Klima von Druck und Angst
Gerhard Sälter beleuchtet in seinem Buch die frühe Phase des Einsatzes an der innerdeutschen Grenze, die Zeit zwischen 1952 und 1965 – also zwischen der Grenzbefestigung und dem Ausbau der Grenzanlagen zu einem ausgefeilten Grenzregime.
Vieles war anfangs noch ungeordnet, vieles noch möglich, was aus heutiger Sicht unglaublich erscheint: Da gingen die Grenzer schon einmal "nach drüben” ins Wirtshaus oder auf eine Tanzveranstaltung. Doch mit den Jahren wurde das Korsett enger. Das hing auch damit zusammen, dass viele der Bewacher die Seiten für immer wechselten. Zuerst handelte es sich bei ihnen um eine aus Freiwilligen bestehende Grenzpolizei.
Es war für den Staat nicht leicht, geeignetes Personal für diesen Dienst zu finden: Die Grenzer sollten keine Westverwandtschaft haben, keine nationalsozialistische Vergangenheit aufweisen und aus keiner anderen Kriegsgefangenschaft kommen als aus der sowjetischen. Kein Wunder, dass das Plansoll der Einsatzkrafte in den 50er Jahren nie erreicht wurde.
Das bedeutete gleichzeitig, dass der vorhandenen Mannschaft deshalb lange Dienstzeiten vorgeschrieben wurden. Die versuchte wiederum, das zwangsläufig einsetzende Schlafdefizit während des Bewachens der Grenze auszugleichen. Darauf stand aber Bestrafung. Zudem war das Essen schlecht, die Unterbringung oft katastrophal. Hinzu kam eine zunehmende Militarisierung der Grenzpolizei, was ein großer Teil der dort Beschäftigten ablehnte – mit der Folge, dass viele in den Westen flüchteten.
Staat und Partei versuchten erfolglos, dem einen Riegel vorzuschieben. Nach dem Mauerbau stieg der Anteil von Grenzern an den Flüchtlingen sogar prozentual, denn nur sie kannten sich mit den Sperren aus. Mit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht konnte das Regime zwar dem Personalproblem erfolgreich begegnen.; trotz verstärkter politischer Schulungen und mehrfacher Überwachung der Grenzsoldaten durch den militärischen Apparat und die Staatssicherheit konnten aber weiterhin Grenzer nach Westdeutschland entkommen.
Wollte der Staat ein unmöglich scheinendes Ziel erreichen, mussten die Methoden zwangsläufig immer perfider werden: So durfte kein Posten allein auf Streife gehen. Einer war der Bewacher des anderen. Jeder war zur Denunziation auch nur der kleinsten Verfehlung im Kameradenkreis aufgerufen. Dies schuf unter den Grenzern eine Atmosphäre höchsten Misstrauens – viele hatten Angst vor dem Kameraden, mit dem sie eingesetzt waren: Würde er auf sie schießen, wenn sie zu flüchten versuchten? Würden sie ihm umgekehrt etwas antun, sollte dieser sich aus dem Staub machen wollen?
Dem Autor gelingt es sehr eindrucksvoll, anhand von Zitaten aus Berichten und Verhörprotokollen jene Nöte der Soldaten an der Grenze zu schildern; die Logik zu beschreiben, nach der diese schließlich bereit waren, trotz vielfach entgegengesetzter eigener Einstellung auf Flüchtlinge zu schießen. Das rührte einerseits daher, dass den Soldaten bewusst die gesetzlichen Bestimmungen nur verschwommen nahegebracht wurden, die Vorgesetzten ihnen aber einschärften, dass eine Flucht "mit allen Mitteln” zu verhindern sei. Hinzu kam ein System aus Belohnung nach einer verhinderten Flucht und Bestrafung nach einer geglückten. Selbst Vorgesetzte wurden zur Verantwortung gezogen, wenn es dazu kam – insbesondere zu einer Fahnenflucht eigener Untergebener.
Sälter schafft es, trotz trockener Stasi-Analysen, dieses Klima von Druck und Angst spannend zu vermitteln. Ein tragisches Kapitel der DDR-Geschichte, das die Hilflosigkeit eines politischen Systems zeigt, dem seine Bürger, selbst die Uniformierten, keinen Glauben schenken. Mitunter trägt selbst diese Geschichte komische Züge – wenn etwa in den Akten von "drei Flüchtlingen der Grenzpolizei, dem Diensthund und den zwei Hundeführern” berichtet wird.
