Kleines Land, großes Leid
Der kleine Staat Togo liegt in einer Region, deren politische Stabilität in jüngster Zeit erheblich gelitten hat. In Niger haben Putschisten übernommen, in Guinea sind die Machtverhältnisse unübersichtlich, in der Elfenbeinküste verschleppt ein sturer Präsident die dringend nötigen Wahlen. Umso mehr steht Togo, das heute den 50. Jahrestag seiner Unabhängigkeit begeht, unter Beobachtung.
Der Start in die Unabhängigkeit 1960 begann erst einmal mit einer jahrzehntelangen Diktatur, dann wurde vor fünf Jahren der Sohn des Diktators Faure nach einem Militärputsch zum Präsidenten gewählt. Es gab hunderte Tote bei heftigen Protesten wegen Wahlbetrugs. Seitdem regiert Faure mit harter Hand – am Volk vorbei. Vor fast zwei Monaten wurde er erneut zum Präsidenten gewählt, erneut protestierten Tausende wegen Wahlbetrugs – vergeblich.
Der Grand Marché: ein chaotisches Farbenmeer mitten in Lomé, rund um die marmorweiße Kathedrale, das Wahrzeichen der deutschen Kolonialzeit. Hier schlägt das Herz von Togos Hauptstadt – überall Gedränge, kleine Stände, Läden aus Holz und Blech. Lautstark bieten die Fischer den Fang des Tages an, Frauen in bunten Kleidern balancieren Plastikschüsseln und Kisten auf dem Kopf: Im Gehen verkaufen sie Reis, Gemüse, Obst, Limonade.
Sogar Motorräder kämpfen sich im Schritt-Tempo durch Menschenmassen und Schlaglöcher. Ein Auto kann sich kaum jemand leisten. Und so ist ganz Lomé auf die sogenannten Zemidjan angewiesen, die Motorradtaxis – und ihre mutigen Fahrer. Einer von ihnen ist Thomas Naté:
„Es gibt hier keine andere Arbeit. Die Schule habe ich geschmissen und dann habe ich es auf dem Markt versucht, mit einem kleinen Kiosk. Meine Frau arbeitet auch hier und verkauft Seife. Aber die Geschäfte laufen schlecht, und deshalb fahre ich schon seit ein paar Jahren Motorradtaxi – um zu überleben.“
So wie Thomas geht es den meisten hier. Von 100 Togoern haben vielleicht zwei einen richtigen Job. Und das hat nicht nur mit den Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise zu tun. Sondern auch mit Togos Kolonialgeschichte und vor allem mit seiner politischer Führung, die das Land Schritt für Schritt zerstört hat. Dabei galt Togo, das Fleckchen Erde zwischen Ghana im Westen und Benin im Osten einmal als die Schweiz Afrikas.
50 Jahre Unabhängigkeit, das sind 50 verlorene Jahre, sagt einer, der alles miterlebt hat: Professor Kwassivi Francis Amegan. Der Germanist arbeitet trotz seines hohen Alters noch jeden Tag in Togos Nationalarchiv – nur ein paar Straßen vom Grand Marché entfernt. Seit Jahrzehnten erforscht er die Untaten der deutschen und französischen Kolonialherren, die sich 1914 die Klinke in die Hand gaben.
„Die Leute waren immer gezwungen, mehr Arbeit zu leisten, und mehr und mehr Palmöl an die Franzosen zu liefern. Ich habe gesehen, wie die Leute gelitten haben in der französischen Kolonialzeit, wie die Leute verprügelt wurden, und so weiter.“
Die Geschichte lässt Amegan nicht los. Eigentlich könnte er längst Pensionär sein, doch immer noch vergräbt er sich jeden Tag zwischen Bücherstapeln und staubigen Akten. Wenn er an den 27. April 1960 denkt, bekommt er heute noch feuchte Augen. Er war noch Schüler damals, hatte bei katholischen Missionaren Deutsch gelernt. Und er durfte hoffen. Darauf, dass nun nach den deutschen Kolonialherren endlich auch die Franzosen gehen. Dass endlich die Freiheit nach Togo kommt.
