Klimaschutz und digitaler Wandel

"Erst nachdenken, dann digitalisieren"

Reader mit E-Book-Seite
Für die Ökobilanz spielen e-Books nur eine Nebenrolle © photocase.de
Tilman Santarius im Gespräch mit Dieter Kassel  · 12.02.2018
Klimaexperte Tilman Santarius setzt sich für eine "sanfte Digitalisierung" ein. Er warnt vor dramatischen ökologischen Folgen, beispielsweise beim steigenden Energieverbrauch durch das Internet der Dinge.
Es gebe für die Digitalisierung bisher nur Ökobilanzen auf der Mikroebene, sagte der Klimaexperte Tilman Santarius im Deutschlandfunk Kultur. Da werde verglichen, wie viel Energie und Ressourcen die Produktion eines gedruckten Buches im Vergleich zum e-Book verbraucht habe.
"Da wird man merken, dass sich ungefähr nach 30 bis 60 Büchern so ein E-Book überhaupt erst anfängt ökologisch zu lohnen", sagte der Leiter des Forschungsprojektes Digitalisierung und sozialökonomische Transformation der Technischen Universität Berlin und des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung. "Aber wie viel jetzt die gesamte Digitalisierung unserer Gesellschaft an Ressourcen, an Energie verbraucht, auf der Makroebene sozusagen, da gibt es kaum Untersuchungen."

Mehr Stromverbrauch zu erwarten

Wer 60 bis 80 Bücher lese, könne mit dem E-Book zwar etwas einsparen, aber wenn man sich den Markt insgesamt ansehe, würden trotzdem so viele gedruckte Bücher verkauft wie noch nie.
"Dass heißt, wir rüsten nicht ökologisch ab beim Verkauf von Büchern, sondern die E-Books kommen on top oben drauf."
Das Beispiel zeige, wie die Digitalisierung eher zu mehr Konsum führe.
Für das "Internet der Dinge" erwartet der Wissenschaftler ebenfalls einen zusätzlichen Ressourcenverbrauch, um diese internettauglichen Dinge herzustellen. Schon heute beträgt der Anteil des Internets am deutschen Stromverbrauch rund acht Prozent. In diesem Bereich befürchtet Santarius Steigerungen von 30-50 Prozent bis zum Jahr 2030.

Spielereien lieber lassen

Santarius forderte deshalb, nicht die maximalen Profite auszuschöpfen, sondern mit Vorsicht zu überlegen, in welchem Bereich die Digitalisierung sinnvoll sei und wo man Spielereien und digitale Gadgets lieber lasse.
"Ich bin für eine sanfte Digitalisierung, das heißt erst nachdenken, dann digitalisieren – nicht Digitalisierung first, Bedenken second."

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Auf der ganzen Welt hegen Politiker und Unternehmer, zum Teil aber durchaus auch Umweltschützer große Hoffnungen, was die Digitalisierung betrifft in Bereichen wie Verkehr, Industrie, Landwirtschaft und anderswo. Sie soll entscheidend zu mehr Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit beitragen. Aber wird sie diese Erwartungen wirklich erfüllen können?
Das ist ein Thema für Tilman Santarius, er ist der Leiter des Forschungsprojekts "Digitalisierung und sozialökonomische Transformation", das ist ein Gemeinschaftsprojekt der TU Berlin und des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung. Und er ist einer der beiden Autoren des am 26. Februar erscheinenden Buches "Smarte grüne Welt?" – mit einem Fragezeichen am Ende. Herr Santarius, einen schönen guten Morgen!
Tilman Santarius: Guten Morgen, hallo!
Kassel: Versuchen wir doch, positiv anzufangen! Gibt es denn für Sie Bereiche, wo man wirklich davon ausgehen kann, da wird die Digitalisierung Verbesserungen bringen, was Ressourcenverbrauch, was Umweltschutz angeht?
Santarius: Ja, ich denke mir, dass man in verschiedensten Bereichen mithilfe von digitalen Tools Ressourcen einsparen kann, das sehen wir ja schon im Alltag. Wenn wir jetzt anfangen, nur noch E-Books zu lesen und keine Bücher mehr zu kaufen und auch zu den Viellesern gehören, also wirklich ganz viele Bücher lesen, dann, denke ich, können wir an der Stelle Ressourcen einsparen.

