Kleines Haus ganz groß

Von Stefan Keim · 27.12.2012
Vor gut 100 Jahren boomte die Wirtschaft im Ruhrgebiet - in Essen, Hagen, Dortmund und Duisburg wurden neue Theater gegründet. Heute können sich verschiedene Häuser in der Region nur noch durch Fusionen halten. Duisburg trotzt der Bühnenkrise bisher mit Erfolg.
Viele Frauen haben sich neue Kleider gekauft. In Droschken fahren sie vor, lassen sich am Arm des Gatten ins neue Theater führen. Geheime Räte, Kommerzienräte und aller möglichen anderen Räte. Das alles geschieht an einem Donnerstagnachmittag, mitten in der Woche. Für eine Arbeiterstadt wie Duisburg ist schon das ein Signal: Die Eröffnung des Stadttheaters am 7. November 1912 ist etwas Besonderes, ein Feiertag. Das Vorspiel zu Wagners "Meistersingern" formuliert den Anspruch: Auch in Duisburg soll es nun erstklassige, hohe Kunst geben.

Um 1900 war die Zeit der Theatergründungen im Ruhrgebiet. In Essen, Hagen, Dortmund und Bochum öffneten städtische Bühnen. Die Wirtschaft boomte, ein Bürgertum entstand, das Orte forderte, an denen es seinem Lebensstil Ausdruck geben konnte. Die Räte und Unternehmer waren auch bereit, dafür zu zahlen. 1,44 Millionen Mark sammelte die Stadt an Spenden, um den schmucken Musentempel mit einem weißen, sechssäuligen Portikus zu bauen. Wenn man heute aus Duisburgs Fußgängerzone hinüberblickt, leuchtet das Theater noch immer wie ein versprengtes Überbleibsel aus der griechischen Antike.

"Es ist im Zweiten Weltkrieg zerstört worden, aber eben nicht dieser Portikus. Der ist stehen geblieben, die Bombe ist ins Haupthaus hineingefallen. Und ich finde es schon spannend, dass sich die Stadtväter nach 45 entschlossen haben, es von vorne her wieder aufzubauen und auch an diesen heilen Teil, der geblieben ist, und das sind eben diese sechs Säulen, nicht zu rühren."

Michael Steindl ist seit acht Jahren künstlerischer Leiter des Schauspiels. Das Haus hat eine ungewöhnliche Struktur. Im Musiktheater ist Duisburg der kleinere Partner der Deutschen Oper am Rhein, bekommt also aus Düsseldorf hochkarätige Opernaufführungen und die Ballettabende des international bejubelten Choreografen Martin Schläpfer. Im Schauspiel stellt Michael Steindl ein Gastspielprogramm zusammen, kooperiert mit Festivals, veranstaltet jedes Jahr im Mai ein kleines Theatertreffen.

2013 kommen Michael Thalheimers "Medea" aus Frankfurt am Main und der "John Gabriel Borkman" aus München in der Regie von Armin Petras. Das Theater ist technisch in einem Topzustand; hier wurde im Gegensatz zu einigen anderen Häusern regelmäßig saniert, auch große Bühnen haben keine Probleme, ihre Stücke zu zeigen. Daneben setzt Michael Steindl auf kleine Eigenproduktionen, vor allem mit dem Jugendclub "Spieltriebe". Dessen Aufführungen richten sich längst nicht mehr nur an Freunde und Verwandte.

"Wir haben hier eine Produktion, die spielen wir jetzt in der vierten Spielzeit und die 33. Vorstellung. Da sieht man, dass doch ein Repertoire erwächst, und jede Jugendclubproduktion hier am Haus ist schon darauf angelegt, dass die sich mindestens zehn Mal vor Publikum beweisen muss."

Steindl, der auch Regisseur ist, führt oft Jugendliche mit Schauspielprofis zusammen. Neben dem großen Saal besitzt das Theater Duisburg dafür eine Studiobühne unter dem Dach. Michael Steindl hat für seinen Bereich einen Etat von 591.000 Euro, der seit vielen Jahren nicht erhöht, aber auch nicht gekürzt worden ist.

"Und da muss ich mir überlegen: Leiste ich mir mal das Burgtheater Wien im Gastspiel? Dann kann ich sicher keine Eigenproduktion mehr machen in einer Spielzeit. Oder ich leiste mir ein etwas preiswerteres Gastspiel von einer anderen Bühne und habe mir dann einen Freiraum im Etat geschaffen."

So entsteht ein dynamischer Spielplan, der Themen aufgreift, die für Duisburg wichtig sind. Eine Mischform aus Ensembletheater und Gastspielbühne. Das Bildungsbürgertum ist stark geschrumpft, in der Stadt gibt es viele Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger. Oper und Ballett hatten viele Jahre lang große Probleme mit der Auslastung, was sich im Jubiläumsjahr allerdings geändert hat.

"Das Duisburger Publikum ist sicher nicht das einfachste Theaterpublikum der Welt. Aber ich glaube schon, dass man es kriegen kann. Und sie sind ja treu."

Als die Theaterehe mit Düsseldorf Mitte des Jahres aufgekündigt werden sollte, gab es heftige Proteste. Die Politiker wurden davon überrascht, aber sie ließen sich umstimmen. Schließlich gehören solche Kooperationen zum Theater Duisburg seit seiner Gründung. Schon vor hundert Jahren gab es eine Verbindung mit Düsseldorf, später dann mit Bochum.

Die zwanziger Jahre gelten als "goldene Zeit" des Theaters, damals wurde Duisburg "Bayreuth des Niederrheins" genannt. Diese lange Tradition muss man bedenken, wenn die Deutsche Oper am Rhein heute als Musterbeispiel für Fusionen gehandelt wird. Eine gemeinsame Identität muss wachsen, ohne sie funktioniert ein Zwei-Städte-Theater nicht. Doch der Stadtrat hat der Rheinoper nun eine Kürzung von einer Million Euro zugemutet.

"Es ist immer noch nicht geklärt, wie es weiter gehen soll. Wir haben den Sparbeschluss der Stadt, aber wie der jetzt genau umgesetzt werden soll, mit welchen Konsequenzen für das Haus, darüber wird eifrig diskutiert."

Einen großen Teil der technischen Einrichtung, die auch das Schauspiel nutzt, stellt nämlich die Rheinoper. Das Jahr 101 des Stadttheaters wird auch ein künstlerischer Überlebenskampf.

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