Kliemannsland in Niedersachsen

Ich bau' mir mein kunterbuntes Land

41:19 Minuten
Von Maximilian Klein · 07.07.2019
Audio herunterladen
Fynn Kliemann gründete zusammen mit Gleichgesinnten ein eigenes Reich: Kliemannsland zwischen Hamburg und Hannover – anarchistisch und kreativ wie Pippi Langstrumpf. Es ist ein realer und virtueller Ort zugleich.
"Ich wollte eigentlich immer weg. Meine ganze Kindheit wollte ich immer weg. Und da wollte ich eigentlich auch weg. Aber ich habe diese Agentur hier gegründet. Und mein Kumpel, der geht auf keinen Fall weg. Der hat gesagt, wir lösen die Scheiße hier auf, wenn Du woanders hin willst, hab ich kein Bock zu. Der zieht für nichts um. Hier hat er sein Fußball, hier hat er seine Freunde und so. Und der zieht halt nicht um", sagt Fynn Kliemann.
Landleben. Hahn kräht. Bienen summen. Kuh muht.
"Also es ist schon so, dass wenn, also ich bin manche Tage reingekommen und war wirklich überrascht, weil hier jemand schläft, da jemand schläft. Und ich so dachte, das ist noch lange nicht an dem Punkt, das wir hier dauerhaft sein können. Aber auf der anderen Seite ist es ja auch den Leuten überlassen", sagt Hauke Gerdes.
Jana: "Da kann man so online auf unserer Webseite Projekte vorschlagen und die, die am meisten gevoted werden, die machen wir dann auch. Und eines, was wir jetzt realisieren, ist der Caféumbau. Das hier soll ein richtiges Café werden mit Kaffee und Kuchen und einer Theke und richtigem Betrieb. Also auch bezahlter Betrieb. Auch für Leute, die hier einfach so nur vorbeikommen."
Die Welt ist eine Scheibe. Hier in Niedersachsen. Es kommt nur auf die Perspektive an. Nicht zu hoch. Nicht zu niedrig, darf der Blickwinkel sein.
Hier im Norden sieht es aus wie auf der Modelleisenbahn-Platte im Hobbykeller des Nachbarn. Flach. Die Häuser sind aus rotem Backstein. Manche sind gedeckt mit Reet. Schnuckelig. Wiesen. Äcker. Bäume. Kühe. Und ganz schön viel Horizont. Da muss das Ende sein. Der Platte. Hier. In Zeven. Niedersachsen.
Die Kirche im Ortskern wird gezeigt. Menschen laufen durch eine Fußgängerzone. Das Bild fliegt weg. Kinder spielen auf Spielplätzen. Menschen gehen einkaufen. Es ist Frühling oder Sommer. Die Menschen haben kurzärmelige T-Shirts an. Irgendwelche Wahrzeichen werden gezeigt. Kloster. Alte Häuser. Statue. Und so weiter.
Der Eingang über dem Hof. Nordisch und bescheiden stellt sich das Fantasieland vor.
Der Eingang über dem Hof. Nordisch und bescheiden stellt sich das Fantasieland vor.© Deutschlandradio / Maximilian Klein
Hier gibt es bestimmt keinen Handyempfang. Stimmt nicht. Volles Netz. Da und dort liegt Kuhscheiße auf den ansonsten sauberen Straßen. Die an sauberen Häusern vorbeiführen. Saubere Wiesen. Saubere Autos. Saubere Supermärkte. Wenn denn mal einer kommt. Auf dem Weg. Nach Rüspel. Ein Dorf, das zur Gemeinde Zeven gehört.
Eine Dorfstraße. Rüspel. Landkreis Zeven. Ein Haus. Nutzbau. Freiwillige Feuerwehr steht darüber. Vor meinem inneren Auge erscheinen holzgetäfelte Wände. Auf dunklen Tischen aus massivem Holz steht ein schwerer Aschenbecher mit graviertem Messingschild: Stammtisch. So sieht es bestimmt in der Dorfkneipe aus, in der sich die Feuerwehrleute treffen. Zur Buche. Oder beim Biber. Geschrieben in altdeutscher Schrift, das Schild - hängend über dem Lokal. Ganz sicher.
Gegenüber der Feuerwehr: Noch ein Haus. Auch aus Backstein. Daneben ein langer Flachbau. In der Mitte ein Schild. Bierwerbung. Es ist ein alter Hof. So viel ist von außen zu erkennen. Und er reiht sich ein. Fällt nicht weiter auf in dem Dorf. Wenn da nicht ein weiteres Schild hängen würde. Selbstgemalt. Bunt. Schüchtern. Nicht protzig. Eben nordisch zurückhaltend. Wie von Kinderhand gemalt. Klie-mann-sland steht darauf. Verziert mit einem pinken Huhn. Und einem blauen Huhn. Und einer grauen Katze.
Neben der Haustür ein Scheunentor. Auch da ein Schild: Schleuse. Diese Schleuse führt in eine alte Scheune. Ein grüner Trecker steht neben einem alten Auto. Werkzeug liegt rum. Ein Schweißgerät, glaube ich. Und Bohrmaschinen. Holz. Ein Skateboard, das aussieht wie ein Penis.
Ein junger Mann steht alleine vor einem Grill. Der Mann ist vielleicht 25 Jahre alt. Und der Grill war mal eine rostige Tonne. In der Mitte aufgeflext, ein Rost eingeschweißt. Eigenbau. Es qualmt und zischt. Ich stelle mich zu ihm. Er reicht mir ein Bier. Ungefragt. Schweigt. Brian. Roter Bart. Basecap. Weste. Ruß im Gesicht. Bullerbü-Stimmung. Er ist eigentlich Hamburger, erfahre ich nach einer Weile. Jetzt steht er hier. Am Grill. 100 Kilometer entfernt von der Hansestadt. Und ruht. In sich. Konzentriert auf das Wenden des Grillgutes. Melancholisch. Versunken. Stadtflucht. Heile Welt?
Brian: "Ja. Ja vielleicht... für mich ist Hamburg keine heile Welt mehr. Weil, du kommst aus der Bahn raus und hast Feierabend und da kotzt jemand hin. Das ist irgendwie nicht mehr so schön alles."