Besprochen von Stefan May
Gerhard Sälter: Grenzpolizisten. Konformität, Verweigerung und Repression in der Grenzpolizei und den Grenztruppen der DDR 1952 bis 1965
Ch.Links Verlag, Berlin 2009
484 Seiten, 34,90 Euro
Es war für den Staat nicht leicht, geeignetes Personal für diesen Dienst zu finden: Die Grenzer sollten keine Westverwandtschaft haben, keine nationalsozialistische Vergangenheit aufweisen und aus keiner anderen Kriegsgefangenschaft kommen als aus der sowjetischen. Kein Wunder, dass das Plansoll der Einsatzkrafte in den 50er Jahren nie erreicht wurde.
Das bedeutete gleichzeitig, dass der vorhandenen Mannschaft deshalb lange Dienstzeiten vorgeschrieben wurden. Die versuchte wiederum, das zwangsläufig einsetzende Schlafdefizit während des Bewachens der Grenze auszugleichen. Darauf stand aber Bestrafung. Zudem war das Essen schlecht, die Unterbringung oft katastrophal. Hinzu kam eine zunehmende Militarisierung der Grenzpolizei, was ein großer Teil der dort Beschäftigten ablehnte – mit der Folge, dass viele in den Westen flüchteten.
Staat und Partei versuchten erfolglos, dem einen Riegel vorzuschieben. Nach dem Mauerbau stieg der Anteil von Grenzern an den Flüchtlingen sogar prozentual, denn nur sie kannten sich mit den Sperren aus. Mit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht konnte das Regime zwar dem Personalproblem erfolgreich begegnen.; trotz verstärkter politischer Schulungen und mehrfacher Überwachung der Grenzsoldaten durch den militärischen Apparat und die Staatssicherheit konnten aber weiterhin Grenzer nach Westdeutschland entkommen.
Wollte der Staat ein unmöglich scheinendes Ziel erreichen, mussten die Methoden zwangsläufig immer perfider werden: So durfte kein Posten allein auf Streife gehen. Einer war der Bewacher des anderen. Jeder war zur Denunziation auch nur der kleinsten Verfehlung im Kameradenkreis aufgerufen. Dies schuf unter den Grenzern eine Atmosphäre höchsten Misstrauens – viele hatten Angst vor dem Kameraden, mit dem sie eingesetzt waren: Würde er auf sie schießen, wenn sie zu flüchten versuchten? Würden sie ihm umgekehrt etwas antun, sollte dieser sich aus dem Staub machen wollen?
Dem Autor gelingt es sehr eindrucksvoll, anhand von Zitaten aus Berichten und Verhörprotokollen jene Nöte der Soldaten an der Grenze zu schildern; die Logik zu beschreiben, nach der diese schließlich bereit waren, trotz vielfach entgegengesetzter eigener Einstellung auf Flüchtlinge zu schießen. Das rührte einerseits daher, dass den Soldaten bewusst die gesetzlichen Bestimmungen nur verschwommen nahegebracht wurden, die Vorgesetzten ihnen aber einschärften, dass eine Flucht "mit allen Mitteln” zu verhindern sei. Hinzu kam ein System aus Belohnung nach einer verhinderten Flucht und Bestrafung nach einer geglückten. Selbst Vorgesetzte wurden zur Verantwortung gezogen, wenn es dazu kam – insbesondere zu einer Fahnenflucht eigener Untergebener.
Sälter schafft es, trotz trockener Stasi-Analysen, dieses Klima von Druck und Angst spannend zu vermitteln. Ein tragisches Kapitel der DDR-Geschichte, das die Hilflosigkeit eines politischen Systems zeigt, dem seine Bürger, selbst die Uniformierten, keinen Glauben schenken. Mitunter trägt selbst diese Geschichte komische Züge – wenn etwa in den Akten von "drei Flüchtlingen der Grenzpolizei, dem Diensthund und den zwei Hundeführern” berichtet wird.
Besprochen von Stefan May
Gerhard Sälter: Grenzpolizisten. Konformität, Verweigerung und Repression in der Grenzpolizei und den Grenztruppen der DDR 1952 bis 1965
Ch.Links Verlag, Berlin 2009
484 Seiten, 34,90 Euro