„Ich war dabei, als der erste Präsident Sylvanus Olympio seine erste Rede gehalten hat, und wo er sagte – eigentlich ein Zitat aus der Bibel – ‚Die Nacht ist lang, aber der Tag kommt‘.“
Doch nur drei Jahre nach der Unabhängigkeit kommt es zum Putsch, Hoffnungsträger Olympio wird ermordet. An seine Stelle tritt ein Langzeit-Diktator: Gnassingbé Eyadéma. Er macht Togo zu einem Polizeistaat. Menschenrechte zählen nicht. Kwassivi Amegan glaubt, dass der Kolonialismus mit Eyadéma einfach weitergegangen ist. Nur mit anderen Mitteln.
Amegan: „Das Unheil fing damals damit an. Man musste ja gehorchen, das Regime ist autoritär geworden, Mensch – man hat sich nicht glücklich gefühlt. Man lebt ja mit der ständigen Angst ... es ist schwer, aufzuatmen.“
Eyadéma, damals ein enger Freund von Charles De Gaulle und Franz-Josef Strauß, regiert Togo fast 40 Jahre wie sein Privateigentum – bis zu seinem Tod 2005. Dann lässt sich sein Sohn Faure Gnassingbé mit gefälschten Wahlen zum Präsidenten küren – anerkannt von Frankreichs Staatschef Chirac. Bei Protesten gegen schweren Wahlbetrug sterben in Lomé binnen weniger Tage weit mehr als 500 Menschen.
Kodjo Laré: „Wer hat nun die vielen Toten zu verantworten? Nicht nur die Regierung, nicht nur die Opposition, sondern alle, die damals etwas hätten tun können. Auf Deutsch nennt man das unterlassene Hilfeleistung!“
Kodjo Laré war damals mittendrin. Als kritischer Student war er vor Eyadéma nach Deutschland geflüchtet, hatte dort Asyl beantragt und war nach dem Studium zurückgekehrt – in der Hoffnung, nach dem Tod des Diktators werde etwas Neues entstehen, ein besseres Land. Stattdessen übernahm Faure Gnassingbé Togo von seinem Vater wie in einer Erbmonarchie.
Kodjo Laré: „Seine Bilanz – wenn man ihn an die Wand festnageln will – das ist eine Katastrophe. Die Bilanz spricht nicht für ihn.“
Bis heute ist Togo ein Familienbetrieb – mit einer reichen Präsidentenfamilie und einem bettelarmen Volk. Die Bauern im Hinterland hungern, weil ihre Waren verrotten – sie haben keine Straßen, um sie zum Markt zu bringen. Von der versprochenen Autobahn von Lomé nach Ouagadougou keine Spur, die noch von den Deutschen gebaute Eisenbahn ist schon lange nicht mehr in Betrieb.
In vielen Stadtteilen von Lomé fließt kein Wasser mehr; der Strom, den ohnehin das Nachbarland Ghana liefern muss, fällt wegen der kaputten Leitungen oft aus. Das Leben werde immer teurer – die Menschen hätten immer weniger. Klagt der Journalist Séraphin Adjogah. Präsident Faure bekomme davon nur nicht viel mit – in teuren Geländewagen mit getönten Scheiben sehe man eben das Elend nicht.
Séraphin Adjogah: „Da kommen einem wirklich die Tränen! Manchmal denke ich, das ist doch alles einfach unglaublich! Schauen Sie sich Benins Hauptstadt Cotonou an, unser östlicher Nachbar ... noch vor ein paar Jahren haben die Togoer sich über Cotonou lustig gemacht. Wegen der miesen Straßen und der Schlaglöcher. Heute lachen wir nicht mehr, heute sind wir das Armenhaus! Haben Sie hier irgendwo Baukräne gesehen?
Fehlanzeige – der Staat baut nichts, Investoren kommen nicht, ich kann es ihnen auch nicht verdenken. Überall um uns herum – Ghana, Benin, Burkina Faso – überall neue Straßen, neue Gebäude, – Entwicklung eben! Dabei haben wir den großen Hafen ... aber unsere Nachbarländer verkaufen uns sogar unseren eigenen Sand!“
Claude Bamnante hat für solche Kritik nur ein müdes Lächeln übrig. Der Funktionär von Faure Gnassingbés mächtiger Regierungspartei RPT sitzt in einem tiefen schwarzen Ledersessel, hinter ihm im goldenen Rahmen ein mannshohes Poster. Es zeigt den Vater des Präsidenten. „Seine Exzellenz Gnassingbé Eyadéma“ trägt eine Sonnenbrille und winkt gnädig in die Menge – hinter ihm geht die Sonne auf.
