Kleine Szene war gestern, Junge Szene ist jetzt

Von Boris Michael Gruhl |
Mit "Dido und Aeneas" feierte eine neue Spielstätte der Dresdner Staatsoper Premiere. Die Junge Szene startete passend mit sechs jungen Internatsdamen, die Henry Purcells Oper notengetreu beherrschen: authentisch, jugendlich und direkt.
Für viele Jahre war die Kleine Szene in einer Dresdner Villa, die einst Mary Wigmans Tanzschule war, der Ort des Experiments der Staatsoper. Hier gab es auch Projekte für Kinder und Jugendliche und immer wieder streitbare Inszenierungen, die unterschiedliche Kunstgenres zusammenführten. Die Kleine Szene steht als Aufführungsort der Oper nicht mehr zur Verfügung. Es gibt die Idee eine neue Werkraumbühne im Funktionsgebäude hinter der Semperoper einzurichten, dafür fehlt derzeit das Geld.

Jetzt gibt es aber einen Ort für besondere Projekte der Musik und des Tanzes, die sich in besonderer Weise an junges Publikum richten. Das ist zu begrüßen. Am 12. 12., 12.00 Uhr, gab es nun die erste Premiere auf der Probebühne der Semperoper im Funktionsgebäude. "Semper 2" wird der Ort für die Projekte der neu installierten Jungen Szene sein, künstlerisch verantwortet von Manfred Weiß, der von seiner Leitung der Jungen Oper Stuttgart entsprechende Erfahrungen mitbringt.

Zum Auftakt Henry Purcells "Dido and Aeneas", nach Motiven aus dem Versepos "Aeneis" des Virgil, in einer kammermusikalischen Fassung mit Streichquartett und Cembalo. Der Chef hat die Eröffnungspremiere selbst inszeniert. Ilona Lenk hat den Raum und die Kostüme entworfen, vom Cembalo aus leitet Laura Poe die Aufführung.

Weil bis heute nicht gänzlich geklärt ist, ob Purcells Oper 1689 am englischen Königshof uraufgeführt wurde, oder doch im Rahmen einer Privataufführung in einem Mädchenpensionat, und dann wahrscheinlich als Liebhaberaufführung, verlegt Weiß das Geschehen um die Karthagerkönigin Dido und den trojanischen Helden Aeneas in das Sechsbettzimmer eines Internates von heute. Hier müssen Studentinnen wohnen, Musik oder Gesang, denn wie wäre es sonst möglich, dass sie Purcells Oper text- und notengetreu beherrschen.

Sechs junge Damen - fünf sind in Feierlaune, sie haben einen sportlichen Wettkampf gewonnen - bewundern den Pokal und trinken Sekt aus leeren Flaschen.

Eine, Elisabeth, hat Kummer. Sie sagt's ihrem Handy und legt sich ins Bett. Die Siegerinnen sind fröhlich und meinen, wenn sie jetzt die Geschichte von Dido und Aeneas nachspielen wird's auch bei der sechsten den Kummer vertreiben. Sie soll die Königin sein und die schüchterne Anne macht den Aeneas. Decke über die Schultern, Besenstil in die Hand, fertig ist der Held. Nachhilfe gibt ein gänzlich jugendfreies erotisches Schattenspiel. Vier Damen sind noch frei um zu hexen, zu zaubern, zu spuken und Wind zu machen.

Die einen mögen staunen, was Betttücher, Taschenlampen oder Reinigungsutensilien alles hergeben, wenn es darum geht, eine Höhle zu bauen, einen Sturm zu entfachen oder ein Schiff mit geblähtem Segel in See stechen zu lassen. Andere winken ab, Workshop beim Schultheater.

Warum die Internatsdamen dann plötzlich Elisabeth, bzw. Dido, verabscheuen und beschließen, mit einer perfiden Intrige erst den Geliebten von ihr weg, und sie selbst in den Tod zu treiben, liest man im Programmheft, zu sehen ist es auf der Jungen Szene nicht. Zu spüren ist auch nicht, dass Dido unfrei ist in ihrer Entscheidung, hat sie doch geschworen, ihrem ermordeten Gatten die Treue zu halten. Um diese Frau zu versuchen, müsste schon ein anderer kommen, als die verkleidete Anne.

Dem freundlich inszenierten Impro-Theater fehlt es ein wenig an Tiefe, vor allem an Schärfe und Bosheit, was daran liegen mag, dass die Schlafsaalidee im Kontext der Musik schwer aufgehen kann. In der Musik aber nimmt man die Ausweglosigkeit dieses einstündigen Opernkonzentrats wahr.

Keine ganz einfache Sache, wenn man sich für die Kammermusikfassung entscheidet, aber auf die weniger glättenden Klänge historisch orientierter Spielweisen verzichtet.
Das Ensemble der Sängerinnen mit Stephanie Atanasov als Dido und Romy Petrick als Belinda überzeugt kraft seiner authentischen, jugendlichen Direktheit.

Ein Anfang ist gemacht, das ist sehr zu begrüßen. Schon im Februar kommt César A. Cuis Märchenoper "Der gestiefelte Kater" auf die Junge Szene, hier werden junge Choreografen ihre Arbeiten vorstellen und im April choreografiert Stijn Celis "Cinderella".

Bis dahin werden sicher auch die Sichtmöglichkeiten optimaler sein. Zudem bleibt noch abzuwarten, wie die Zielgruppe das Angebot wahrnimmt, zur Premiere waren Jugendliche eine Minderheit.

Dido and Aeneas
von Henry Purcell
Regie: Manfred Weiß
Musikalische Leitung: Laura Poe
Junge Szene der Sächsischen Staatsoper Dresden