Er wollte kommen und bleiben

Kurz nachdem er von der Staatsgründung des Kliemannslandes hörte, schrieb er. Er wollte kommen. Und bleiben.
"Dann hatte ich am nächsten Tag auch schon eine Antwort. Und dann bin ich hierhergekommen. Und dann bin ich eigentlich nicht mehr so richtig gegangen. Weils einfach viel zu schön hier war."
Es sind die ersten Frühlingstage. Das Leben erwacht. Die Knospen sprießen. Die Vögel singen. Idylle, die einlullt. Mittlerweile sind es fünf Monate, die er da ist. Und sein Leben im Kliemannsland verbringt. Ein Ort, den es real gibt. Und in der Fantasie. Sehnsucht. Das trieb Brian aus Hamburg weg und hierher.
"Ja, ich habe einen richtigen Job. Ich arbeite als Schlosser in Hamburg. Und mache gerade noch meinen Meister und das ist hier einfach so Freizeit. Nee. Aber das schönste Hobby, das man haben kann."
Er grillt nicht für sich allein. Hinter einer gläsernen Schiebetür sitzen sie. Die Kliemannsländer. Keiner ist älter als 30. Na gut, vielleicht einer. Sie tragen Mütze, Pullover und Kapuze. Lässig. Unaufdringlich. Könnte auch eine WG in Hamburg oder Berlin sein. Mit Macbook und weißen Kopfhörern. Die liegen bestimmt hier auch irgendwo rum. Ihre Klamotten haben Arbeitsspuren. Farbkleckse. Sägespäne im Haar. Zollstock in der Tasche. Überall liegen die Smartphones auf dem Tisch. Brian wendet die Würste.
"Sonst macht man nur mit Leuten aus seiner Clique was. Macht mit denen irgendwelche Projekte oder so was. Aber hier... Ihm hier zum Beispiel, als er kam, vor drei Wochen, habe ich gesagt, hast du nicht Bock mitzuhelfen, und dann haben wir den ganzen Tag gearbeitet. Man sieht auch bei anderen, die zusammenarbeiten, plötzlich sagt der eine zum anderen, 'hey, war schön mit dir zu arbeiten'. Und hier ist jeder umsonst, und das ist halt cool, dass man Leute treffen kann und Spaß haben kann."
Spaß am Arbeiten. Spaß am Schweißen. Hämmern. Umgraben. Sauber machen. Spaß. Das wollen sie hier wohl. Vielleicht definieren sie Spaß ja auch einfach um...
"Wenn die Mudder zu Hause sagt, hilf mal Laub harken, dann hat man natürlich keinen Bock. Aber hier fährt man mal eben 100 Kilometer, um Laub zu harken. Das ist so das Witzige irgendwie."
Was macht einen Ort zu einem Ort? Was mach ihn heute zu einem Ort?
Das man ihn auf Google Maps findet. Dass ich mir den Ort im Internet anschauen kann? Oder ihn besuchen kann? Dass er viele Fans und Klicks auf Facebook und YouTube hat.
Ist ein Ort physischer Natur? Den man anfassen, berühren, schmecken, riechen kann? Das Kliemannsland will all das sein.
"200.000 Fans auf Youtube. Es ist also ein Online-TV-Sender."
Nein. Nicht nur.
"Es ist ein alter Bauernhof, wo eine Kommune versucht zu siedeln und bestehende Gesetze der Bundesrepublik Deutschland außer Kraft zu setzen."
Ja. Nein. Jein.
"Es ist ein Lebensgegenentwurf von jungen Leuten, die sich die Miete in der Großstadt nicht mehr leisten können und gezwungener Maßen ausweichen müssen, um ihre Träume zu verwirklichen."
Das hört sich so unromantisch an!