Claude Bamnante: „Die Früchte der ersten fünf Regierungsjahre von Präsident Faure sprechen für sich. Wer blind ist, kann hören, was Faure geleistet hat, wer taub ist, kann es sehen. Alles hat sich verbessert, Politik, Wirtschaft, Soziales. Die Togoer dürfen den Präsidenten jetzt nicht im Stich lassen – denn er hat das Land in Richtung Zukunft geführt!“
Jean Kissy traut seinen Ohren nicht. Der Oppositionspolitiker kann nicht glauben, dass die Regierung nach wie vor solche Lügen verbreiten lässt.
Jean Kissy: „Togo ist so tief gefallen, dass man sich kaum vorstellen kann, dass die Talfahrt weitergehen könnte. Wenn diese Regierung nun noch einmal fünf Jahre so weitermacht, dann wird dieses Land bald auf dem Müllhaufen der Geschichte landen!“
Doch Faure Gnassingbé wird weitermachen. Die Wahlen vom 4. März hat er klar für sich entschieden mit dem Slogan „Plus haut, plus loin, plus Faure“- „Höher, Weiter, Faure“. Futa Fata Biu, der Vorsitzende der Wahlkommission, verkündet das Ergebnis. Knapp 61 Prozent der Stimmen für den alten und neuen Präsidenten. Seine Parteianhänger triumphieren. Schwärmen von freien und fairen Wahlen.
Wut und Enttäuschung dagegen bei Faures Gegnern. In Lomé kommt es eine Zeitlang zu heftigen Protesten. Wieder ist von Wahlbetrug die Rede. Wie schon vor fünf Jahren.
„Über 60 Prozent für Faure – das ist unmöglich! Die RPT hat in Togo noch nie Wahlen gewonnen, sie hat uns immer nur betrogen. Schau Dir das an, keine Straßen, keine Arbeit, gar nichts! wir wollen, dass diese Partei endlich verschwindet. Damit Togo endlich frei ist!“
Immer wieder treiben Sondereinheiten der Polizei die Menge mit Tränengas auseinander, nehmen Demonstranten fest, errichten Barrikaden an strategisch wichtigen Punkten. Einer davon ist die Parteizentrale der UFC, der Union der Kräfte des Wandels.
Es ist die Partei des ermordeten ersten Präsidenten Sylvanus Olympio, aber auch die Partei von Faures Herausforderer Jean-Pierre Fabre. Er sollte Togos Barack Obama werden, er galt als Hoffnungsträger der völlig zersplitterten Opposition. Doch Fabre kommt nur auf knapp 34 Prozent der Stimmen.
Jean-Pierre Fabre: „Ich erkenne den Sieg von Faure Gnassingbé nicht an. Ich werde die Wahl anfechten, weiterkämpfen, meine Anhänger weiter mobilisieren. Demonstrieren, das ist mein gutes, verfassungsmäßiges Recht!“
Fabre will bereits vor den Wahlen handfesten Betrug ausgemacht haben. In Togos Norden sollen Wählerlisten aufgebläht worden sein, mit zehntausenden Ausländern, Minderjährigen und Verstorbenen – zugunsten der Regierungspartei. Auch die Wahlbeobachter der EUund der der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS monieren Unregelmäßigkeiten.
Doch in der einstigen deutschen Kolonie Togo bleibt die Herrschaft der Familie Eyadéma auch im fünften Jahrzehnt ungebrochen. Daran kann auch Jean-Pierre Fabre nichts ändern – denn Togos Verfassungsgericht hat alle Klagen gegen den Wahlausgang abgewiesen.
Außerdem hat Präsident Faure einen guten Draht nach Europa.Vor allem die ehemalige Kolonialmacht Frankreich hat ein politisches und wirtschaftliches Interesse daran, dass Ruhe herrscht in Togo. Seit zwei Jahren zahlt die EU wieder Entwicklungshilfe, Bundeskanzlerin Merkel hat Faure Deutschlands Unterstützung beim demokratischen Prozess zugesagt – ein Prozess, der nach den Worten des Präsidenten „unumkehrbar“ ist.