Ökologie als Nebensatz

Kassel: Aber was nun wirklich die ganz großen Dinge angeht, Verkehr, Landwirtschaft zum Beispiel … Also manchmal höre ich da Meinungen, die so klingen, als würde man, wenn man alles digitalisiert, ohne sonst was zu tun, plötzlich die Hälfte an Ressourcen einsparen. Das scheint mir doch ein bisschen im Reich der Fantasie zu blühen, oder?
Santarius: Ja, die Ziele, die mit Digitalisierung verfolgt werden, sind natürlich sehr vielfältig. Aber ehrlich gesagt, die ökologischen Ziele stehen dann selten im Vordergrund. Meistens wird das so im Nebensatz gesagt, dass man auch dabei gleich dann noch die Umwelt schützen könnte, das wird aber nicht durchgerechnet und häufig geht es auch um was ganz anderes. Und wenn man eben alle möglichen Lebens- und Wirtschaftsbereiche jetzt durchdigitalisiert, dann wird vergessen, dass dadurch der Aufbau der Infrastrukturen und der Verbrauch der Geräte alleine schon so stark ins Gewicht fallen, dass sich viele, viele Sachen nicht lohnen aus ökologischer Sicht.
Kassel: Was denn zum Beispiel nicht?
Santarius: Was sich nicht lohnt?
Kassel: Ja.
Santarius: Ja, ich glaube, im Bereich Industrie 4.0 zum Beispiel wird schnell erwähnt, dass man damit auch ein Win-Win für die Ökologie erzielen könnte und für die Ökonomie, aber dass es in erster Linie darum geht, die Unternehmen fit zu machen für den Weltmarkt, den Absatz zu steigern, die Produktion zu steigern, also Wachstum zu erzeugen, und dass das am Ende sogar eher mehr Ressourcen und mehr Energie verbraucht.

Ökobilanz in den Kinderschuhen

Kassel: Nun sind wir ein bisschen ja, was diese Frage angeht, in der Die-einen-sagen-so-die-anderen-so-Situation, aber wir reden ja am Ende doch um Fakten. Gibt es denn überhaupt schon seriöse Berechnungen? Wenn wir zum Beispiel so was Simples nehmen wie den Stromverbrauch von Serverparks, darüber wird immer wieder gesprochen, aber nun nur zu wissen, wie viele Kilowattstunden da verbraucht werden, ist ja noch nicht so sehr das Endergebnis, was die Ökobilanz angeht. Gibt es da überhaupt schon seriöse Berechnungen?
Santarius: Also über den Energieverbrauch und damit auch die CO2-Emissionen gibt es ganz gute Berechnungen. Nun sprechen Sie die Serverparks an, der Energieverbrauch ist natürlich nur ein Bereich. Wie viele Ressourcen, wie viel seltene Erden, wie viel Kobalt, wie viel Mangan, wie viel Rhenium und verschiedenste andere seltene Metalle da reinfallen und da verbraucht werden, dafür gibt es eigentlich keine sehr guten Berechnungen. Also die ganzen Ökobilanzen, was die Ressourcen betrifft, sind noch in den Kinderschuhen.
Kassel: Nun muss man aber ja beide Seiten sehen. Sie haben das Beispiel mit den E-Books gebracht, lassen Sie mich was Ähnliches bringen, nehmen wir Telefonbücher! Da gibt es erste Länder, die die nicht mehr drucken lassen, bei uns werden sie ja noch gedruckt. Wenn man jetzt zum Beispiel berechnen würde, wie viel Strom verbraucht ein Serverpark, der uns die Daten zur Verfügung stellt, müsste man ja auf der anderen Seite gucken: Was sparen wir auch an Ressourcen ein, indem wir die Dinger nicht mehr drucken und durchs ganze Land transportieren? Also wirklich eine Endrechnung scheint mir doch in manchen Bereichen noch zu fehlen!
Santarius: Genau, es gibt Ökobilanzen auf der Mikroebene, also ein Buch versus ein E-Book, und dann kann man noch einberechnen, wie viel Energie und Ressourcen sind dann in die Produktion des E-Books reingefallen, dann wird man merken, dass sich ungefähr nach 30 bis 60 Büchern so ein E-Book überhaupt anfängt ökologisch zu lohnen. Aber wie viel jetzt die gesamte Digitalisierung unserer Gesellschaft an Ressourcen, an Energie verbraucht, auf der Makroebene sozusagen, da gibt es kaum Untersuchungen. Und hier, denke ich, muss auch die größte Vorsicht angezeigt sein.
Wir sehen, natürlich kann man mit einem E-Book wirklich was einsparen, wenn man jetzt ein Vielleser ist, wenn man 60, 80, 100 Bücher liest auf so einem Gerät, bevor man es dann verschrottet oder bevor es einem runterfällt und es kaputt geht oder bevor man sich ein neues kauft, aber insgesamt werden trotzdem so viele Bücher verkauft wie noch nie. Das heißt, wir rüsten nicht ökologisch ab beim Verkauf von Büchern, sondern die E-Books kommen on top oben drauf. Und das ist die Makrosicht und hier sehen wir dann eben, dass Digitalisierung eher zu mehr Konsum führt und nicht insgesamt ersetzt und ökologisch zu Einsparungen verhilft.

