Klimabewegungen

Aktivismus zwischen Frust und Radikalisierung

06:52 Minuten
Camp von Extinction Rebellion an der Berliner Invalidenstraße während einer Aktion im Herbst
Vehementer Protest: Camp von Extinction Rebellion an der Berliner Invalidenstraße während einer Aktion im Herbst. © Tini von Poser
Von Tini von Poser · 01.11.2022
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Die Klimabewegungen beklagen Mitgliederschwund: Viele ziehen sich frustriert zurück, weil politisch zu wenig passiert. Gleichzeitig greifen Gruppen wie Die Letzte Generation und Extinction Rebellion zu vehementeren Formen des Protests.
Herbstrebellion in Berlin. Ein paar hundert Klimaaktivisti von Extinction Rebellion besetzen an vier Tagen verschiedene Verkehrsknotenpunkte der Stadt. Einige Aktionen können sie nicht durchführen wie geplant, weil die Polizei in großer Zahl gleich zur Stelle ist.
Die 26-jährige Annika Benz ist Teil der Bewegung Extinction Rebellion und aus Köln angereist. „Aufstand gegen das Aussterben“ bedeutet für die Ethnologin mehr als „Contra Klimakrise“.
Annika Benz auf einer Blockade-Aktion von Extinction Rebellion an der Friedrichstraße Ecke Unter den Linden.
Annika Benz (l.) auf einer Blockade-Aktion von Extinction Rebellion an der Friedrichstraße Ecke Unter den Linden in Berlin.© Tini von Poser
"Wir beschäftigen uns auch mit sozialer Gerechtigkeit, auch mit Fragen zur Nahrungsmittelsicherheit, zur Ungleichheit, zur Diskriminierung, dass wir eben sagen, wir denken das alles zusammen. Und wir sehen, das wir an verschiedenen Punkten ins System pieksen müssen."

Pessimismus macht sich breit

Während Annika Benz Straßen blockiert, arbeitet der 28-jährige Extinction-Rebellion-Aktivist Jan Gerber im Hintergrund. Er organisiert Workshops und sieht nach dem Rechten im Camp, das die Klimaaktivisti, wie sie sich selbst nennen, während der Herbstrebellion im Invalidenpark aufgeschlagen haben. Etwa drei Dutzend bunte Zelte säumen die grüne Wiese zwischen den Regierungsgebäuden. In großen schwarzen Lettern steht auf einem rosafarbenen Plakat: Eine bessere Welt ist möglich! Doch Jan klingt ziemlich pessimistisch.
Aktivist Jan Gerber mit lila Sicherheitsweste, im Hintergrund ist ein Protestcamp zu sehen.
"Wir brauchen resiliente Gemeinschaften, um andere Menschen aufnehmen zu können, um sie zu unterstützen, durch das, was wir verursacht haben", sagt Aktivist Jan Gerber.© Tini von Poser
"Wie es jetzt aussieht, wird es die nächsten 20, 30 Jahre zu Kriegen kommen, werden Hunderte Millionen Menschen nicht mehr da leben, wo sie jetzt leben. Das ist im Moment die wahrscheinlichere Entwicklung. Wir brauchen resiliente Gemeinschaften, um andere Menschen aufnehmen zu können, um sie zu unterstützen, durch das, was wir verursacht haben. Und das ist auch ein Teil dessen, wie sich quasi Kultur bei Extinction Rebellion verändert. Also wie wir da gemeinsam lernen, was es braucht, um in einer anderen Welt zu leben, die auf uns zukommt."

Klimabewegungen beklagen Mitgliederschwund

Extinction Rebellion, wie viele andere Klimabewegungen, beklagen Mitgliederschwund. Ursache sei die Corona-Pandemie und dass politisch zu wenig passiere, meint Jan, der Politik studiert hat und inzwischen Vollzeit-Aktivist ist.
"Es gab einen Kohleausstieg 2035, es gibt ein Klimaschutzgesetz mit 2045 CO2-neutral. Das ist einfach ein Verhöhnen der Realität für die Menschen, die zum Teil drei, vier, füng Jahre gekämpft haben und da einfach sehen, dass sich nichts verändert. Es gab die Hoffnung, dass wir das irgendwie schaffen können, und dann ist es einfach so ein Schlag ins Gesicht."
Der Politikwissenschaftler beobachtet gegenläufige Entwicklungen, wie die Klimaaktivisti auf den Frust reagieren.
"Die einen radikalisieren sich. Die Letzte Generation sagt, wir werden solange auf der Straße bleiben, bis wir in den Knast kommen. Bei Ende Gelände wird jetzt darüber geredet, aktiv zu sabotieren, also Maschinen zu beschädigen, so dass Baustellen von Energy Terminals nicht mehr weiter gebaut werden können. Das ist quasi die eine Reaktion halt diese Radikalisierung. Die andere ist ein Rückzug, also ich kenne leider auch viele Menschen, die die letzten zwei Jahre zurück gegangen sind in ein normales Leben, was ich mir nicht hätte vorstellen können und aus ihrem Frust heraus gesagt haben: ich kann das nicht mehr."

