Klimapsychologie

Was kann ein Einzelner gegen den Klimawandel ausrichten?

07:47 Minuten
Leute rennen vor einer riesigen Welle weg (Illustration).
Der Klimawandel ist nur noch schwer zu stoppen. Gerade als Privatperson können wir den CO2-Ausstoß nur geringfügig beeinflussen. © imago / fStop Images / Malte Müller
Von Pia Rauschenberger · 28.10.2021
Audio herunterladen
Sich vegan ernähren, nicht mehr fliegen oder gar auf Kinder verzichten: All das soll helfen, den ökologischen Fußabdruck klein zu halten und CO2 zu sparen. Aber können Privatpersonen wirklich etwas hinsichtlich des Klimawandels bewirken?
Vor zweieinhalb Jahren beschloss Lea Dohm, ihr Leben zu verändern, als Reaktion auf die Klimakrise. Sie begann, vegetarisch zu kochen, weniger Auto zu fahren, nicht mehr zu fliegen. "Das ist für mich schmerzhaft, weil ich nämlich vorher total gerne in den Urlaub geflogen bin beziehungsweise andere Länder entdeckt habe und gereist bin", erzählt sie. "Es hat sich schon angefühlt wie ein kleiner Verlust." Wie Lea Dohm versuchen viele Menschen weltweit, ihr Leben klimagerechter zu leben: sie benutzen Mehrwegkaffeebecher, kaufen regionale Produkte und fahren mehr Fahrrad.

Weniger Kinder, kein Auto, vegane Ernährung

Susan Joy Hassol ist Klima-Kommunikatorin. Sie arbeitet seit Jahren daran, Menschen beizubringen, was sie tun können, um die Klimakrise zu bremsen: "Die fünf wichtigsten Dinge sind: ein Kind weniger zu bekommen, ohne Auto zu leben, Flugreisen zu vermeiden, grüne Energie zu beziehen und vegetarisch oder vegan zu leben."
Privatpersonen allein können die Klimakrise jedoch auch bei noch so vorbildlichem Alltagsverhalten nicht aufhalten. Timothy Gutowski, Professor am Massachusetts Institute of Technology hat 2007 mit Studierenden berechnet, wie viel CO2 verschiedene soziale Gruppen in den USA pro Jahr verursachen. Ergebnis: selbst obdachlose Menschen, die in Suppenküchen aßen und in Obdachlosenunterkünften schliefen, hatten einen CO2-Fußabdruck von mehr als acht Tonnen pro Jahr – weit über dem, was CO2-neutral wäre.

Soziale Infrastruktur ist oft kaum klimaneutral

Ein Grund: Soziale Infrastrukturen wie Polizei, Straßen oder Büchereien – gebaut oder betrieben mit CO2-intensiver Energie – wurden allen Gruppen gleich zugerechnet. Nicht ganz so drastisch aber ähnlich ist es für Bürger und Bürgerinnen in Deutschland, sagt Soziologe Sighard Neckel von der Universität Hamburg. "Wenn Sie mal durchspielen, was etwa ein 25-jähriger Student, der in einer Wohngemeinschaft lebt, kein Auto hat, der keine Flugreisen unternimmt und sich vegetarisch ernährt, was der schon für einen ökologischen Fußabdruck hat, dann kommt man auf ungefähr einen Wert von 5,4 oder 5,5 Tonnen CO2 im Jahr. Damit läge selbst dieser bescheiden lebende Student noch um mehr als das Doppelte über der der Zielmarke von 2,5 Tonnen pro Person im Jahr 2030."
Individuelle Anstrengungen gegen die Klimakrise findet Neckel daher eher aussichtslos. Schließlich seien wir alle angeschlossen an Produktionssysteme, an Verkehrssysteme, an Energiesysteme. "Wir wohnen in Gebäuden und heizen mit Einrichtungen, auf die wir nicht immer wirklich entscheidenden Einfluss haben."

"Klima-Schatten" statt "ökologischer Fußabdruck"

Auch Susan Hassol will sich schon länger vom Konzept des CO2-Fußabdrucks verabschieden, der die Schuld am Klimawandel den Individuen zuschiebt, statt – etwa – den großen Öl-Firmen. Sinnvoller sei ein Ansatz, den sie "Klima-Schatten" nennt: "Der 'Klima-Schatten' beinhaltet zum Beispiel, wen du wählst, ob du dich für einen Systemwandel einsetzt, ob du für die Entstehung von Fahrradwegen in deinem Viertel kämpfst, oder auch, wo du dein Geld anlegst, welche Unternehmen du unterstützt."
Lea Dohm hat das getan. Sie hat nicht nur ihr Leben ökologisch ausgerichtet, sondern ist auch politisch aktiv geworden: 2019 geht sie das erste Mal auf einen Klima-Streik, gründet danach mit einer Bekannten die Psychologists for Future. "Dann sind von dem Tag an immer neue Kolleginnen dazugekommen und wollten irgendwie mitmachen, und dann sind wir gewachsen und gewachsen."

