Kleinstes und Größtes im Zoo

14.12.2010
Ein alter und ein junger Mann gehen an einem Nachmittag im August plaudernd durch Prag. Von fern erinnern sie an einen philosophischen Lehrer und seinen Schüler, an die Peripatetiker der Antike, die wussten, dass das Spazierengehen der Entstehung der Gedanken förderlich ist.
Tatsächlich aber sind die Hauptpersonen der fälschlich als Novelle angekündigten Erzählung "Treffpunkt Pinguinhaus" des Tschechen Emil Hakl Vater und Sohn, und ihre Unterhaltungen kreisen um die Familiengeschichte, um Frauen, Cocktail- und Pilzrezepte, Träume, Biere und Schnäpse, Flugzeuge, Glatzen, Krankheit, Tod und Seele. Also um eigentlich alles, was das Leben eines Mannes am Ende des 20. Jahrhunderts ausmacht, Autos vielleicht ausgenommen. Und Philosophie auch.

Der 71-jährige Vater ist Rentner und verdient sich als Führer im Prager Zoo etwas hinzu. Sein Sohn, der 42-jährige Honza Benesch, trifft ihn etwa alle drei Wochen am Pinguinhaus. Neues gibt es, so antwortet der Vater auf die erste Frage des Sohn, auf der Erde seit zwei Milliarden Jahren nicht mehr, "alles nur Variationen auf das Thema Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff". Kein Grund zur Verzweiflung, findet der ältere Herr. Wie der Bafler, jener vom Schriftsteller Bohumil Hrabal bekannt gemachte Schwejk-Nachfahr, dem das Bier zu rhetorischer Standfestigkeit noch gegenüber der Apokalypse verhilft, weiß Vater Benesch sich zu amüsieren.

Dem Sohn ergeht es anders. Honza ist desillusioniert, sein Hirn ein "breiiger Hausherr". Er hält nicht viel von der Welt (eine "graue, undurchdringliche Kugel voller Rauch, Exkremente und Gelächter") und von sich. Nicht einmal der Gedanke an Hanka, seine neue Frau, muntert ihn auf, und der Vorsatz, sie nicht wie alle vorhergehenden zu betrügen, scheint nicht allzu haltbar. Denn Honza schätzt jede Ablenkung, weil er das Ende der Gewohnheit und der Langeweile erhofft – wohl wissend, dass "alles, was schließlich passiert, augenblicklich die Züge des Alltäglichen annimmt." Honza ist, erfüllt von Ekel, ein moderner Melancholiker.

Die Unterhaltung zwischen den beiden Männern, von Mirko Kraetsch flüssig übertragen, mäandert ungerührt zwischen Kleinstem und Größtem: den Freuden der Darmentleerung und der nationalsozialistischen Judenermordung, Hämorrhoiden und Gott, Kannibalismus und Pflanzenbestimmung, sexueller Aufschneiderei und der Frage, wie die Seele aussehe. Das Gespräch ist nicht unproblematisch, weil der Sohn die Sprüche des Vaters kennt und hasst, das Aufbegehren aber immer wieder hinunterschluckt. Zugleich erleben beide Überraschungen, wenn einem von ihnen Neues einfällt und der andere auch noch zuhört. Es ist keine ideale, aber eine manchmal glückende Unterhaltung, die sich im Bekannten der Vertrautheit und der Zuneigung versichert und dann daraus die Kraft zur Öffnung schöpft.

Weil Vater und Sohn auf zwar nicht unproblematische, aber einander zugeneigte Weise über fast alles zwischen Himmel und Erde sprechen, wirkt die preisgekrönte Erzählung des 1958 geborenen Hakl bei aller Leichtigkeit, Alltäglichkeit und zuweilen grotesken Komik letztlich doch philosophisch, und aus dieser Ungewissheit, mit was genau man es bei diesem kleinen Buch eigentlich zu tun hat, speist sich das gar nicht kleine Lektürevergnügen.

Besprochen von Jörg Plath

Emil Hakl: Treffpunkt Pinguinhaus
Aus dem Tschechischen von Mirko Kraetsch
Braumüller Literaturverlag, Wien 2010
180 Seiten,18,90 Euro