Klimaforscher beklagt Länder-Egoismen bei Kyoto-Gesprächen

Moderation: Marie Sagenschneider |
Der Klimaforscher Hartmut Graßl hat das geringe Tempo bei der Einigung auf eine Fortsetzung des Kyoto-Protokolls kritisiert. Er gehe davon aus, dass die Verantwortlichen bis zum angegebenen Termin im Jahr 2012 brauchen werden, um sich zu einigen, sagte der ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg. Die Egoismen der einzelnen Länder beeinflußten die Entscheidungen. Bei dem Mitte Juli beginnenden G-8-Gipfel in St. Petersburg soll auch das Thema Klimawandel verhandelt werden.
Marie Sagenschneider: Welche Themen will der Politikernachwuchs auf die Agenda setzen? Nun, das lässt sich leicht ablesen an der Kritik, die einige Jugendorganisationen der Parteien an Bundespräsident Horst Köhler geäußert haben. Unter anderem nämlich warfen sie ihm vor, zwei zentrale Felder völlig zu missachten: die zunehmende Spaltung der Gesellschaft und den Klimawandel. Letzteres ist natürlich Dauerthema, zumal Forscher ja festgestellt haben, dass sich der Klimawandel beschleunigt, und sie prognostizieren, bis Ende dieses Jahrhunderts wird die Temperatur um bis zu fast sechs Grad ansteigen.

Nun hat man sich ja im Kyoto-Protokoll sich darauf verständigt, die so schädlichen Treibhausgasemissionen zu senken, und verhandelt gerade über dieses Abkommen, das bis 2012 reicht, wie das weiter ausgestaltet werden sollte, um einem besseren Klimaschutz gerecht zu werden. Dies wird auch eine Rolle spielen auf dem G8-Gipfel in Sankt Petersburg Mitte Juli, und zwar unter der Rubrik Energiesicherheit. Was ist davon zu halten und was ist davon zu erwarten? Darüber wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Klimaforscher Professor Hartmut Graßl sprechen. Bis zum vergangenen Herbst war er Direktor des Max-Planck-Institutes für Meteorologie in Hamburg. Herr Graßl, ich grüße Sie!

Hartmut Graßl: Guten Tag!

Sagenschneider: Ist die Frage nach der Energiesicherheit eigentlich der richtige Ansatz, um dem Klimawandel entgegenzuwirken?

Graßl: Ja, Energie ist ein Teilaspekt. Ich war ja froh, dass beim letzten G8-Gipfel die zwei großen Themen der Menschheit, nämlich die Entwicklung der Entwicklungsländer in Form der Entschuldung derselben und die Energie in Form des Klimawandels auf der Agenda waren. Jetzt wieder hat man ein Thema gewählt, dass eigentlich nicht das zentralste ist. Für mich wäre am zentralsten eine nachhaltige Energieversorgung für die Menschheit, denn das würde bei Themen, nämlich die Entwicklung der Entwicklungsländer und den Klimawandel, gleichzeitig von den brisantesten Themen dieser Welt zurücknehmen.

Sagenschneider: Was hieße denn dann für Sie nachhaltige Energieversorgung?

Graßl: Das wäre eine, wo man lernt - und da braucht man mindestens ein halbes Jahrhundert -, die Sonne so anzuzapfen, dass wir weder um das Öl buhlen müssen, noch die Armen keine Energie hätten. Denn sie hätten, weil bei ihnen die Sonne sehr gut scheint, sogar den Rohstoff am allerintensivsten.

Sagenschneider: Und was macht man in diesem halben Jahrhundert, denn der Klimawandel schreitet ja voran?

Graßl: Ja, sicher, aber Energieversorgungssysteme können Sie nicht in einem Jahrzehnt umstülpen. Dazu haben die Menschen immer etwa ein halbes Jahrhundert gebraucht, und das werden wir auch dieses Mal brauchen. Das heißt, man muss am Anfang die erneuerbaren Energien stark fördern, auch mit staatlicher Unterstützung, wie das zum Beispiel in Deutschland läuft - was aber in Russland, dem Gastgeberland für den G8-Gipfel, überhaupt noch nicht begonnen worden ist. Und man muss natürlich Effizienzsteigerungen einführen. Wer jemals in einer russischen Wohnung war, weiß, wie Energie verschwendet werden kann.

Sagenschneider: Glauben Sie denn, dass Russland mit seinen umfassenden Ressourcen und auch seiner starken Stellung auf dem Energiemarkt, dass es überhaupt Interesse daran haben wird, auf Alternativen zu setzen?