Die Europäer machten einen großen Fehler, warnt der Oppositionspolitiker Jean Kissy. Denn in Togo stünden die Zeichen weiter auf Konfrontation. Auch wenn sich das Blutbad von 2005 bislang nicht wiederholt habe: Im Januar seien in Lomé schon einmal die Panzer gerollt.
Jean Kissy: „Die Internationale Gemeinschaft zögert immer viel zu lange, bis sie handelt – sie lässt den Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste zu, oder sie wartet darauf, dass so etwas geschieht wie in Guinea, wo die Militärjunta auf Zivilisten schießt und es Hunderte Tote gibt. Nach solchen tragischen Ereignissen gibt es dann immer großes Geschrei, und man beweint die Opfer. Hier in Togo muss das anders laufen. Heute schon müsste Europa laut und deutlich sagen: Stop – so geht es nicht weiter!“
Doch es geht weiter. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 hat es in Togo noch keine Wahl gegeben, die unumstritten war und demokratischen Standards entsprach. Wenigstens könne man nun seine Meinung einigermaßen frei äußern, findet Professor Amegan, der Forscher im Nationalarchiv.
Amegan: „Und wenn man heute in ein Restaurant geht und sich mit Freunden trifft, dann braucht man – und ich sage das mit Vorsicht – keine Angst um seine eigene Person zu haben. Das ist aber auch das Einzige, was sich hier bis jetzt geändert hat.“
Der Germanistikprofessor fühlt sich zu alt zum Demonstrieren. Schimpft nur leise über die Zustände in Togo. Er ist ein zurückhaltender Mann. Er hätte in Deutschland bleiben können. Dort hat er studiert, seine Doktorarbeit über die deutsche Kolonialzeit geschrieben.
Aber er kam zurück nach Togo – um sein Land mit aufzubauen. Dem Regime der Eyadémas kann der 70-Jährige bis heute nur seine Leidenschaft entgegensetzen: die deutsche Literatur. Goethe vor allem. Wegen der Themen, die auch in Afrika eine Rolle spielen.
„Zum Beispiel das Thema der Macht, das Thema der Erkenntnis, der Wissenschaft – bis wohin kann der Mensch gehen, die Forschungen treiben – das sind Themen, die uns hier in Togo auch umtreiben.“
Wenn er von der aktuellen Politik seines Landes spricht, zitiert Kwassivi Amegan gern Mephisto, den teuflischsten aller Verführer, und antwortet sich selbst als Doktor Faust, der verzweifelt nach der Wahrheit sucht, nach dem Sinn des Lebens. Und dann staunt er jedes Mal, wie gut Goethes klassisches Drama nach Togo passt. 50 Jahre nach der Unabhängigkeit.
Der Grand Marché: ein chaotisches Farbenmeer mitten in Lomé, rund um die marmorweiße Kathedrale, das Wahrzeichen der deutschen Kolonialzeit. Hier schlägt das Herz von Togos Hauptstadt – überall Gedränge, kleine Stände, Läden aus Holz und Blech. Lautstark bieten die Fischer den Fang des Tages an, Frauen in bunten Kleidern balancieren Plastikschüsseln und Kisten auf dem Kopf: Im Gehen verkaufen sie Reis, Gemüse, Obst, Limonade.
Sogar Motorräder kämpfen sich im Schritt-Tempo durch Menschenmassen und Schlaglöcher. Ein Auto kann sich kaum jemand leisten. Und so ist ganz Lomé auf die sogenannten Zemidjan angewiesen, die Motorradtaxis – und ihre mutigen Fahrer. Einer von ihnen ist Thomas Naté:
„Es gibt hier keine andere Arbeit. Die Schule habe ich geschmissen und dann habe ich es auf dem Markt versucht, mit einem kleinen Kiosk. Meine Frau arbeitet auch hier und verkauft Seife. Aber die Geschäfte laufen schlecht, und deshalb fahre ich schon seit ein paar Jahren Motorradtaxi – um zu überleben.“
So wie Thomas geht es den meisten hier. Von 100 Togoern haben vielleicht zwei einen richtigen Job. Und das hat nicht nur mit den Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise zu tun. Sondern auch mit Togos Kolonialgeschichte und vor allem mit seiner politischer Führung, die das Land Schritt für Schritt zerstört hat. Dabei galt Togo, das Fleckchen Erde zwischen Ghana im Westen und Benin im Osten einmal als die Schweiz Afrikas.
