den CO2-Preis aus der Wachstumsfalle?

Mit dem Klimapaket der Bundesregierung wird ein Preis für CO2 eingeführt, mit dem sich alle fossile Brennstoffe von Öl über Benzin bis zu Kerosin schrittweise verteuern werden. Der CO2-Preis geht zurück auf einen Vorschlag von Ökonomen. Einer seiner Wegbereiter ist Christoph Schmidt, Direktor des RWI, dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen und Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Er ist überzeugt, dass ein CO2-Preis das Nutzerverhalten verändert und Einfluss auf Rebound-Effekte hat:
"Dadurch, dass durch den CO2-Preis erst einmal bewusst gemacht wird, was wir mit jeder einzelnen Aktivität, mit jeder einzelnen Konsumentscheidung tun, kann schon auch eine gewisse Umsteuerung im Konsum bewirkt werden. Ich glaube, Menschen wollen vielfältige Lebensentwürfe verfolgen und deswegen ist es immer schwer zu sagen, welches Element des Konsums eines Haushalts ist etwas, was man gar nicht braucht.
Da hat jeder eine eigene Meinung und wir wollen doch nicht eine Situation haben, in der die Meinung einer Gruppe in der Gesellschaft das Verhalten der anderen Gruppe in der Gesellschaft dominiert, sondern wir wollen eine freiheitliche Gesellschaft, in der sich alle weitgehend frei entfalten können, so lange sie der Gemeinschaft - und das ist der Punkt - nicht schaden. Ich bin überzeugt, dass wenn wir ein CO2-Bepreisungssystem eine Zeitlang haben, dass das ganz automatisch zu einem vollkommen veränderten Konsum führen kann, ohne dass da jemand mit einem erhobenen Zeigefinger steht und sagt: was tust du da gerade wieder?!"

Plädoyer für Konsumverzicht

Dass marktwirtschaftliche Instrumente wie der CO2-Preis ausreichen, um den Energieverbrauch und den Konsum zu reduzieren, stellen Umweltverbände infrage und fordern in ihrem Handlungsprogramm zur Klimakrise von der Bundesregierung konkrete Pläne, wie die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden sollen. Die Hamburger Sozialdemokraten wollen die Meinungsbildung in der Klimadebatte nicht den Umweltverbänden überlassen und laden ein zu einer Diskussionsveranstaltung unter dem Motto "Könnt' ja gut werden" mit dem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher und dem Wissenschaftler Dirk Notz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg:
"Um den Klimawandel zu stoppen, müssen wir die Netto-CO2-Emission auf Null reduzieren. Wir dürfen als Menschheit nicht zusätzlich CO2 in die Atmosphäre bringen, ansonsten wird es wärmer und wärmer werden. Und was mir dabei ganz wichtig ist: Ich fände es total schön, sich vorzustellen, wie so ein klimaneutrales Hamburg aussehen würde. Nicht immer von Verzicht da und da zu sprechen, sondern vom Ende her denken, positiv denken, das war das, was ich euch mitgeben wollte."
Dirk Notz bringt dem Publikum die Folgen des Klimawandel in der Arktis aus eigener Anschauung nahe und plädiert für Konsumverzicht. Der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher umgeht das heikle Thema "Verzicht" und weckt stattdessen große Hoffnungen auf neue Technologien.
"Die Erde erreicht unheimlich viel Energie über die Sonne. In wenigen Stunden so viel, wie die Menschheit ein ganzes Jahr braucht. Wir müssen nur die Technik haben, um es zu nutzen, umzuwandeln, zu speichern. Und da brauchen wir kluge Lösungen und ich glaube, wir brauchen viel Technologie."