Graßl: Sicher, denn auch Russland ist betroffen vom Klimawandel, und zwar auf zweierlei Weise besonders stark: Erstens wird der Süden Russlands, da, wo im Allgemeinen die Kornkammer Russlands ist, trockener werden, so dass die Ernten gefährdet sind. Und der hohe Norden, der ja Dauerfrostboden besitzt, wird auftauen, und damit wird die Infrastruktur in dieser Region generell unsicher sein. Die Häuser gehen kaputt, das sehen wir ja in Sibirien schon zum Teil, die Straßen müssen immer wieder erneuert werden, die Pipelines bersten und müssen geflickt werden. Also da wird es relativ starke Bedrohungen für die Russen geben.

Sagenschneider: Erwarten Sie denn in dieser Hinsicht vom G8-Gipfel Mittel Juli in Sankt Petersburg etwas, also dass es da wirklich auch um alternative Energie-Szenarien gehen wird?

Graßl: Ja, ich denke schon, dass es darum gehen wir, weil einige westliche Industrienationen dieses Thema auf die Agenda gesetzt haben. Nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, auch zum Beispiel die Niederlande, obwohl sie alle relativ wenig Erfolge haben bei der Reduktion der Treibhausgas-Emissionen. Nur die Bundesrepublik und Großbritannien sind die beiden Industrienationen des westlichen Teils der Europäischen Union, die einigermaßen Reduktionen vorweisen können. Die Briten, weil sie eine Umschaltung von Kohle auf Gas vorgenommen haben, und die Deutschen, weil sie einen Teil eines sozialistischen Gebietes integriert haben und dabei die Verschwendung der damaligen Zeit durch die normale Verschwendung westlicher Nationen ersetzt haben.

Sagenschneider: Was bedeutet das dann für die Fortsetzung des Kyoto-Protokolls?

Graßl: Ja, da muss ja, so steht es im Protokoll selbst, ab 2005 diskutiert werden. Das ist ja auch begonnen worden, aber soweit ich die Menschheit kenne, wird sie bis 2012, zum Ende des jetzigen Kyoto-Protokolls brauchen, um etwas auszuhandeln, was über Kyoto hinausgeht. Das wird dann einen anderen Namen bekommen, und sehr wahrscheinlich wird sogar in der Nacht vor dem Beschluss noch eine Konferenz der großen Präsidenten stattfinden müssen, eine Videokonferenz, um das Ganze wenigstens ein Stück voran zu schieben, weil der Egoismus der einzelnen Länder immer durchleuchtet.

Und deswegen ist meiner Meinung nach die Lösung, die sich 2004 in Bonn bei der Konferenz über die erneuerbaren Energien angedeutet hat, eine bessere: Nämlich diejenigen, die wirklich voranschreiten wollen, sollen das tun mit freiwilligen Vereinbarungen, und die aber auch umsetzen. Das wird wahrscheinlich dann die Gruppe der Gewinner sein, denn sie werden früher als andere die neuen Energietechniken und vor allem auch die Effizienztechniken besitzen, die sie dann verkaufen können.

Sagenschneider: Angesichts der Komplexität dieses Gebiets, Herr Graßl, kann man sich ja denken, dass heutzutage keine Regierung mehr auskommt ohne wissenschaftliche Beratung auf diesem Feld. Ist denn das wissenschaftliche Netzwerk mittlerweile weltweit so stark, dass da auch tatsächlich keine Regierung mehr daran vorbeikommt?

Graßl: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Länder wie zum Beispiel Großbritannien oder die Bundesrepublik Deutschland, die formelle Vereinbarungen haben. In England heißt es "Royal Commissions", bei uns heißt es wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung zu Themen des globalen Wandels. Und, was ich festgestellt habe - ich war ja zweimal der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirates globale Umweltveränderungen - tröpfelt das so langsam durch. Und was man empfiehlt, wird nach einigen Jahren von der Regierung wiederaufgenommen, manchmal sogar sofort wie bei der Erneuerbaren-Energie-Konferenz 2004: Da sind viele Dinge, die wir 2003 empfohlen haben, auch umgesetzt worden.

Sagenschneider: Sie haben ein Umweltinstitut in Sankt Petersburg mit gegründet. Wie sehen denn da Ihre Erfahrungen mit Russland aus, was so die wissenschaftliche Beratung anbelangt?

Graßl: Fast Null. Es gibt zwar offizielle Berater des Präsidenten, aber eine systematische Beratung, wie das einige westliche Industrienationen haben, gibt es in Russland noch nicht.

Sagenschneider: Und dieses Umweltinstitut, das Sie mit gegründet haben, hätte wahrscheinlich auch keine Chance, wenn die Gelder nicht aus dem Westen kämen?

Graßl: Die Gelder kommen fast ausschließlich aus dem Westen. Und dieses Institut macht Umweltforschung und keine Politikberatung. Politikberatung ist ein viel zu diffiziles Feld in Russland, als dass man Ausländer daran beteiligen würde. Also man muss gar nicht meinen, man könnte der Regierung Empfehlungen geben. Das ist in einem Land, das noch keine volle Demokratie ist, nicht möglich.

Sagenschneider: Ich danke Ihnen für das Gespräch.