Klein, aber lebendig

Von Ulrich Leidholdt |
Der Libanon gilt als ein multireligiöser Staat. Und seit 150 Jahren existiert dort auch auch die alte deutsche Evangelische Gemeinde Beirut - klein, aber lebendig.
Gottesdienst in der Deutschen Gemeinde Beirut. Von der Straße aus im Flanier- und Geschäftsviertel der libanesischen Hauptstadt ist die kleine Friedenskirche nicht auszumachen. Eingerahmt von Beirut-typischen Hochhäusern verbirgt sie ein Hinterhof.

Jonas Weiß-Lange und seine Frau betreuen die evangelische Gemeinde seit zweieinhalb Jahren. Der Sprung vom wohlgeordneten Alltag eines Berliner Pfarrers nach Beirut mit Ende 50 war auch ein Eintauchen in eine neue Welt.

"Das normale Gemeindeleben unterscheidet sich ziemlich von dem, was ich in Deutschland gewohnt war – erst mal zahlenmäßig: 130 Menschen sind hier offiziell Mitglied, dann weitere, die nicht offiziell Mitglied sein dürfen oder keinen Gemeindebeitrag zahlen können, das hat was mit den Religionsgesetzen hier zu tun, und die dritte Gruppe sind Frauen mit Kindern, die inzwischen Kopftuch tragen, die auch zur Gemeinde gehen, aber natürlich nie zum Gottesdienst."

Die deutsche Gemeinde ist für sie, die formal zum Islam übertreten mussten, weil mit Muslimen verheiratet, Begegnungs- und Beratungsstätte, eine deutsche Kultureinrichtung. Viele sind schon ewig im Libanon, Angelika Mekawwi seit 1969. Sie hält Kontakt zur Gemeinde, schätzt ...

"... dass man als Deutsche hier eine Familie hat. Und es gibt viele, die Probleme haben und hier ein offenes Ohr finden. Und das hat den Deutschen immer geholfen - die kommen gern."

"In Deutschland bin ich nie in die Kirche gegangen, im Libanon vor der Hochzeit. Was bedeutet die Kirche für mich? Ich glaube, ich habe hier einige gute Freunde, speziell den Jonas und seine Frau. Das Glockenläuten macht mir Spaß und man lebt."

... Übersetzer Gerd Walter Bussmann in Beirut seit 35 Jahren. Pfarrer haben hier seine Ehe geschlossen und seine Frau beerdigt. Die Gemeinde, seit 1856 in der libanesischen Hauptstadt ist wie ihre Mitglieder in die Jahre gekommen. Das schafft Probleme.

"Die Gemeinde ist alt geworden, das heißt, dass kaum junge Leute nachkommen. Wie bei den meisten christlichen Gruppen im Libanon ist es die größte Sorge, dass die Jungen weggehen – Kanada, Australien, Deutschland usw. Als Gemeinde sind wir Familienersatz bis rein in die praktischen Auswirkungen, dass jemand ins Krankenhaus muss.

Dann muss die Gemeinde oft erst mal die Behandlungsgebühren vorstrecken, weil man sonst nicht aufgenommen wird. Das Zweite ist, sie im Krankenhaus zu versorgen, jemandem Essen zu bringen und die körperliche Pflege. Das machen Familienangehörige, wenn keine da sind, dann ist das die Gemeinde."

Sozialarbeit, die inzwischen den Großteil der Gemeindetätigkeit ausmacht. Mit ganz speziellen Problemen, die etwa binationale Ehen zwischen christlichen deutschen Frauen und muslimisch-libanesischen Männern so mit sich bringen können. Gut, dass Pfarrer Weiß-Lange da über einen besonderen Kontakt verfügt.

"Es gibt ne ganz tolle und für uns sehr entscheidende Ebene mit ‘nem Scheich. Der hilft immer wieder in Fällen wie Gewalt in Familien, Kindesentziehungen oder Schlimmerem als geistlicher Würdenträger zu vermitteln. Und das ist natürlich großartig."

Großartig und ganzer Stolz der Deutschen Gemeinde in Beirut ist auch die Orgel. Die wurde im letzten Jahr von Spenden restauriert und schmückt die Gottesdienste in der Friedenskirche nun wieder mit vollem Klang.

Beim Sonntags-Gottesdienst, zu dem an Feiertagen wie zum Beispiel Ostern auch mal mehr als die üblichen 20 Besucher in der Friedenskirche Platz nehmen, treten für Pfarrer Weiß-Lange die Alltagsprobleme vorübergehend in den Hintergrund: während der Woche wird er oft genug zum Klempner, Elektriker, Hausmeister oder Buchhalter, zum Experten in nahöstlicher Bürokratie oder Vermieter gemeindeeigener Apartments.

Filme, Vorträge und Buchvorstellungen prägen ein Gemeindeleben, bei dem es oft nicht ums Christentum geht, sondern um den Wunsch, unter Freunden zu sein. Der Verkauf von deutschem Brot oder Frühjahrs- und Weihnachtsbasare bringen in einem Land, das staatliches Sozialwesen praktisch nicht kennt, immer wieder erstaunliche Beträge auf - für jene, die allein stehen und nach Jahrzehnten im Libanon und dem Tod des Partners keinen Kontakt mehr nach Deutschland haben und sich selbst nicht mehr helfen können.