So sehen die Millenials aus

Brian nimmt sich im echten Leben einen großen Teller und bringt das Fleisch in die Küche. Alle sitzen um einen Tisch herum, der mehr eine Bar darstellt. So sehen sie wohl aus. Die viel besprochenen Millenials. Eine junge Frau drückt mir ihr Handy in die Hand und bittet mich, ein Foto zu machen. Gerne im Selfie-Mode. Ich soll doch mit drauf. Aufs Foto.
Vanessa. Socialmediamanagerin. Sie ist dafür verantwortlich, dass alles, was hier passiert, auch in den sozialen Medien erscheint. Also auf Facebook, youtube, Instagram, Snapchat und Twitter. Bestimmt musste sie sich schon mehrfach die Frage stellen lassen, womit verdienst du dein Geld? Um dann sehr weit auszuholen. Sie hat hier viel zu tun. Sie ist der Draht nach draußen. Der zu den Fans. Wenn jemand auf Facebook eine Frage stellt, wird sie im Namen des Kliemannslandes die Frage beantworten. Oder wenn ein Sack Holz umfällt, ein Foto davon machen, und es posten. Wo auch immer. Sie arbeitet hier. Lebt unter der Woche hier. Lebt gerade für das hier. Eine Baustelle.
Vanessa: "Man muss auch dafür gemacht sein. Weil natürlich auch hier immer viel los ist und nichts richtig fertig ist. So dass man nie, also man kann nicht einfach in seinem Wohnzimmer sitzen und Ruhe haben oder so. Sondern hier ist immer irgendwas."
Vanessa könnte auch in einer der vielen Werbeagenturen in Hamburg arbeiten. Dort, wo die Wände aus Glas sind. Die Mieten hoch und die Drinks teuer oder vom Arbeitgeber bezahlt werden. Als Team-Bildungsmaßnahme an die Firma. Aber nein. Sie hat ihre Turnschuhsammlung eingepackt und ist in ein unfertiges Haus gezogen. Die nächste Bar ist zehn Kilometer entfernt und das Aufregendste, was hier passiert, ist die Kuba Libre Party am Wochenende in der Dorfkneipe in Zeven. Und statt Powerpoint heißt es jetzt: Dorfsaal anpreisen.
Vanessa: "Ja, das ist unser Saal. Der wurde früher so für Schützenvereintreffen, Feuerwehrtreffen und solche Sachen genutzt. Das machen wir auch immer noch. Weil wir nicht wollen, dass hier die Leute, die Vereine, hier aus dem Dorf ihren Ort verlieren. Sondern wo sie ihre Treffen abhalten können. Aber wir vermieten es hier momentan nicht. Abgesehen davon soll das, wenn es hier renoviert ist, nämlich ein richtiger Saalbetrieb werden. In dem Sinne, dass wir Konzerte hier machen. Und wollen richtig professionell Veranstaltungen machen."
Vanessa. Sie sagt Sätze wie: Da verfasse ich gleich mal einen Post zu. Oder Oh, das ist was für Instagram. In ihrem früheren Leben, vor dem Kliemannsland, war sie Fremdsprachenkorrespondentin. Und hatte sie nichts mit Medien zu tun. Sagt Vanessa. Sie hat Videospiele übersetzt. Sie hat Großstadt-Stil. Bunte Socken, gebundene Haare. Pullover mit Markenlogo drauf. Lässig bewegt sie sich durch das Haus. Ihr Reich. Wenn sie tippt, bekommen es Hunderttausende mit. Sie lebt nicht für das Projekt. Sie lebt in dem Projekt. Sie ist die lebendig gewordene Schnittstelle zwischen realem und virtuellem Ort Kliemannsland. Und am Wochenende schläft sie bei ihrem Freund. Und nicht hier. Auf der Baustelle der Fantasie.
"Meins ist unten. Ich: Das wurde extra für dich gebaut? Sie: Ja, die haben einen Tag vorher noch Fußboden verlegt, bevor ich angekommen bin. Als ich angekommen bin, an dem Abend, war es noch gar nicht fertig, und die haben mich quasi rausgeschmissen, und ich durfte es noch nicht sehen. Und dann haben sie mir ein Bett aus Paletten gebaut und haben Lichterketten reingemacht. Also, das war total süß. Das haben sie natürlich alles direkt gefilmt."
In einem der Zimmer, durch das Vanessa führt, steht ein Flipchart. Meetings, Besprechungen, Organisation. Hier wird es erledigt. Auf dem Flipchart steht ein Gedicht. Verfasser: unbekannt.
"Kleines Land mit weitem Raum. Leben unter alten Linden. Ideen mit dem Wunsch zu ändern. Sich und seinen Platz zu finden. Filme drehen, Bretter schneiden, Filme schneiden, Schrauben drehen, was ist hier ganz unmöglich. Es wird gestaltet, alles anders, weil wir Geist und Hand bewegen. Sind wir nicht frei, haben wir nicht Platz und Möglichkeiten. Wir gestalten unser Ding. Und definieren unsere Zeiten. ... Ich weiß nicht, wer der Jürgen Rauscher ist."

