Kleider machen Frauen
Zeige mir, was du anziehst, und ich sage dir, wer du bist. Kleider sind Spiegel unserer Persönlichkeit – zumindest meinen das die Psychiaterinnen Catherine Joubert und Sarah Stern. Anhand kleiner Anekdoten zeigen sie, was Kleidung über die geheimen und unbewussten Wünsche der Frauen verrät.
„Der Mensch ist das einzige Tier, das sein Fellkleid täglich wechselt“, schreiben die Autorinnen in ihrer Einleitung. Warum Kleidung und Mode eine solche Faszination auf uns ausüben, dass sie einen derart bestimmenden Einfluss im täglichen Leben haben und zu einem großen Wirtschaftsfaktor werden konnten – diesen Fragen wollen sie anhand individueller Geschichten nachgehen.
In Erzählungen, deren Protagonistinnen von kleinen Kindern über junge Mädchen, erwachsenen Frauen bis hin zu alten Menschen reichen, wird von einschneidenden Erlebnissen mit Kleidungsstücken berichtet. Jeweils im Anschluss an eine Erzählung steht ihre psychoanalytische Deutung.
Mode – lernen wir – übernimmt in verschiedenen Lebensphasen ganz unterschiedliche Funktionen für uns. Dem Kind ist sie Verbindung zur Mutter und Identifizierungsmöglichkeit, dem Jugendlichen Ausdruck der Abgrenzung von der Familie und der Schwierigkeiten mit der erwachenden Sexualität.
Erwachsene Frauen sind am meisten von dem Phänomen heimgesucht. Sie werden kaufsüchtige „Fashion Addicts“ oder sie definieren sich über kostbare Kleider als Stars ihrer gesellschaftlichen Kreise. Wenn sie das aufgeben, nehmen sie zu und werden depressiv. Alten Menschen, die dabei sind, ihre Erinnerungen zu verlieren, kann es Halt geben, sich auch im Heim so sorgfältig und gepflegt zu kleiden, wie sie es stets gewohnt waren.
Cathérine Joubert und Sarah Stern sind zwei junge Kinder- und Jugendpsychiaterinnen aus Frankreich. „Deshabillez-moi“ ist ihr erstes populärwissenschaftliches Buch. Die Interpretationen der Autorinnen basieren auf der Psychoanalyse – womit der französische Untertitel des Buches wirbt, was hingegen der deutsche Untertitel interessanterweise verschweigt.
Insofern ist nicht das theoretische Handwerkszeug, das Joubert und Stern anlegen, neu – wohl aber ihre Idee, die Faszination für Mode psychoanalytisch zu erkunden. Manche der untersuchten Phänomene sind ja auch fast psychopathologische Krankheitsbilder – etwa die Kaufsucht, die eine Frau wie im Rausch stundenlang durch Boutiquen führt. Warum tut sie das? Da leuchtet die Erklärung, dass der ekstatische Erwerb schöner Kleidungsstücke dazu dient, wenigstens vorübergehend das Gefühl, nicht genügend geliebt zu werden oder Anerkennung zu erfahren, zu vergessen, ein.
Der psychoanalytische Ansatz, zu sagen, das liege an einer unzureichenden, irgendwie gestörten Mutterbindung in der frühen Kindheit, erscheint durchaus plausibel. Denn es gibt ja auch Frauen, die bei vollen Kleiderschränken und erfülltem Liebesleben in Kaufrausch verfallen – beim aktuellen Fehlen jeglichen Motivs zur Trostsuche sozusagen.
Manche der Geschichten haben literarische Qualität. Sie lesen sich wie Romananfänge. Das bereitet großes Vergnügen beim Lesen. Je tiefer man in das Buch eintaucht, desto neugieriger wird man auf die „Fallstudien“.
In anderen Erzählungen wieder scheinen die Begeisterung der Autorinnen und ihre blühende Phantasie sie schreibend mit sich fortgerissen zu haben, und auch das Lektorat hat geträumt während der Arbeit. So gibt es immer wieder Stellen, an denen die Klischees dicht an dicht beieinander sitzen wie Paillettenstickerei. Und auf der Seite der Erklärungen wird auch manches Mal die Banalität gestreift: Nicht selten ergreift einen das Gefühl, bei dieser Art der Psychoanalyse handele es sich selbst um eine Art Literatur, weniger eine Theorie.
Vielleicht als ironische Schlussbemerkung: Wenn man das Lesevergnügen der deutschen Leserin an diesem Buch psychoanalysieren wollte – und zwar mit Thesen der Autorinnen – dann könnte man sagen, es gibt uns deutschen Frauen die Gelegenheit, dem Geheimnis der Weiblichkeit unserer französischen Schwestern oder Freundinnen auf die Spur zu kommen. Wir verehren sie schließlich für ihre Schönheit und Eleganz, für ihr Stilbewusstsein und ihre Raffinesse. Und wie bei der kleinen Schwester, die hofft, wie durch Zauber würde etwas von der beneidenswerten Ausstrahlung ihrer großen Schwester auf sie übergehen, wenn sie eines von deren Kleidungsstücken trägt, so versuchen wir nun, lesend das Rätsel zu lösen.