Spielereien lieber lassen

Kassel: Das ist ein interessantes Phänomen. Allein die deutsche Industrie nur hat da Zahlen von sich gegeben, dass sie durch das sogenannte Internet der Dinge ein Umsatzplus, ich glaube sogar ein Gewinnplus von 30 Milliarden Euro erwartet. Das klingt jetzt wirtschaftlich natürlich reizvoll. Aber wenn es denn wahr wäre – auch diese Zahl ist erst mal spekulativ –, was würde denn das ökologisch bedeuten?
Santarius: Ja, ökologisch, wenn jetzt die allermöglichsten Geräte, T-Shirts, Socken, der Toaster, der Kühlschrank, alle mit dem Internet verbunden werden, dann wird hier natürlich erst mal ein großer Ressourcenverbrauch für die zusätzliche Herstellung dieser internettauglichen Geräte nötig, aber vor allen Dingen auch im Energieverbrauch. Mit dem Internet der Dinge, wenn das wirklich so drastisch zunimmt, wird der Energieverbrauch stark zunehmen. Heute verbraucht das Internet ja ungefähr acht Prozent des deutschen Stromverbrauchs, im Weltdurchschnitt sind es ungefähr zehn Prozent, das kann auf 30 bis 50 Prozent des Stromverbrauchs in den nächsten zwölf Jahren ansteigen bis zum Jahr 2030.
Wenn man sich das vorstellt, 50 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland fürs Internet, das wäre wirklich eklatant viel, da ist der Ökologie sicherlich kein Dienst mit getan. Und deswegen geht es eher darum, hier nicht die maximalen Profite auszuschöpfen und extrem durchzudigitalisieren, sondern mit Vorsicht, mit Bedacht zu überlegen, in welchen Bereichen ist das sinnvoll, wo können wir dann insgesamt einsparen und wo sollte man vielleicht Spielereien und digitale Gadgets lieber lassen.

Nicht blind hinterherlaufen

Kassel: Wir können uns glaube ich schnell darauf einigen, die Digitalisierung ist insgesamt ja nicht aufzuhalten und sie ist ja auch kein kompletter Unsinn, aber das heißt, Sie plädieren für so etwas wie eine langsame, oder Sie nennen das glaube ich selber auch: sanfte Digitalisierung?
Santarius: Ja, genau. Die Disruption, die disruptive Digitalisierung, das war ja das Wort des Jahres vor ein paar Jahren. Und immer noch denken viele Unternehmer_innen, aber auch Politiker_innen, dass man da also mit der Digitalisierung disruptiv alle möglichen Geschäftsfelder und Konsumbereiche ändern sollte. Das führt dann dazu, dass häufig nicht nachgedacht wird, sondern dass man dann einfach blind einer Technologie hinterherläuft. Ich bin für eine sanfte Digitalisierung, das heißt erst nachdenken, dann digitalisieren, nicht Digitalisierung first, denken second.
Kassel: Tilman Santarius, er ist Leiter des Forschungsprojekts "Digitalisierung und sozialökonomische Transformation" und zusammen mit Steffen Lange Autor des Buchs "Smarte grüne Welt?", das Ende des Monats erscheint im oekom verlag. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Santarius!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Buchtipp:

Steffen Lange und Tilman Santarius: "Smarte grüne Welt?"
oekom-Verlag, 2018
15 Euro

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