Zeven - irgendwo im Nirgendwo

Gesamtgemeinde Zeven. Elbe-Weser-Dreieck. 25 Orte, 24.000 Einwohner. Unterwegs auf den sauberen Straßen. Drei Prozent Arbeitslosigkeit. 56 Prozent der Stimmen hat hier bei der letzten Wahl die CDU geholt. Das Bayern des Nordens. Den Leuten geht es gut. Die Landwirtschaft boomt. Ein Milchanhänger überholt den nächsten. Gesunder Mittelstand. Arbeit. Sicherheit. Zukunft. Diese Parolen sind hier zu Hause: Haus mit Grundstück. Garten. Carport. Und Zaun.
Michael Korleis: "Das fällt hier sehr auf. Und ich würde sagen, die Hälfte der, ja ich würde sagen, die Hälfte der Bewohner hier im Nordkreis Rothenburg, die kennen das schon. Oder haben davon gehört. Ne. Ganz sicher und das ist auch wieder ein Ort, der schneller bekannt wurde als viele andere, als was weiß ich, Veranstaltungen oder so was."
Michael Korleis. Lockige Haare. Blond. Eine Haarpracht, die jeden Schlagersänger erblassen lassen würde. Hier kauft das Kliemannsland. Holz. Werkzeug. Alles, was man so braucht. Für die Traumverwirklichung. Gerne gibt Michael ein Interview. Er mag den Sender. Und das Kliemannsland. Seine Frau läuft gespannt auf und ab. Neben dem Mikrofon. Und hört ihrem Mann zu.
"Aber ich höre es auch von außen. Das ist ganz interessant, das hier. Ich stehe am Tresen in meinem Geschäft, du, da kommt einer rein, mit einem auswärtigem Kennzeichen. ... ja hallo. Und ich guck auf das Kennzeichen. Bochumer Kennzeichen. Ein junger Kerl. Ja, du, ich wollte mal das Kliemannsland suchen. Ist das irgendwo in der Nähe? Und dann musste ich halt grinsen und habe dem das erzählt.
Die machen es ja ganz gut vor, was man auf dem Land besser mache kann als in der Stadt. Kurze Wege hat man natürlich hier nicht. Das ist der große Nachteil. Aber alles andere ist doch... ich bin halt ein Landei. Und ich würde sagen, Landflucht kann man hier ganz bestimmt nicht erkennen. Ganz im Gegenteil, die ganzen Dörfer werden wieder ein bisschen lebendiger. Und das sind ja keine Dörfer in Ost-Mecklenburg, sondern mitten zwischen Hamburg und Bremen irgendwo."
Hamburg ist 100 Kilometer weg. Bremen auch. Und dazwischen sehr viel nichts. Und eben Zeven. Und der Baustoffhandel von Michael Korleis. Er ringt mit den Worten.
"Ein Wort für die Zevener Gegend. Die Leute sind hier so und so. Da fällt mir nichts ein. Ich glaube, die Luft ist hier ziemlich gut."
Aber wenn es um das Kliemannsland geht, bekommt er einen regelrechten Gefühlsausbruch. Auf nordisch.
"Ich sag mal, die Atmosphäre ist einfach unglaublich. Egal, mit wem man da spricht. Oder mit wem auf dem Hof oder auf dem Kliemannsland rumläuft. Da spürt man irgendetwas. Da ist irgendwie... Ja, da blubbern die Ideen so im Kopf. Das finde ich toll."
Der Norden war schon immer liberaler als weite Teile des Landes. Kühl. Zurückhaltend, aber eben tolerant. Moin. Moin. Und? Jau. Das ist der Norden. Eine Einstellung, die in der heutigen Zeit bedroht wird. Auf dem Vormarsch sind Vorurteile. Ablehnung und Mauern, die gebaut werden.
"Mhhh, politisches Statement. Glaube ich nicht. Das ist eher so, das Gelingen vom Kliemannsland ist vielleicht eher noch so ein bisschen so, für mich ein Stück heile Welt, die da erwächst. Oder erschaffen wird. Wer weiß, was da noch kommt, sag ich mal."
Ich finde es sehr unpolitisch und sehr liberal, das ist keine Frage. Aber sehr unpolitisch, weil jeder darf was. Jeder kann was, und das ist, sage ich mal, eine sanfte Rebellion gegen diese Welle aus Amerika oder der Türkei oder was weiß ich. Das kann wohl sein, dass das so ein Gegenpol ist.

Heute ist er der Chef des Kliemannslandes

Das Kliemansland ist eine Erfindung von zwei Jungs aus den Weiten des Internets. Fynn Kliemann. Und Hauke Gerdes. Früher war Hauke Moderator einer Show, die erst bei MTV, dann bei Viva und vor allem im Internet lief. Rocket Beans, so der Name der Sendung. Hier moderierte er Sendungen zum Beispiel zum Thema Rollenspiele. Nach ein paar Jahren kündigte er...
Hauke sagt: "Das Wesentliche, was wir immer gesagt haben, das ist hier keine Hippiekommune. Das ist hier nicht zum Abhängen. Man soll sich hier nicht selbst finden. Sondern das ist ein Raum, wo wir Ressourcen stellen wollen, um Kreatives zu schaffen. Und wenn das nicht gegeben ist, dann ist man hier halt fehl am Platz, irgendwann."
Und erfand das Kliemannsland. Heute ist er Chef. Und muss delegieren. Und formen und erklären. Was das Kliemannsland ist. Und was sie wollen. Und vor allem, wohin sie wollen. Und was sie nicht wollen.
Fynn Kliemann und Brian in einer Drehpause. Sie wollen Spaß haben. Und "cool" muss die Arbeit sein.
Fynn Kliemann und Brian in einer Drehpause. Sie wollen Spaß haben. Und „cool“ muss die Arbeit sein.© Deutschlandradio / Maximilian Klein
"Also, auch wenn das kein schönes Wort ist. Das ist natürlich auch so ein Standortfaktor. ... ich komme auch aus Niedersachsen. Auch richtig aus dem Dorf. Hab ja dann aber acht oder neun Jahre in Hamburg gewohnt. Für mich war das eine bewusste Entscheidung, wieder auf das Land zu ziehen. ... Und ich glaube, das ist das, was uns von anderen Projekten unterscheidet."
Hauke. Er hat einen Ring in der Lippe. Er ist Kliemannsland. Von den anderen wird er gerne "einer von den beiden Chefs" genannt. Und das alles hier ist auch sein Baby. Verantwortung tragen. Das ist sein Job. Auch wenn es von außen nur nach "kleinen Filmchen und Spaß im Internet aussieht". Das Kliemannsland hat ein Ziel.
"Und wenn uns jemand schreibt, hey, ich würde gerne drei Monate bei euch abhängen. Und eine gute Zeit haben. Dann sagen wir, hey, das ist ein Ort, wo man eine richtig gute Zeit hat, aber wir kennen dich halt noch nicht. Niemand, der hier ist, kennt dich. Komm erstmal her für eine Woche oder so. Und dann lernt man sich kennen. Und dann gucken wir, ob du eine Idee hast, was du eigentlich tun willst. Ob du hier etwas voranbringen willst. Wir sagen nicht, du musst hier eine Wand hochziehen, weil uns das hilft.
Das ist das, was uns von einer Hippiekommune unterscheidet, glaube ich. Weil viele meinen so, die hängen so zusammen ab und haben eine gute Zeit. Und wir haben auch eine gute Zeit. Aber wenn ein Ergebnis Kacke ist, sagen wir, das Ergebnis ist Kacke. Also, wenn was mal nicht gut geworden ist, sagen wir auch mal, das ist nicht cool geworden. Wenn wir was machen, was nicht gut geworden ist, sagen wir auch, damit sind wir nicht zufrieden."