Die Ölkrise der 1970er: ein enormer Rebound-Effekt

Die Einsparung von Energie durch neue Technologien hat Mitte des 19. Jahrhunderts als Erster der Ökonom William Stanley Jevons in Frage gestellt. Auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution in England beobachtet er, dass die Industrien trotz Verbesserungen dampfbetriebener Maschinen mehr Kohle als zuvor verbrauchten. Der Grund war offensichtlich: energieeffizientere Produktionsmethoden führten zu mehr Produktion und Konsumption. Jevons Analyse trägt den nüchternen Titel "The Coal Question" - die Kohlefrage:
"Es ist eine irreführende Annahme, dass mit der Einsparung von Kraftstoff der Verbrauch zurückgeht. Genau das Gegenteil ist der Fall."
Jevons Paradoxon wurde in der Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre von den Ökonomen Leonard Brookes und Daniel Khazzoom wieder aufgegriffen. Mit der Drosselung der Öllieferungen verteuerten sich die Rohölpreise. Das führte zu mehr Nachfrage nach verbrauchsarmen Autos und im Ergebnis zu einem enormen "Rebound-Effekt".
"Der OPEC-Ölschock brachte enorme Verbesserungen in der Energieeffizienz, vor allem beim Ölverbrauch. Aber drei Jahrzehnte später stellen wir fest, dass diese Innovationen für mehr Effizienz am Ende den weltweiten Verbrauch von Rohöl weiter angeheizt haben."

Energieeffizienz wird als Allheilmittel propagiert

Die Analyse von Brookes und Khazzom fand unter Ökonomen ungeteilte Zustimmung, d.h. Rebound-Effekte sind in der Ökonomik als relevante Größe anerkannt. Trotzdem wird immer noch Energieeffizienz als Allheilmittel propagiert. "Efficiency First" ist ein Motto für ein milliardenschweres Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministerium, obwohl der Sachverständigenrat für Umweltfragen festgestellt hat, dass bei Effizienzmaßnahmen nur fünfzig Prozent der rechnerisch veranschlagten Einsparungen tatsächlich realisiert werden.
Um das im Auge zu behalten, soll mit dem neuen Klimapaket die Wirksamkeit der Maßnahmen zum Klimaschutz ständig überprüft werden. Den Monitoring-Prozess wird das Umweltbundesamt durchführen, erklärt Benno Hain vom Kompetenzzentrum für Klimafolgen und Anpassung des UBA:
"Ich messe dem Rebound-Effekt eine große Bedeutung bei. Wir müssen ein Gefühl dafür bekommen, wo durch die Setzung von Rahmenbedingungen auch eine Verhaltensänderung nicht nur stimuliert, sondern auch bewirkt wird. Ich finde es sehr gut, dass im Klimaschutzgesetz der Ansatz verankert ist, dass wir die Wirksamkeit von Maßnahmen überprüfen, ein jährliches Monitoring machen, Und ich glaube dahinter muss auch viel Analyse und Bewertungskompetenz stecken, um sagen zu können, warum funktionieren bestimmte Dinge und warum nicht."
Welche Lenkungswirkung das CO2-Bepreisungssystem entfalten wird, das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhersagen. Der Ökonom Christoph Schmidt betrachtet es deshalb als ein lernendes System:
"Das ist ja mehr oder weniger eine rein naturwissenschaftlich-technische Sache. Ob ich einen Liter Benzin nehme oder einen Liter Diesel, da weiß ich aus den naturwissenschaftlichen Gegebenheiten ziemlich genau, wie viel CO2 mit deren Nutzung verbunden ist. Was ich aber nicht so im Griff habe als politischer Entscheidungsträger, und das ist auch gut so, das ist das menschliche Verhalten. Das heißt, wir wissen nicht so genau, wie viel Aufschlag auf den Benzinpreis braucht es, um Menschen sagen wir mal zu 10, 20, 30 Prozent weniger Mobilitätsnachfrage zu bringen. Das wissen wir nicht, weil wir das noch nie so ausprobiert haben. Das heißt, jedes Bepreisungssystem muss auch als lernendes System angelegt sein, bei dem man die Preise sich auch an diese Gegebenheiten anpassen lässt."