50 Jahre Unabhängigkeit, das sind 50 verlorene Jahre, sagt einer, der alles miterlebt hat: Professor Kwassivi Francis Amegan. Der Germanist arbeitet trotz seines hohen Alters noch jeden Tag in Togos Nationalarchiv – nur ein paar Straßen vom Grand Marché entfernt. Seit Jahrzehnten erforscht er die Untaten der deutschen und französischen Kolonialherren, die sich 1914 die Klinke in die Hand gaben.
„Die Leute waren immer gezwungen, mehr Arbeit zu leisten, und mehr und mehr Palmöl an die Franzosen zu liefern. Ich habe gesehen, wie die Leute gelitten haben in der französischen Kolonialzeit, wie die Leute verprügelt wurden, und so weiter.“
Die Geschichte lässt Amegan nicht los. Eigentlich könnte er längst Pensionär sein, doch immer noch vergräbt er sich jeden Tag zwischen Bücherstapeln und staubigen Akten. Wenn er an den 27. April 1960 denkt, bekommt er heute noch feuchte Augen. Er war noch Schüler damals, hatte bei katholischen Missionaren Deutsch gelernt. Und er durfte hoffen. Darauf, dass nun nach den deutschen Kolonialherren endlich auch die Franzosen gehen. Dass endlich die Freiheit nach Togo kommt.
„Ich war dabei, als der erste Präsident Sylvanus Olympio seine erste Rede gehalten hat, und wo er sagte – eigentlich ein Zitat aus der Bibel – ‚Die Nacht ist lang, aber der Tag kommt‘.“
Doch nur drei Jahre nach der Unabhängigkeit kommt es zum Putsch, Hoffnungsträger Olympio wird ermordet. An seine Stelle tritt ein Langzeit-Diktator: Gnassingbé Eyadéma. Er macht Togo zu einem Polizeistaat. Menschenrechte zählen nicht. Kwassivi Amegan glaubt, dass der Kolonialismus mit Eyadéma einfach weitergegangen ist. Nur mit anderen Mitteln.
Amegan: „Das Unheil fing damals damit an. Man musste ja gehorchen, das Regime ist autoritär geworden, Mensch – man hat sich nicht glücklich gefühlt. Man lebt ja mit der ständigen Angst ... es ist schwer, aufzuatmen.“
Eyadéma, damals ein enger Freund von Charles De Gaulle und Franz-Josef Strauß, regiert Togo fast 40 Jahre wie sein Privateigentum – bis zu seinem Tod 2005. Dann lässt sich sein Sohn Faure Gnassingbé mit gefälschten Wahlen zum Präsidenten küren – anerkannt von Frankreichs Staatschef Chirac. Bei Protesten gegen schweren Wahlbetrug sterben in Lomé binnen weniger Tage weit mehr als 500 Menschen.
Kodjo Laré: „Wer hat nun die vielen Toten zu verantworten? Nicht nur die Regierung, nicht nur die Opposition, sondern alle, die damals etwas hätten tun können. Auf Deutsch nennt man das unterlassene Hilfeleistung!“
Kodjo Laré war damals mittendrin. Als kritischer Student war er vor Eyadéma nach Deutschland geflüchtet, hatte dort Asyl beantragt und war nach dem Studium zurückgekehrt – in der Hoffnung, nach dem Tod des Diktators werde etwas Neues entstehen, ein besseres Land. Stattdessen übernahm Faure Gnassingbé Togo von seinem Vater wie in einer Erbmonarchie.
Kodjo Laré: „Seine Bilanz – wenn man ihn an die Wand festnageln will – das ist eine Katastrophe. Die Bilanz spricht nicht für ihn.“
Bis heute ist Togo ein Familienbetrieb – mit einer reichen Präsidentenfamilie und einem bettelarmen Volk. Die Bauern im Hinterland hungern, weil ihre Waren verrotten – sie haben keine Straßen, um sie zum Markt zu bringen. Von der versprochenen Autobahn von Lomé nach Ouagadougou keine Spur, die noch von den Deutschen gebaute Eisenbahn ist schon lange nicht mehr in Betrieb.