Widerstand bis zum Äußersten

Die Klimaprotest-Bewegung „Die Letzte Generation“ hat sich erst 2021 gebildet: die letzte Generation, die noch verhindern könnte, dass die Erde unbewohnbar wird, daher der Name, so Aktivistin Lina Eichler. Ein Hungerstreik vor gut einem Jahr war der Auftakt der Bewegung. Danach haben sich Aktivisti an wertvollen Gemälden oder auf der Straße festgeklebt. Die 20-Jährige war überall mit dabei. Dafür hat sie kurz vor dem Abitur die Schule abgebrochen. 
"Meiner Meinung nach muss es da wirklich einen Aufstand geben und wirklich Widerstand geleistet werden, wenn Menschen in Flutkatastrophen sterben, die Böden austrocknen, weil man keine Nahrung mehr anbauen kann, dass dann so viel Flut, Regen gibt, dass dann auch keine Nahrung angebaut werden kann. Ich habe Angst vor dieser Unberechenbarkeit der Klimakatastrophe."
Lina Eichler ist bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Während des Hungerstreiks ist sie nach 20 Tagen zusammengebrochen und ins Krankenhaus eingeliefert worden. Weil sie sich im Museum und auf der Straße angeklebt hat, laufen mehrere Strafverfahren gegen sie.
"Ich habe mich superoft in Gewahrsam wiedergefunden. Ich weiß mit all den offenen Strafverfahren, dass ich wahrscheinlich irgendwann eine Zeit im Gefängnis verbringen werde oder sowas. Was ist denn bitte so ein paar offene Verfahren, hier mal Gewahrsam, da mal Gewahrsam gegen wirklich das, was wir konfrontieren quasi, was auf uns zukommt. Ich bin bereit alles zu tun, was gewaltfrei möglich ist."

Enttäuschung über Klimapaket der Politik

Zwischen Verzweiflung und Hoffnung schwankt auch der Geologe Niko Froitzheim. Der 64-Jährige ist bei Scientist Rebellion aktiv, die sich ebenfalls 2021 gegründet hat und eng mit Extinction Rebellion zusammenarbeitet. Die Scientists, wie sie sich abgekürzt nennen, sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die politisches Handeln gegen die Klimakrise einfordern; mit zivilem Ungehorsam.
"Im Gefolge der Klimaproteste von Fridays for Future hat die Bundesregierung dann ein Klimapaket geschnürt und im Herbst 2019 vorgestellt. Das war so fürchterlich enttäuschend, dass die Leute in der Klimabewegung einfach gesehen haben, es geht nicht mehr mit reinem Protestieren und Demonstrationen weiter.
Fridays for Future, Scientists for Future, bin ich auch immer noch dabei. Aber ich habe dann gemerkt, dass ich über das hinaus gehen muss, um auf die wahnsinnige Diskrepanz zwischen der Realität der Klimakrise und der Wahrnehmung durch die Medien und die Politik hin zu weisen."
Ob Scientist oder Extinction Rebellion, Letzte Generation oder Fridays for Future, die Aktivisti haben vor allem eines gemeinsam: sie wollen gewaltfrei den Klimanotstand ausrufen, erklärt Jan Gerber von Extinction Rebellion.
Niko Froitzheim, Aktivist bei Scientist Rebellion
Schwankt zwischen Verzweiflung und Hoffnung: Niko Froitzheim, Aktivist bei Scientist Rebellion.© Tini von Poser
"Eine Sache, die wir aus der Geschichte gelernt haben, wenn wir eine Veränderung wollen und eine Veränderung wird mit Gewalt initiiert, wird das, was danach rauskommt, von Gewalt geprägt sein. Das kann nicht die Zukunft sein."

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