Cathérine Joubert und Sarah Stern: Zieh mich aus! Was Kleidung über uns verrät.
Übersetzt von Christiane Seiler
DVA, 2006
217 Seiten, 14.90 Euro
In Erzählungen, deren Protagonistinnen von kleinen Kindern über junge Mädchen, erwachsenen Frauen bis hin zu alten Menschen reichen, wird von einschneidenden Erlebnissen mit Kleidungsstücken berichtet. Jeweils im Anschluss an eine Erzählung steht ihre psychoanalytische Deutung.
Mode – lernen wir – übernimmt in verschiedenen Lebensphasen ganz unterschiedliche Funktionen für uns. Dem Kind ist sie Verbindung zur Mutter und Identifizierungsmöglichkeit, dem Jugendlichen Ausdruck der Abgrenzung von der Familie und der Schwierigkeiten mit der erwachenden Sexualität.
Erwachsene Frauen sind am meisten von dem Phänomen heimgesucht. Sie werden kaufsüchtige „Fashion Addicts“ oder sie definieren sich über kostbare Kleider als Stars ihrer gesellschaftlichen Kreise. Wenn sie das aufgeben, nehmen sie zu und werden depressiv. Alten Menschen, die dabei sind, ihre Erinnerungen zu verlieren, kann es Halt geben, sich auch im Heim so sorgfältig und gepflegt zu kleiden, wie sie es stets gewohnt waren.
Cathérine Joubert und Sarah Stern sind zwei junge Kinder- und Jugendpsychiaterinnen aus Frankreich. „Deshabillez-moi“ ist ihr erstes populärwissenschaftliches Buch. Die Interpretationen der Autorinnen basieren auf der Psychoanalyse – womit der französische Untertitel des Buches wirbt, was hingegen der deutsche Untertitel interessanterweise verschweigt.
Insofern ist nicht das theoretische Handwerkszeug, das Joubert und Stern anlegen, neu – wohl aber ihre Idee, die Faszination für Mode psychoanalytisch zu erkunden. Manche der untersuchten Phänomene sind ja auch fast psychopathologische Krankheitsbilder – etwa die Kaufsucht, die eine Frau wie im Rausch stundenlang durch Boutiquen führt. Warum tut sie das? Da leuchtet die Erklärung, dass der ekstatische Erwerb schöner Kleidungsstücke dazu dient, wenigstens vorübergehend das Gefühl, nicht genügend geliebt zu werden oder Anerkennung zu erfahren, zu vergessen, ein.
Der psychoanalytische Ansatz, zu sagen, das liege an einer unzureichenden, irgendwie gestörten Mutterbindung in der frühen Kindheit, erscheint durchaus plausibel. Denn es gibt ja auch Frauen, die bei vollen Kleiderschränken und erfülltem Liebesleben in Kaufrausch verfallen – beim aktuellen Fehlen jeglichen Motivs zur Trostsuche sozusagen.
Manche der Geschichten haben literarische Qualität. Sie lesen sich wie Romananfänge. Das bereitet großes Vergnügen beim Lesen. Je tiefer man in das Buch eintaucht, desto neugieriger wird man auf die „Fallstudien“.
In anderen Erzählungen wieder scheinen die Begeisterung der Autorinnen und ihre blühende Phantasie sie schreibend mit sich fortgerissen zu haben, und auch das Lektorat hat geträumt während der Arbeit. So gibt es immer wieder Stellen, an denen die Klischees dicht an dicht beieinander sitzen wie Paillettenstickerei. Und auf der Seite der Erklärungen wird auch manches Mal die Banalität gestreift: Nicht selten ergreift einen das Gefühl, bei dieser Art der Psychoanalyse handele es sich selbst um eine Art Literatur, weniger eine Theorie.
Vielleicht als ironische Schlussbemerkung: Wenn man das Lesevergnügen der deutschen Leserin an diesem Buch psychoanalysieren wollte – und zwar mit Thesen der Autorinnen – dann könnte man sagen, es gibt uns deutschen Frauen die Gelegenheit, dem Geheimnis der Weiblichkeit unserer französischen Schwestern oder Freundinnen auf die Spur zu kommen. Wir verehren sie schließlich für ihre Schönheit und Eleganz, für ihr Stilbewusstsein und ihre Raffinesse. Und wie bei der kleinen Schwester, die hofft, wie durch Zauber würde etwas von der beneidenswerten Ausstrahlung ihrer großen Schwester auf sie übergehen, wenn sie eines von deren Kleidungsstücken trägt, so versuchen wir nun, lesend das Rätsel zu lösen.
Cathérine Joubert und Sarah Stern: Zieh mich aus! Was Kleidung über uns verrät.
Übersetzt von Christiane Seiler
DVA, 2006
217 Seiten, 14.90 Euro