In vielen Stadtteilen von Lomé fließt kein Wasser mehr; der Strom, den ohnehin das Nachbarland Ghana liefern muss, fällt wegen der kaputten Leitungen oft aus. Das Leben werde immer teurer – die Menschen hätten immer weniger. Klagt der Journalist Séraphin Adjogah. Präsident Faure bekomme davon nur nicht viel mit – in teuren Geländewagen mit getönten Scheiben sehe man eben das Elend nicht.
Séraphin Adjogah: „Da kommen einem wirklich die Tränen! Manchmal denke ich, das ist doch alles einfach unglaublich! Schauen Sie sich Benins Hauptstadt Cotonou an, unser östlicher Nachbar ... noch vor ein paar Jahren haben die Togoer sich über Cotonou lustig gemacht. Wegen der miesen Straßen und der Schlaglöcher. Heute lachen wir nicht mehr, heute sind wir das Armenhaus! Haben Sie hier irgendwo Baukräne gesehen?
Fehlanzeige – der Staat baut nichts, Investoren kommen nicht, ich kann es ihnen auch nicht verdenken. Überall um uns herum – Ghana, Benin, Burkina Faso – überall neue Straßen, neue Gebäude, – Entwicklung eben! Dabei haben wir den großen Hafen ... aber unsere Nachbarländer verkaufen uns sogar unseren eigenen Sand!“
Claude Bamnante hat für solche Kritik nur ein müdes Lächeln übrig. Der Funktionär von Faure Gnassingbés mächtiger Regierungspartei RPT sitzt in einem tiefen schwarzen Ledersessel, hinter ihm im goldenen Rahmen ein mannshohes Poster. Es zeigt den Vater des Präsidenten. „Seine Exzellenz Gnassingbé Eyadéma“ trägt eine Sonnenbrille und winkt gnädig in die Menge – hinter ihm geht die Sonne auf.
Claude Bamnante: „Die Früchte der ersten fünf Regierungsjahre von Präsident Faure sprechen für sich. Wer blind ist, kann hören, was Faure geleistet hat, wer taub ist, kann es sehen. Alles hat sich verbessert, Politik, Wirtschaft, Soziales. Die Togoer dürfen den Präsidenten jetzt nicht im Stich lassen – denn er hat das Land in Richtung Zukunft geführt!“
Jean Kissy traut seinen Ohren nicht. Der Oppositionspolitiker kann nicht glauben, dass die Regierung nach wie vor solche Lügen verbreiten lässt.
Jean Kissy: „Togo ist so tief gefallen, dass man sich kaum vorstellen kann, dass die Talfahrt weitergehen könnte. Wenn diese Regierung nun noch einmal fünf Jahre so weitermacht, dann wird dieses Land bald auf dem Müllhaufen der Geschichte landen!“
Doch Faure Gnassingbé wird weitermachen. Die Wahlen vom 4. März hat er klar für sich entschieden mit dem Slogan „Plus haut, plus loin, plus Faure“- „Höher, Weiter, Faure“. Futa Fata Biu, der Vorsitzende der Wahlkommission, verkündet das Ergebnis. Knapp 61 Prozent der Stimmen für den alten und neuen Präsidenten. Seine Parteianhänger triumphieren. Schwärmen von freien und fairen Wahlen.
Wut und Enttäuschung dagegen bei Faures Gegnern. In Lomé kommt es eine Zeitlang zu heftigen Protesten. Wieder ist von Wahlbetrug die Rede. Wie schon vor fünf Jahren.
„Über 60 Prozent für Faure – das ist unmöglich! Die RPT hat in Togo noch nie Wahlen gewonnen, sie hat uns immer nur betrogen. Schau Dir das an, keine Straßen, keine Arbeit, gar nichts! wir wollen, dass diese Partei endlich verschwindet. Damit Togo endlich frei ist!“
Immer wieder treiben Sondereinheiten der Polizei die Menge mit Tränengas auseinander, nehmen Demonstranten fest, errichten Barrikaden an strategisch wichtigen Punkten. Einer davon ist die Parteizentrale der UFC, der Union der Kräfte des Wandels.
Es ist die Partei des ermordeten ersten Präsidenten Sylvanus Olympio, aber auch die Partei von Faures Herausforderer Jean-Pierre Fabre. Er sollte Togos Barack Obama werden, er galt als Hoffnungsträger der völlig zersplitterten Opposition. Doch Fabre kommt nur auf knapp 34 Prozent der Stimmen.