Wachstum muss einen Preis haben

Das vorgegebene Ziel heißt Dekarbonisierung der Wirtschaft. Wachstum hat künftig einen Preis: den für CO2. Christoph Schmidt ist zuversichtlich, dass mit einem solchen marktwirtschaftlichen Instrument der Transformationsprozess gelingen kann.
"Das übergreifende Ziel sind die auf europäischer Ebene vereinbarten Reduktionsziele für die Emissionen. Die sind das, was wir für verbindlich ansehen sollten, und dann sollten wir uns möglichst herantasten an ein System, das diese Ziele erreichbar macht. Ein Bepreisungssystem ist im Gegensatz zu einem Verbotssystem, das durch Gebote und Verbote funktioniert, volkswirtschaftlich gesehen absolut überlegen."
"Ökonomen, die für eine konsequente ökologische Wende in der Wirtschaft eintreten, fordern dagegen eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch. Um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen, sehen sie nur eine Möglichkeit: die Abkehr von der Prämisse des Wachstums. Die Gründe sind einleuchtend: Steigt die Produktivität in der Wirtschaft, wird mehr Energie verbraucht. Ein Weg, um Rebound-Effekte zu vermeiden, wäre im Grunde eine Abkehr von der Konsumgesellschaft, wären andere gesellschaftliche Werte wie zum Beispiel Genügsamkeit. Doch es gibt keine Anzeichen dafür, dass ein solcher wirtschaftlicher Umbau politisch gewünscht oder gar durchsetzbar ist."
Die hier beschriebenen Rebound-Effekte handeln von Verhältnissen, in denen Menschen ökologisch bewusst leben, aber es aufgrund ihres Einkommens zu direkten oder indirekten Rebound-Effekten kommt, d.h. ihr Energieverbrauch steigt, weil sie mit ihrem Elektroauto mehr fahren oder sich Fernreisen leisten. In Studien wurde festgestellt, dass starke Rebound-Effekte auch in Haushalten mit niedrigen Einkommen auftreten. Allerdings geht es hier um grundlegendere Bedürfnisse, z.B. wie sehr muss ein Haushalt an Heizkosten sparen? Der Soziologe Marcus Sonnberger hat das untersucht:
"Der Rebound-Effekt ist nicht nur ein ökologisches Problem, sondern damit ist auch eine soziale Frage verbunden. Sollten Haushalte, die sich in irgendeiner Form einschränken müssen im Hinblick auf Raumwärme oder auch Individualmobilität, ist es nicht berechtigt, wenn die durch Effizienzverbesserungen dann die Möglichkeit haben, diese Bedürfnisse in einem stärkeren Ausmaß zu befriedigen?"

Umweltfreundliche Strukturen schaffen statt appellieren

Mit dem CO2-Preis wird sich Energie verteuern. Haushalte mit geringem Einkommen sollen dann entlastet werden. Aber vielleicht fließt dann dieses Geld ausgerechnet in die lang ersehnte Fernreise, die die CO2-Emissionen, die anderswo eingespart wurden, wieder erhöhen. Mit Geboten und Verboten ist das Dilemma nicht lösbar, meint Marcus Sonnberger:
"Die Appelle an Individuen, sie sollten bewusster konsumieren, sie sollen weniger konsumieren sind nur bedingt hilfreich. Letztendlich sind wir auch in Strukturen gefangen und dementsprechend springt da der Appell auch zu kurz. Es müssen Strukturen geschaffen werden, die umweltfreundliches Handeln automatisch machen!"
Solche Strukturen sind im Entstehen. Wie Industrie, Energieversorger und Stadtplanung neu ineinandergreifen müssen, zeigt ein Beispiel aus Hamburg. Im Hamburger Hafen soll in Zukunft industrielle Abwärme besser genutzt werden. Die Kupferhütte Aurubis ist dafür Vorreiter. In der Vergangenheit war die Affi, die Norddeutsche Affinerie, so hieß die Kupferhütte früher, bekannt als großer Umweltverschmutzer. Inzwischen erfüllt der Dax-Konzern strenge Umweltvorgaben. Ulf Gehrckens ist bei Aurubis zuständig für Energie und Klimaschutz:
"Wir haben ja schon quasi alles Mögliche elektrifiziert! Die alten Kohleschachtöfen sind ersetzt durch Elektroöfen. Da, wo die deutsche Wirtschaft noch hinkommen soll in 2050, da sind wir schon. Wir haben schon zwei Drittel indirekte und ein Drittel direkte CO2-Emission und die lösen aus, um Haushalte zu erwärmen und damit CO2 wieder einzusparen."
Als Aurubis seine Produktionsanlage für die Schwefelsäurereinigung erneuerte, war das eine Gelegenheit, eine Auskopplung für Wärme einzubauen. Wirtschaftlich war das aber nur, weil ein Energieversorger die Abnahme fester Mengen industrieller Abwärme garantieren konnte, mit der er ein neues Stadtgebiet versorgt.