Ein Skateboard in der Form eines Penis

Hauke wirkt wie das ernste Gesicht des Kliemannslandes. Der, der auf die Zahlen schaut. Und auch mal den Spielverderber mimen muss. Wir stehen in der kalten Scheune, die hier Schleuse genannt wird. Im Hintergrund wartet Fynn Kliemann auf einen anderen Youtuber. Sie sind zum Videodreh verabredet. Auf einem Skateboard in der Form eines Penis springt und rollt er durch die Gegend.
"Das war mal ein bisschen so die Idee hier zu sagen, dass wir hier so gesagt haben, ey, es wäre cool, wenn es ein cooler und unbürokratischer Ort ist. Aber der Verwaltungsapparat dahinter ist die absolute Verwaltungshölle. Aber es ist kein wirkliches politisches Statement. Für uns ist das ein Witz. Klar. Also es kann sein, dass jemand, der ernsthaft glaubt, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht existiert, sich dadurch auf den Schlips getreten fühlt."
Das Wort "cool" wird häufig gebraucht. Alles muss hier irgendwie cool sein. Aber bitte nicht politisch. Ein Hof mit einem Schild darüber. Es soll ein Land sein. Schnell kommt der Gedanke an die Reichsbürger auf.
"Das ist für uns ein Gag. Wir haben mal gesagt, irgendwann hängen wir mal eine Flagge auf. Also ich weiß noch, beim Weihnachtsmarkt war die Polizei mal hier. Und da haben wir auch mal den Gag gemacht, dass die Polizei eigentlich nicht in unser Land darf. Dass wir sie aber als fremde Staatsorgane anerkennen. Und deswegen, aus guter Freundschaft zur Bundesrepublik, sagen ja, ok, ihr könnt kommen."

Kameras umschwirren einen Youtuber

Es ist der Humor des Internets. Dinge auf die Spitze zu treiben. Und aus einem Spaß dann irgendwie Wirklichkeit werden zu lassen. Im Netz funktioniert das mit Memes, Katzenbildern, Snapchatvideos und Blogs. Nur dass das hier keine Blogwall ist. Sondern solides Mauerwerk. Und der Scherz muss jetzt durchgezogen werden.
"Und wir haben zum Beispiel schon dem Fantasialand eine Staatenpartnerschaft angeboten. Also wir hatten den Plan mal, anerkannt zu werden. Also wir haben Christiania mal geschrieben, ob die uns anerkennen wollen. Dann erkennen wir die an. Also, das ist für uns ein Gag."
Fynn Kliemann steht vor einem großen Tisch. Zwei Kameras schwirren um ihn und einen blassen Jungen herum. Er soll ein politischer Youtuber sein. Wann gedreht wird und wann nicht, ist nicht völlig klar. Es gibt kein Action! Oder Bitte! Es sind nahtlose Übergänge. Zwischen Fiktion. Virtualität und Realität. Am Rande steht Vanessa. Sie hat ihr Smartphone in der Hand. Sie zittert. Es ist kalt. Sie sieht etwas verloren aus mit ihrem schicken Mantel neben der brennenden Tonne, die Wärme spenden soll.
"Sehr idealistisch alles...."
Vanessa: "Aber es funktioniert!"
"Das widerspricht sich ja nicht."
"Also in dem Sinne, es kommen tatsächlich nur nette Leute. Also wir haben noch keine negativen Erfahrungen gemacht. Es ist auch so, egal wie viele Leute hier rumlaufen, man muss auch keine Angst haben dass einem Sachen geklaut werden, die jetzt frei rumliegen. Es ist noch nie etwas weggekommen. Es ist so irgendwie völliges Vertrauen von allen Seiten. Und noch funktioniert das ganz gut. Ich hoffe, das bleibt auch so."

