Klebefleisch, frisch aufgewärmt

Von Udo Pollmer · 23.05.2010
Eine neue Version von Klebefleisch erregt die Gemüter. Gerade wollte die EU für diesen Zweck einen neuen Lebensmittelzusatzstoff zulassen. Doch im letzten Moment gelang es im EU-Parlament ein Veto dagegen zu organisieren. Ein Sieg der Vernunft?
Das Veto des EU-Parlaments gegen den neuen Zusatzstoff zur Herstellung von Klebefleisch fiel knapp aus: Mit einer Stimme Mehrheit gelang es, eine Zulassung zu stoppen. Doch Klebefleisch gibt es schon lange: Die klassische Technik bestand darin, das Fleisch zu tumbeln oder zu poltern wie es in der Fachsprache heißt. Dabei werden Schinken in einer Art Waschmaschine durchgewalkt, solange bis an der Oberfläche Fleischsaft austritt. Die Fleischstücke kommen nun in eine Form und werden erhitzt, bis das das Fleischeiweiß bindet. Das ist, wenn Sie so wollen, unsere traditionelle Methode um Kochschinken herzustellen. Da hat sich bis heute nie jemand drüber beschwert.

Dann kamen die Transglutaminasen, die den Prozess erheblich vereinfacht haben. Transglutaminasen sind Enzyme, die in allen Lebewesen vorkommen, die in diesem Falle aber aus Mikroorganismen gewonnen werden. Man streut das Enzympulver zwischen die Fleischteilchen, rührt um und verklebt es unter leichtem Druck. Diese Enzyme werden nicht nur beim Fleisch verwendet, sie haben sich auch im Milchregal bewährt: Denn damit bekommt man die besonders sämigen, cremigen Joghurts hin. Transglutaminasen werden auch für Fisch verwendet, sogar Tofu können Sie damit verkleben.

Das neue Verfahren, über das die EU zu entscheiden hatte, arbeitet nicht mehr mit Extrakten aus Bakterien sondern mit Stoffen, die sowieso in jedem Stück Fleisch vorkommen: Es sind Bestandteile des Blutes, nämlich Thrombin und Fibrinogen. Die werden als Kombipräparat verwendet. Das Thrombin lässt das Fibrinogen gerinnen, es entsteht Fibrin und schon bindet die ganze Chose. Der Prozess erfordert keine Erhitzung, und so kann man auf diesem Wege aus frischen, rohen Fleischteilchen komplette Steaks in jeder gewünschten Form designen.

Gerade für die kleineren, wie gestanzt aussehenden Steaks lohnt sich das. Darauf heben auch die Werbeversprechen der Anbieter gegenüber den Wurstfabriken ab: "Einfach gesagt, Sie können nun neue Zuschnitte von Fleischstücken anbieten, die niemals vorher möglich waren – und das bei Kosteneinsparungen für Sie und Ihre Kunden ohne dafür Qualität oder Geschmack zu opfern." Das Präparat erhöht die Wasserbindung, die Steaks sind saftiger. Auch die Kaufähigkeit kann genau reguliert werden.

Neu ist das Verfahren natürlich nicht. Die Mixtur aus Thrombin und Fibrinogen ist seit gut 10 Jahren im Fachhandel erhältlich. Die Branche kennt das. Es erstaunt mich aber, wenn unsere Lebensmittelüberwachung wieder mal aus der Zeitung darüber erfährt. Übrigens: Diese Präparate gibt’s genauso für Geflügelprodukte, für Fisch, ja sogar zum Verleimen von Hummern gibt es einen Extrakt aus Hummerblut. Auch der Feinschmecker darf die Segnungen moderner Biotechnologie goutieren.

Die oberste Fachbehörde der EU, die EFSA hatte das Produkt bereits im Jahr 2005 bewertet und durchgewunken. Wenn Fleischprodukten in geringer Menge Fleischbestandteile zugesetzt werden, braucht man auch keine Tierversuche. Das Risiko ist logischerweise geringer als bei den bisher verwendeten fleischfremden Transglutaminasen. Daraus folgt: Die Ablehnung durch das EU-Parlament ist also kein Triumph des Verbraucherschutzes, sondern bestenfalls eine politische Posse.

Eine ganz andere Frage ist, ob wir ein solches Produkt überhaupt brauchen – egal ob mit Transglutaminasen oder mit dem Thrombin-Fibrinogen-Kleber. Die Idee, man könne damit wertvolle Fleischteile nutzbringend verwenden, vermag mich nicht zu überzeugen. Wenn die ach so wertvollen Fleischteilchen zum Verkaufen zu klein sind – warum kann man sie dann nicht einfach in eine gute Wurst tun? Oder ist Fleisch für unsere Wurst wirklich schon zu schade? Mahlzeit!

Literatur:
Cutter CN, Siragusa GR: Incorporation of nisin into a meat binding system to inhibit bacteria on beef surfaces. Letters in Apllied Microbiology 1998; 27: 19-23
Lennon AM et al: Performance of cold-set binding agents in re-formed beef steaks. Meat Science 2010; in press
Romero de Avila MD et al: Microbial transglutaminase for cold-set binding of unsalted/salted pork models and restructured dry ham. Meat Science 2010; 84: 747-754
Boles JA, Shand PJ: Effects of raw binder system, meat cut and prior freezing on restructured beef. Meat Science 1999; 53: 233-239
Shafit HM, Williams SK: Sodium diacetate and sodium lactate affect microbiology and sensory and objective characterisics of a restructured turkey breast product formulated with a fibrin cold-set binding system. Poultry Science 2010; 89: 594-602
EFSA: Opinion of the Scientific Panel on Food Additives, Flavorings, Processing Aids and Materials in Contact with Food on a request from the Commission related to Use of an enzyme preparation based on thrombin:fibrinoben derived from cattle and/or pigs as food additive for reconstituting food. EFSA Journal 2005 (214) 1-8