Modellprojekt Hamburger Hafencity

Im östlichen Teil der Hamburger Hafencity stehen große Wohnblöcke im Rohbau. Entlang des Baakenhafens sind die ersten Mieter schon eingezogen. Projektmanager Jürgen Desler beschreibt die Anforderungen der Hafencity GmbH, einer Stadtentwicklungsgesellschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, an Energieversorger und Bauherren, die hier investieren wollen.
"Wir haben von vornherein das gesamte Gebiet ausgeschrieben, also eine Konzession ausgeschrieben für die Wärmeversorgung und haben gesagt, wir können über die Grundstücksverkäufe sicherstellen, dass sich jedes Projekt an das ausgesuchte Versorgungsunternehmen anschließt. Und die Ansprüche, die haben sich festgemacht an internationalen und städtischen Klimazielen."
Auch die Rahmenbedingungen für Mobilität sind neu geregelt. Parkplätze stehen den Mietern nur eingeschränkt zur Verfügung. Dafür ist der Stadtteil bereits mit einer neuen U-Bahn-Linie erschlossen und zusätzlichen Car-Sharing-Angeboten. Das war nicht immer so. Im ersten Teil der Hafencity war der Bau von Tiefgaragen noch zugelassen. Obwohl das Stadtzentrum und die nächste U-Bahn fußläufig zu erreichen sind, fahren die Bewohner, einer nach dem andern, morgens mit dem Auto zur Arbeit – auch wenn es nur drei Kilometer sind. Das wird in dem neuen Teil der Hafencity nicht mehr möglich sein. Die Bewohner haben keine Wahl. Sie sind verpflichtet ihre Heizwärme von dem Energieversorger zu beziehen, der die entsprechende Konzession hat und für ein eigenes Auto gibt es im Wohngebiet keinen Parkplatz. So entstehen Strukturen, mit denen Rebound-Effekte vermieden werden.
An den Energiebilanzen wird sich ablesen lassen, welche Fortschritte durch Strukturveränderungen erzielt werden. Doch viel, so Hans-Georg Buttermann von der EEfa. hängt nach wie vor vom Verhalten eines jeden Einzelnen ab:
"Sei's drum, ob man die Kinder zur Schule fährt, sich leistungsfähige Computer kauft, die schneller sind, aber mehr Energie verbrauchen als das alte Gerät. Oder typische Gamer-PCs, die Kinder und Jugendliche haben wollen, brauchen mehr Energie, sind aber zum Spielen supertoll geeignet im Gegensatz zu einem energieeffizienten Laptop, auf dem man nicht so gut spielen kann. Die Bedürfnisse stehen an erster Stelle und an zweiter Stelle erst die Frage, kann ich da was an der Energieeffizienz machen? Ich glaube nicht, dass jemand auf sein Smartphone oder Tablet verzichtet, weil es gut für das Klima ist. So weit geht die Liebe zum Klima nicht. Es wäre aber zumindest eine Sache, über die man nachdenken müsste, wenn man die Ziele, die gesteckt sind, ernst nimmt."
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