Jean-Pierre Fabre: „Ich erkenne den Sieg von Faure Gnassingbé nicht an. Ich werde die Wahl anfechten, weiterkämpfen, meine Anhänger weiter mobilisieren. Demonstrieren, das ist mein gutes, verfassungsmäßiges Recht!“
Fabre will bereits vor den Wahlen handfesten Betrug ausgemacht haben. In Togos Norden sollen Wählerlisten aufgebläht worden sein, mit zehntausenden Ausländern, Minderjährigen und Verstorbenen – zugunsten der Regierungspartei. Auch die Wahlbeobachter der EUund der der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS monieren Unregelmäßigkeiten.
Doch in der einstigen deutschen Kolonie Togo bleibt die Herrschaft der Familie Eyadéma auch im fünften Jahrzehnt ungebrochen. Daran kann auch Jean-Pierre Fabre nichts ändern – denn Togos Verfassungsgericht hat alle Klagen gegen den Wahlausgang abgewiesen.
Außerdem hat Präsident Faure einen guten Draht nach Europa.Vor allem die ehemalige Kolonialmacht Frankreich hat ein politisches und wirtschaftliches Interesse daran, dass Ruhe herrscht in Togo. Seit zwei Jahren zahlt die EU wieder Entwicklungshilfe, Bundeskanzlerin Merkel hat Faure Deutschlands Unterstützung beim demokratischen Prozess zugesagt – ein Prozess, der nach den Worten des Präsidenten „unumkehrbar“ ist.
Die Europäer machten einen großen Fehler, warnt der Oppositionspolitiker Jean Kissy. Denn in Togo stünden die Zeichen weiter auf Konfrontation. Auch wenn sich das Blutbad von 2005 bislang nicht wiederholt habe: Im Januar seien in Lomé schon einmal die Panzer gerollt.
Jean Kissy: „Die Internationale Gemeinschaft zögert immer viel zu lange, bis sie handelt – sie lässt den Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste zu, oder sie wartet darauf, dass so etwas geschieht wie in Guinea, wo die Militärjunta auf Zivilisten schießt und es Hunderte Tote gibt. Nach solchen tragischen Ereignissen gibt es dann immer großes Geschrei, und man beweint die Opfer. Hier in Togo muss das anders laufen. Heute schon müsste Europa laut und deutlich sagen: Stop – so geht es nicht weiter!“
Doch es geht weiter. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 hat es in Togo noch keine Wahl gegeben, die unumstritten war und demokratischen Standards entsprach. Wenigstens könne man nun seine Meinung einigermaßen frei äußern, findet Professor Amegan, der Forscher im Nationalarchiv.
Amegan: „Und wenn man heute in ein Restaurant geht und sich mit Freunden trifft, dann braucht man – und ich sage das mit Vorsicht – keine Angst um seine eigene Person zu haben. Das ist aber auch das Einzige, was sich hier bis jetzt geändert hat.“
Der Germanistikprofessor fühlt sich zu alt zum Demonstrieren. Schimpft nur leise über die Zustände in Togo. Er ist ein zurückhaltender Mann. Er hätte in Deutschland bleiben können. Dort hat er studiert, seine Doktorarbeit über die deutsche Kolonialzeit geschrieben.
Aber er kam zurück nach Togo – um sein Land mit aufzubauen. Dem Regime der Eyadémas kann der 70-Jährige bis heute nur seine Leidenschaft entgegensetzen: die deutsche Literatur. Goethe vor allem. Wegen der Themen, die auch in Afrika eine Rolle spielen.
„Zum Beispiel das Thema der Macht, das Thema der Erkenntnis, der Wissenschaft – bis wohin kann der Mensch gehen, die Forschungen treiben – das sind Themen, die uns hier in Togo auch umtreiben.“
Wenn er von der aktuellen Politik seines Landes spricht, zitiert Kwassivi Amegan gern Mephisto, den teuflischsten aller Verführer, und antwortet sich selbst als Doktor Faust, der verzweifelt nach der Wahrheit sucht, nach dem Sinn des Lebens. Und dann staunt er jedes Mal, wie gut Goethes klassisches Drama nach Togo passt. 50 Jahre nach der Unabhängigkeit.