Es kann das Paradies sein - oder auch die Hölle

Um in Rüspel aufzufallen, bedarf es nicht viel. Vielleicht zu laut durch das Dorf fahren. Oder lautes Rufen. Oder eben ein Land gründen und alles auf den Kopf stellen. Wie das Kliemannsland. Im September 2016. Das Leben in einem Dorf ist eine sensible Angelegenheit. Es kann das Paradies auf Erden sein. Aber auch zum Vorhof der Hölle werden. Und Grundstücksverläufe, entlaufene Tiere und Katzen, die an den falschen Fressnäpfen sich laben können, zu ausgewachsenen Streitereien führen.
"Ganz am Anfang sind Fynn und Hauke rumgegangen. Haben sich überall vorgestellt. Haben eingeladen regelmäßig. ... Und haben dann ein Dorffest gemacht und haben alle eingeladen und für die gekocht, um sich irgendwie vorzustellen. Das ist nun auch ein großer Teil der Gemeinde hier. Und die kriegen alles mit, was wir machen."
In Hörweite des Kliemannslandes steht eine Farm. Sie sieht aus wie aus einer Playmobilschachtel entnommen. Blitzeblanker Hof. Milchkühe stehen in ihren Boxen. Es sieht wie eine Kulisse aus.
Lühmann: "Ja, mein Name ist Peter Lühmann. Ich bin 32 Jahre alt. Komme aus Rüspel, bin hier aufgewachsen. Geboren in Zeven."
Peter Lühmann ist so was wie der heimliche Chef des Dorfes. Er wird auch König von Rüspel genannt. Bescheiden steht er vor seiner Scheune. Ihm gehört hier jede zweite Wiese. Er war eine der Schlüsselfiguren, die es zu erobern galt. Als Garant für den Erfolg. Des Kliemannslandes.
"Dann hieß es irgendwann, dass er hier mein Nachbar wird. Und dann ja gut, würde ich persönlich kennen. Kam dann beim ersten Video. Er brauchte einen Treckerfahrer und hat dann recht schnell, dass ich das hier bin."
Fynns Welt. Das ist: hier ein Kaff, da ein Kaff. Er ist hier in der Gegend aufgewachsen, kennt jede Eiche persönlich. Jedes Dorf tickt hier gleich. Und eben auch wieder nicht.
"Rüspel hat so ungefähr 200 Einwohner. Wir sind zweimal Golddorf gewesen. Das heißt das schönste Dorf. Also, da sind hier alle ganz stolz drauf. Ist aber schon ein bisschen her. Rüspel ist, ja, wie soll man das mal nennen. Ein verschlafenes Nest, sage ich mal. Hier hat man seine Ruhe."
Ruhe ist das Gegenteil vom Kliemannsland. Aber sie ließen sich etwas einfallen und verbanden die Dinge miteinander. Sie stellten selber Bratwurst her. Natürlich dokumentiert auf youtube als eine Folge der Sendung des Kliemannslandes. Für eine weitere Folge luden sie das ganze Dorf zum Grillen ein. Und stellten sich vor.
"Gerade bei den Älteren, wo es, glaube ich, so ein bisschen, das ist ja auch neu für die, diese ganze Youtube-Geschichte. Internetgeschichte. Das muss man so ein bisschen langsam erklären. Das muss langsam kommen. Aber wenn man offen auf Leute zugeht hier, dann kriegt man das auch genauso zurück. Also, der Dorfmensch ist erstmal zurückhaltend und vorsichtig. Aber wenn man ihm alles erklärt und macht, hat man die besten Freunde hier."
Ein Dorf weiter wohnt der Bürgermeister. Ich stehe erst vor dem falschen Haus. Mein Navi ist sich hier jetzt auch nicht mehr ganz sicher mit den Hausnummern. Als ich es dann finde, wieder gepflegter Vorgarten. Der Hund kommt angerannt. Die Frau bittet mich in das Haus.
Bellmann: "Er hat andere Ideen als andere Menschen. Als es sonst üblich ist im Dorf, sage ich einfach mal. Aber, na ja. Aber alle gucken auch gespannt und äh, und denken: Ja man. Was läuft jetzt eigentlich ab. Eins muss ich noch dazu sagen: Und das ist auch sehr, sehr gut angekommen bei den Menschen hier - der alte Gasthof, da haben die Vereine ja von je her gefeiert…und das hat der Fynn Kliemann ja auch wieder ermöglicht. Natürlich ist er kein Kneipier, sondern…jeder Verein ist dann selbst zuständig für die Organisation. Aber das ist natürlich sehr, sehr gut angekommen."

Bürgermeister eines Fantasielandes

So etwas wie einen kritischen Ton zu finden scheint nicht möglich. Scheinbar machen sie alles richtig hier in dieser Gegend. Dieser heilen, sauberen Welt. Seit einem halben Jahr ist Andreas Bellmann jetzt Bürgermeister. Genau so lange wie es das Kliemannsland gibt.
"Auf jeden Fall! Auf jeden Fall. Also das muss, kann man auf jeden Fall sagen. Belebungsmotor – ganz klar. Ich erinnere mich an den Weihnachtsmarkt. Das war ein Riesenauflauf von Menschen. Und auch hier kann man wirklich sagen: Viele, viele hier aus der Gegend sind hingefahren, haben sich‘s angeguckt. Ich glaube fünf oder sechstausend Menschen waren da. Das war schon Wahnsinn. Und also wirklich hauptsächlich junge Leute waren da. Das ist, ja, nicht so üblich auf den Dörfern…meistens holt man doch schon die Ältern aus den, ja, aus den Häusern, aus den Stuben heraus…das ist schon ganz toll. Und für unsere Gemeinde, das muss ich schon ganz ehrlicherweise sagen, (lacht) wir werden ja deutschlandweit bekannt, mein! Wir werden ja fast europaweit bekannt. Ich weiß nicht wie weit. Wir sind schon bekannt geworden. Das muss man ehrlicherweise sagen."
Vor Herrn Bellmann liegt ein Buch. Rechtstexte. Ob es ihm gehöre. Nein, sein Sohn ist bei der Polizei. Macht gerade seine Ausbildung. Ob er auch mal im Kliemannsland war? Nein, nicht seine Welt – seine Welt ist die für ihn echte Welt. Wenn es um sein Dorf, seine Gemeinde geht, da gibt es kein Halten.
"Die Seele hier, ja, ich würde sagen, die Seele hier auf diesen Dörfern hier ist: Wir leben ja hier von den Vereinen. Von den Vereinen, die organisieren, die auch die Feste feiern, die zusammenkommen…da gehen die Menschen auch hin, da gehen sie gerne hin. Ähm, Hilfsbereitschaft, das ist hier also wirklich, muss man sagen, äh ganz groß geschrieben. Jeder kennt jeden, das ist ganz klar,…das ist so auf dem Dorf. Was ist noch die Seele? Aber dieses Kühle, Norden, das muss ich ehrlich sagen, das widerspricht dem. Wobei: Ich finde, Kliemann kommt hier aus der Gegend…er ist hier mit einem Projekt hergekommen, dass eigentlich unüblich ist, so was kennt man hier nicht. Du, trotzdem hat niemand gesagt: Och. Den nicht! Sondern: Klar helfen wir! Wenn du was brauchst, sag Bescheid, wir kommen und helfen dir."