Kettenreaktionen positiven Verhaltens auslösen

Diese Art von Kettenreaktion untersuchen gerade Sozialpsychologinnen und Klimakommunikationsexpertinnen. Ihre Frage: Was regt an und was hält ab, etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen? Und welche Rolle spielen andere Menschen? Denn: Menschen um uns herum können dazu führen, dass wir uns motiviert fühlen, etwas zu unternehmen. Oder das Gegenteil.
Das nennt man Bystander Effekt, Zuschauer-Effekt: Je mehr Menschen Zeugen eines Notfalls werden, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie eingreifen. "Und was da kognitiv in uns abläuft ist: Geht es in so eine Richtung: ‚Na ja, wenn so viele andere dabei sind, dann könnten die ja auch erst mal anfangen oder was machen.‘ Sodass wir uns die Frage stellen können, ob mit Blick auf die Klimakrise wir es auch mit so einem Bystander Effekt zu tun haben, dass wir denken: ‚Na ja, wenn es wirklich so schlimm wäre, dann würde ja bestimmt jemand anfangen. Wenn jetzt niemand wirklich anfängt, dann kann es ja so schlimm nicht sein."

Umgedrehter "Bystander-Effekt" ändert soziale Normen

Diese Effekte, das Nicht-Handeln, Nicht-Sprechen, weil andere es auch nicht tun, lassen sich allerdings umdrehen. Sagen Psychotherapeutinnen, Sozialpsychologen und Klimawissenschaftlerinnen: Wenn wir die sozialen Normen ändern, ändern wir die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen sich einbringen, um den Klimawandel zu bremsen.
"In einem Experiment haben Stromversorger Rechnungen ausgestellt, auf denen sie ihren Kundinnen gezeigt haben, wie viel Strom sie verbraucht haben im Vergleich zu ihren Nachbarn", erzählt Susan Hassol. "Zum Beispiel haben sie drauf geschrieben: ‚Sie verbrauchen weniger Strom als 90 Prozent ihrer Nachbarn‘ und dann ein Smiley daneben. Sie haben herausgefunden, dass der Wunsch, mit den Menschen im nahem Umfeld mitzuhalten, enorm war. Die soziale Norm war: Strom sparen! Und das haben die Menschen verstanden."

Ökologische Lebensführung nur für Reiche?

Menschen über soziale Normen zum Handeln zu bewegen, das sieht Soziologe Neckel kritisch. "Man muss tunlichst vermeiden, dass ökologische Formen der Lebensführung zu einer Attitüde werden, mit der sich bessergestellte soziale Kreise von anderen eben auch sichtbar abgrenzen können und vielleicht auch sichtbar abgrenzen wollen", betont er. "Das Mittel dagegen ist tatsächlich, dass die Einrichtungen verändert werden, von denen wir alle gemeinsam abhängig sind, wie zum Beispiel natürlich in erster Linie die Energieerzeugung."
Lea Dohm dagegen hat selbst erlebt, dass es auch einen positiven Effekt haben kann, wenn ökologisch bewusstes Handeln in der Öffentlichkeit gezeigt wird. Sie wohne eher ländlich. Dort sei es für Familien üblich, zwei Autos zu besitzen, um Entfernungen zurücklegen zu können, erzählt sie. "Und wir als Familie haben uns jetzt so in E-Bike gekauft, auf dem man tatsächlich auch Kinder transportieren darf. Wenn man losfährt, dann macht es einmal so 'zoom'. Das macht einfach total Spaß. Inzwischen haben wir in unserem Dorf mit 12.000 Einwohnern jetzt schon sieben dieser E-Bikes. Das heißt, es gab tatsächlich den Effekt, dass einige das gesehen haben, dass es funktioniert hat und dass es auch Spaß macht und dass es sich ausgeweitet hat."

Vorbilder verändern ihr Umfeld

Susan Joy Hassol glaubt, dass dies für einzelne Menschen die Möglichkeit ist, etwas zu verändern. Sie verändern sich, sie verändern ihr Umfeld und dann verändern alle gemeinsam die Politik. "Individuen können einen Unterschied machen, wenn sie Teil einer größeren Kettenreaktion werden. Dann können sie auch die Politik verändern."