Kleiner großer Sänger

Der Bass-Bariton Thomas Quasthoff zählt zu den Großen seines Fachs. Dessen älterer Bruder Michael unternimmt jetzt mit einem Bildband eine kleine, persönliche Reise ins Leben eines kleinen Bruders mit einer riesigen Stimme. Schöner wäre es gewesen, hätte der Autor noch mehr den Menschen Thomas Quasthoff geschildert.
Ein Bildband über einen Sänger - und doch kein Bildband wie jeder andere. Hier glänzen nicht hochgestochene Glamourfotos, wie wir sie von anderen Superstars der Klassik mittlerweile gewohnt sind. Die Auswahl, die Michael Quasthoff, älterer Bruder des Weltstars Thomas, getroffen hat, trifft den Nerv dieses Sängers. Privates aus dem Familienalbum, der kleine Thomas beim Schreiben, als Student auf der Kabarettbühne, auf dem Weg nach oben, daneben Offizielles: Der berühmte Bruder auf der Bühne und zusammen mit anderen Stars der Zunft, wie Daniel Barenboim oder Sir Simon Rattle.

Es trifft den Nerv von Thomas Quasthoff, weil sich dieser nie hinter seiner Behinderung versteckt oder mit ihr kokettiert hat. Ein reiner Bildband, wie der Verlag proklamiert, ist das Buch dabei nicht. Aber was dann? Es ist eine kleine, persönliche Reise ins Leben eines kleinen Bruders mit einer riesigen Stimme. Dieses Buch von Michael Quasthoff berührt dort, wo er über seinen Jüngeren und dessen Weg mittels persönlicher Geschichten der Familie erzählt. Er richtet noch immer - und zu Recht - über die Verharmlosung der Contergan-Affäre durch Politik und Wirtschaft und lässt den Leser mitfühlen beim Kampf der Familie für den jungen Thomas: den Kampf um die richtige Schule, das Sich-Wehren gegen die Internats-Unterbringung in einer Sonderschule, die frühe Förderung der Begabung. Das alles ist herrlich unpräntentiös geschrieben.

In diesen frühen Bildern wird der heutige Weltstar Quasthoff vom Podest des hehren Kunstbetriebs gehoben und wieder zum Menschen. Und hier wird auch klar, warum sich Quasthoff nicht verbiegen lässt, warum er noch heute seinen Weg geht und wie er ihn geht.

Und wie geht er ihn? Zielstrebig und menschlich. Wer einmal Thomas Quasthoff gegenüber gesessen hat, kann erleben, wie die Behinderung plötzlich unwichtig wird, wie dieser Sänger von innen glüht und wie stark seine Ausstrahlung ist; der versteht nach diesem Buch, dass er nicht nur dank seines Talents, dank seiner Lehrer und Förderer wurde, was er ist, sondern vor allem dank seiner Familie, die immer für ihn gekämpft hat. Und es sind dann auch hier wieder die privaten Fotos, die vieles klarer werden lassen. Das behinderte Kind ist da kein Anhängsel, kein ungeliebter Mittelpunkt.

Wird dann hier aber nicht durch persönliches Schicksal a) auf die Tränendrüse gedrückt und b) wie es so schön im Neudeutsch heißt, eine "Personality Show" betrieben? Also Familienbande zur Werbung genutzt? Das Schöne an diesem Buch: die Tränendrüse bleibt trocken - so trocken wie auch der Humor herüberkommt, mit dem einige Anekdoten geschildert werden. Und ansonsten ist schließlich jedes Buch über einen Künstler mehr oder minder eine Personality Show. Dieses Buch ist persönlich, aber nicht zu persönlich - doch leider auch nicht durchweg stringent. Gewisse Passagen zitiert der Bruder aus der Autobiografie von Thomas Quasthoff, und er lässt sich auch hinreißen, einen kleinen Opernführer zu "Parsifal" zu schreiben - wer braucht das hier?

Vor allem in den Zeiten nach Beginn der Karriere Thomas Quasthoffs, also nach dem Gewinn des ARD-Musikwettbewerbs, schwelgt der große Bruder Michael sehr oft in den Bekanntschaften des Jüngeren - das geht dann schon stark Richtung Personenkult. Den Fans dieses Bass-Baritons muss man nicht erklären, mit wem und wann, wieso und weshalb er hier und da auf der Bühne stand. Schöner wäre es gewesen, hätte Michael Quasthoff noch mehr den Menschen Thomas Quasthoff, sein stetes Ringen um die Musik - und nicht nur die klassische - geschildert. Den Liedersänger und Jazzfan, Opernsänger und Kabarettisten. Den Lehrer und Menschenfreund. Und den glücklich Jungvermählten.

Der Star geht sowieso durch die Gazetten, durch die Feuilletons - der Mensch bleibt da immer außen vor. Insofern hat der Ältere ab und an die Chance vergeben, auch die anderen Seiten zu zeigen. Ob aus brüderlicher Liebe oder auch mit einem Anflug menschlichen Neides, ist nicht zu beurteilen - es ist nur schade. Letztendlich wird sich dieses Buch nur im Bücherschrank von Quasthoff-Fans wiederfinden. Er eignet sich nicht als Pinup-Girl wie Anna Netrebko, Thomas Quasthoff eignet sich aber - glaubt man dem Buch - als Vorbild für alle Menschen, die gradlinig durch die Welt gehen wollen, ohne sich verbiegen zu lassen.

Rezensiert von Uwe Golz

Michael Quasthoff: Thomas Quasthoff - Der Bariton
Henschel Verlag, Berlin 2006, 176 Seiten, 24,90 Euro