"Boah - Heimat..."

Fynn Klieman hat das Landleben verstanden. Die Schmiere des Zusammenlebens. Er weiß, wie es funktioniert, wie er Leute einfangen muss, um seine Ziele zu erreichen.
Wenn Fynn Kliemann den Raum betritt, dann kommt da ein Youtubestar, man kennt ihn aus seinen Clips. Er hat Fans in ganz Deutschland. Und er ist, wie er ist. Nach drei Tagen hat es geklappt mit dem Interview. Wenn jemand Musik macht, eine Agentur führt, erfolgreich zwei youtube-Kanäle bestückt, programmiert, einen Hof kauft und zig andere Projekte leitet, kann die Zeit schon mal knapp werden.
Er sitzt in seinem selbstgebauten Studio. Es gibt natürlich eine Folge über den Umbau. Ein junger schlaksiger Mann. Dunkle Augen, die ständig durch den Raum rasen. Sein Körper ist immer in Bewegung, seine Gedanken scheinen es auch zu sein. Und doch tief verwurzelt in seiner Gemeinde.
Kliemann: "Boah... Heimat. Ich war ja noch nie so richtig weg. Ich kenne ja irgendwie nur so das. Ich bin hier irgendwie aufgewachsen und bin hier immer geblieben. Heimat ist das hier für mich. Weil ich nichts anderes kenne. Ich weiß gar nicht, was das ausmacht.
Ich bin in letzter Zeit in Berlin und so. Treffe da irgendwelche Leute. Und ich freu mich immer mega...also allein schon bei der Parkplatzsuche bin ich schon so, Alter... ich will einfach nur nach Hause."
Er macht genau das Gegenteil von dem, was alle anderen machen. Meine, seine, unsere Generation kann die Füße nicht stillhalten. Wir können unsere Freiheiten genießen und definieren. Meistens tun wir das mit einem Easyjetflieger in irgendeine entlegene Ecke der Welt. Um es dann genüsslich unseren Freunden auf Facebook aufs Brot zu schmieren. Fynn Kliemann macht das ja auch. Und eben auch nicht.
"Wenn du jünger bist, ist es einfach scheiße. Hier wohnen genau drei Skateboarder ungefähr. Der Hälfte davon habe ich das gezeigt. ... Musiker sind sehr beschränkt. Alle machen nur Punkrock. Also meine ganzen Interessengebiete sind hier nicht so richtig supported. Irgendwann findest du so ein, zwei Leute, und an die hältst du dich dein restliches Leben so. Aber das war ein Riesenproblem. Ich wollte immer weg, und wohin? Wo es auch Menschen wie mich gibt. So.
Gut, ich habe andere Sachen gemacht. Viel mit Feuerwerkskörpern gespielt. Sachen umgenietet und so. Aber die haben richtig was gesehen und erlebt so, von der Welt so. Oder Menschen getroffen, die andere Sprachen sprechen."
Landleben. Für viele Städter ist das ein Magazin mit schwülstigen Texten über die beste Anpflanzmethode von Kräutern und Hochglanzbildern von teuren Tischen mit Vasen darauf, dekoriert passend zu der Jahreszeit. Landleben für Fynn Kliemann heißt, mit dem Luftgewehr auf Böller zu schießen. Und das dann eben zu filmen. Nur mit weniger Leuten um sich herum. Also fing Fynn an, sich seine eigene Welt zu bauen.
"Also, es ist ja echt eine Luxussituation, dass die Leute jetzt herkommen, um was hier zu machen. Weil das ist echt selten. Das ist ja auch genau das, weswegen wir ja auch soviel Support aus der Gegend haben.
Jeder Besucher des Kliemannslandes wird fotografiert und an einer Pinnwand verewigt. Das Schild in der Mitte mit der Aufschrift "Kliemannsland" wurde von einem Fan gebastelt.
Jeder Besucher des Kliemannslandes wird fotografiert und an einer Pinnwand verewigt. Das Schild in der Mitte wurde von einem Fan gebastelt.© Deutschlandradio / Maximilian Klein
Alles, was hier passiert. Und wie wir das stemmen und vor allem, wann wir das stemmen, und wer das tut, sind Riesenfragezeichen, die sich jetzt erst so Stück für Stück rauskristallisieren. Und je mehr Leute sich dem Projekt anschließen und auch so verinnerlichen und auch so mit so viel Herzblut dabei sind, dann sie sagen: Das ist meine Baustelle, das mache ich jetzt. Das ermöglicht erst dieses Krabbeln, Größerwerden, wo man mal irgendwann mal gehen und rennen lernen soll."

Das ist keine Hippiekommune

Das Kliemannsland ist dabei, ein Selbstläufer zu werden. Fünf festangestellte Mitarbeiter gibt es bereits. Mit 28 Jahren haben die meisten noch keine Ahnung, was sie eigentlich vom Leben wollen. Fynn verdient sein Geld in seiner selbst gegründeten Online-Agentur und mit der Produktion seiner Kliemannsland-Folgen. Eine Produktionsfirma und er teilten sich die Kosten beim Kauf des Hofes.
"Ey, das lebt halt so. Mit und ohne mich auch weiter. Und das ist nicht Stillstand und sitzt rum und sagt, was mache ich als nächstes. Sondern Gas geben. Und das ist, das ist das Geile daran. Und auch gerade das Geile daran für die Leute, glaube ich. Dass sie sich selbstverwirklichen können. Und dass man eben nicht sagt, das ist der Plan, und daran hältst du dich jetzt bitte. Sondern alles Interpretationssache, und jeder soll damit machen, was er will."
Alles frei? Ohne Regeln geht, läuft, rennt kein Projekt der Welt. Es hat den Anschein der liebevollen Anarchie. Aber das ist nur Schein. Es geht natürlich auch um Zahlen. Um Kosten. Um Verantwortung. Um Durchsetzungsvermögen. Hauke, Co-Gründer des Kliemannslandes:
Hauke: "Für uns gelten normale moralische Regeln. Gewalt ist hier ein absolutes No-Go. Dann Hart-Alkohol ist so, geht so. Also ist jetzt nicht schlimm, wenn mal einer hier einen Korn trinkt. Aber das ist hier nicht der Ort für Besäufnisse. ... Das haben wir ganz früh gemerkt, dass wenn sich hier Leute hart betrinken, es ist ja auch immer, wie die Leute dann sind. Aber das ist nichts, was wir hier forcieren. ... Das ist halt nicht die Partykommune für alle in der Gegend.
Wir wollen nicht so, das darfst du twittern, das darfst du nicht twittern. Sondern versuchen, das offen zu halten, klar. Immer mit Blick auf den Content. Wir können nicht zulassen, dass jemand neben unserem Kameramann steht, alles filmt, was wir machen und genau das gleiche Video hoch lädt. Weil das bezahlt am Ende hier die Rechnung."
Kliemann: "Ja, das stimmt auch. Es gibt natürlich auch Regeln. Weil schon alleine durch den finanziellen Rahmen gibt es Regeln. Zum Beispiel so ne Sache: hier gehen ganz viele Leute ein und aus. Heizung immer auf fünf. Fenster auf, haben wir irgendwie im Monat für 2000 Euro hier durchgeballert. Geht halt nicht. Und jetzt müssen wir da Grenzen machen, es gibt da Regeln. Und wenn das wieder passiert, dann müssen die Leute eben daran beteiligt werden. Also, die zahlen ja auch keine Miete oder so. Wir sehen das so, wir zahlen indirekt Miete für die Bude hier, und dafür arbeiten die. Das klassische Modell Kosten und Logis."
Das Kliemannsland ist zu einem sozialen Projekt herangewachsen. Aus einem Scherz wurde eine Idee. Aus einer Idee wurde eine Wirklichkeit. Mit vier Wänden. Dach. Vier Bauwagen. Und virtuellem und echtem Leben.
"Ich finde das irgendwie, das ist das, was ich mir auch immer gewünscht hätte so. So einen Platz, wo man das machen kann. Und so ticke ich auch einfach. Ich nehme mir auch ganz viel von den Leuten so. Das ist einfach nur das Zurückgeben. Ich finde nur, man muss nur so eine Waage halten im Leben.
Das kennt jeder. Du rufst einen Kumpel zum zehnten Mal an und willst irgendwas von dem. Und hoffst eigentlich nur, dass er dich anruft und irgendetwas braucht."
Hauke und allen hier ist am Wichtigsten: Offenheit. Sie atmet durch jede Pore, rauscht wie eine frische Brise durch jeden Spalt im Haus. Und qualmt aus jedem Lagerfeuer, das hier abgebrannt wird.
Flynn Kliemann sagt: "Viel rudimentärer, unterschiedliche Hautfarben. Akzente, Sprachen, was auch immer. Jeden Unterschied, den du zu anderen Menschen hast, Gehalt, was auch immer. Der spielt halt hier keine Rolle. Und das ist eigentlich schon immer mal der Grundstein dafür, dass diese Grundeinstellung bei den Leuten halt fix ist. Dass die Leute merken, hier gilt eine absolute Freiheit, und deswegen auch der Spruch da: Ich kann hier sein wie ich möchte. Ich kann hier mehr oder weniger machen, was ich will. Solange es irgendwie diesem Projekt dient."
Hauke: "Ich find 'alle gleich' ist cooler so. Das ist, glaube ich, auch ganz wichtig. Dass hier grundsätzlich eine Gleichheit gilt. Man kann eine Verantwortung haben. Das heißt nicht, dass man irgendwem respektlos begegnen kann. Das Wort bitte ist hier auch ganz wichtig. Trotzdem ist es so, dass wir gemerkt haben, dass selbst bei wenigen Leuten das schon anfängt, dass hier die Regeln nicht ganz klar gesteckt waren. Dass Leute nicht wussten, dürfen sie das, dürfen sie das nicht. Und im Zweifelsfall das dann tun, und man dann sagt, das ist aber nicht, wo wir hin wollen. Wir wollen eben nicht Hippiekommune werden. Wir wollen nicht, dass hier jeder einfach herzieht. Und 15 davon kennen wir und fünf davon finden wir doof."

Brian erzählt von seinen Reisen

Brian, der am Anfang der Reise einsam am Grillstand war, liegt nun auf der Wiese. Und raucht. Er erzählt von seinen Reisen.
"Ich habe so vor drei Jahren angefangen, intensiv zu reisen. ... meine Familie kam ja aus Irland, da war ich dann sehr oft. Und vor drei Jahren habe ich mit Israel angefangen. Jordanien. Und dann mit dem Wohnmobil. Von Norwegen, Schweden bis Portugal, Spanien, Frankreich, Belgien, Holland."
Und er macht ernst. Er wird der erste feste Bewohner. Vom Kliemannsland.
"Also wir haben gerade das Mobilheim, das ich mir gekauft habe, 42 qm Mobilheim, hier mit dem Trecker hergeschleppt. Es kam nachts, um vier Uhr geliefert. Weil das Überbreite hatte. Und das haben wir jetzt in sieben Stunden auf den Acker gekriegt. Da, wo ich letztendlich dann mal wohnen werde. Als Kliemannsländer."

Erstsendung: 2. April 2017

Mehr zum Thema