Klaus Wowereit und André Schmitz

Von Manfred Eichel |
Berlin liegt ganz vorne – weltweit. Nur nach New York oder London zieht es mehr Künstler. Und der Kultur-Tourismus boomt wie kaum anderswo. Deshalb mutet es schon recht seltsam an, dass die Metropole an der Spree seit einigen Tagen keinen Kultursenator mehr hat. Der Regierende Bürgermeister hat dieses Amt nämlich abgeschafft, weil er meint, den wichtigen Job selbst ausfüllen zu können. Quasi nebenbei.
Dass Klaus Wowereit von Kultur was versteht – zumindest was die puren Fakten anbetrifft, das hat er in diversen Kultur-Debatten immer wieder energisch und auch meinungsfroh unter Beweis gestellt. Die spektakuläre Schließung des Schiller-Theaters vor einigen Jahren hält er noch immer für „richtig“ – aber die immer noch drohende Schließung eines der drei Berliner Opernhäuser will er partout verhindern. Er weiß: Opern kosten Geld und gute Opern kosten viel Geld. Das hat er nicht und deshalb muss er entweder mit der Erkenntnis leben, drei mittelmäßige Opern zu unterhalten – oder aber, seine Lieblingsidee, er muss die technisch derzeit total marode und deshalb besonders teure Staatsoper an den Bund abgeben. Da hat es angeblich ja mal Signale der CDU-Chefin gegeben.

Ein anderes Problemfeld liegt ganz konkret im Herzen der Stadt – dort, wo früher mal das Preußen-Schloss lag und wo gerade der DDR-„Palast der Republik“ abgerissen wird. Statt der Wiese, die aus Kostengründen preiswert angelegt werden könnte, will Wowereit dort am liebsten unmittelbar nach dem Abriss das „Humboldtforum“ bauen – in der Quadratur des Schlosses, mit überwiegend kultureller und universitärer Nutzung. Das würde mindestens 700 Millionen Euro verschlingen. Berlin würde die Grundstücke einbringen und der Bund sollte die Baukosten übernehmen – meint Wowereit.

Über all das will er mit der Bundeskanzlerin reden – doch die hat erst einmal abgewunken. Und der andere mögliche Verhandlungspartner, der neue Staatsminister für Kultur, ließ den Berliner Landesfürsten ebenfalls erst mal abblitzen. Er findet Wowereits bisheriges, allzu selbstbewusstes Vorpreschen in diesen Finanzierungsfragen, schlicht für unangemessen „hemdsärmelig“.

Im Augenblick sieht es also keineswegs so aus, dass Wowereits Entscheidung, das Kulturressort selbst zu leiten, staatliche Geldgeber rühren und ihre Kassen ohne weiteres öffnen könnte. Nun ist der Regierende in der Tat ein Mann mit Power, exzellenten Verbindungen und einem zuweilen herzlichen Charme. Das hat ihn dazu verführt, sich für effektiver zu halten als irgendein zwar tüchtiger, aber vielleicht nicht ganz so durchsetzungsfähiger Kulturfreund. Also löste er aus dem bisherigen Senat für Kultur und Wissenschaft die Kultur heraus, fügte sie seinem eigenen Bereich ein und setzte als dessen Verwalter seinen bisherigen Chef der Senatskanzlei ein.

Die Berliner Kulturszene reagierte, wie es zu erwarten war: André Schmitz, der neu ernannte Kultur-Staatssekretär, wurde mit äußerst freundlichen Kommentaren willkommen geheißen – aber dass es nun keinen hauptberuflichen Kultursenator mehr gibt, stieß ausnahmslos auf heftige Kritik. Trotz der Versicherung Wowereits: Nun sei die Kultur Chef-Sache und damit doch in den allerbesten Händen.

André Schmitz sitzt zwar nun mit am Kabinettstisch. Aber eigentlich hat er nichts mehr zu sagen. Als Chef der Senatskanzlei war er sicherlich einflussreicher. Seinen Posten hat Barbara Kießler übernommen. Sie, die bis vor kurzem unter Kultursenator Flierl Staatssekretärin war, ist nun in der Senats-Hierarchie deutlich aufgerückt. Schmitz ist dagegen – meinen einige Parlamentarier – deutlich degradiert worden: Er habe nun zwei Chefs.

Dabei hätte er einen idealen Kultursenator abgegeben: einen, der was von der Materie versteht, einen, den man in Berliner Kulturzirkeln kennt und auch schätzt. Er ist 49 Jahre alt und hat eine eindrucksvolle Kultur-Vergangenheit aufzuweisen: Nach seinem zweiten juristischen Staatsexamen wurde er 1988 persönlicher Referent des Hamburger Kultursenators Ingo von Münch. Dann arbeitete er als Verwaltungsdirektor am Stadttheater in Hildesheim und an der Volksbühne in Berlin, wurde geschäftsführender Direktor und dann auch ein Jahr lang kommissarischer Intendant an Berlins größtem Opernhaus, der Deutschen Oper. 2001 holte ihn schließlich sein Freund Wowereit als Chef in die Berliner Senatskanzlei. Die hat er kompetent und wohl auch so effektiv geleitet, dass er selbst im notorisch nörgeligen Berlin stets eine vorzügliche Presse hatte.

Von ihm weiß man, dass er über Kultur kenntnisreich, engagiert und notfalls auch sensibel reden kann. Insofern haben die Kreativen in der Stadt in ihm einen echten Partner und, im Idealfall, einen tüchtigen Vermittler zum eigentlichen Kulturchef, dem Bürgermeister.

Von dem, von Wowereit, weiß man, dass er alles weiß, was für ihn taktisch wichtig ist. Er kennt alle Namen von Intendanten und Dirigenten, von Museumsleuten und sonstigen Kulturfunktionären. Und er kennt alle relevanten Zahlen. Dass er, wie sein Staatssekretär, ebenfalls differenziert über Kultur plaudern kann, hat bisher jedenfalls – noch niemand öffentlich bezeugt. Aber vielleicht ist solch ein Talent ja auch wirklich nicht so wichtig – WENN es ihm eines Tages gelingen sollte, persönlich doch noch Bundesgelder für die wahrlich notleidende Berliner Kultur locker zu machen. Gelingt ihm das nicht, wäre seine Selbsternennung eine etwas peinliche Kraftmeierei eines Mannes gewesen, der meint, alles zu können. Als Kultursenator ist Klaus Wowereit ganz sicherlich – sehr gut ersetzbar. Es gäbe nämlich bessere Kandidaten als ihn, viel bessere: André Schmitz, den Zurückgestuften beispielsweise oder Michael Schindhelm, den Geflüchteten.


Manfred Eichel ist seit 1992 Professor für „Kulturjournalismus“ und „Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation“ an der „Universität der Künste Berlin“. Nach einem Studium generale in Berlin, Münster und Hamburg und einem Staatsexamen als Historiker und Anglist arbeitete er vier Jahre lang als Redakteur beim „Spiegel“ und 17 Jahre lang beim NDR-Fernsehen als Leiter und Moderator der Magazine „Kultur aktuell“ und „Kulturreport“. 1992 übernahm er beim ZDF in Mainz die Leitung des Kulturmagazins „aspekte“, des „Literarischen Quartetts“ und der Feature-Redaktion „Literatur und Kunst“. Von 2000 bis 2003 war er „Chefkorrespondent Kultur“ mit Sitz im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin. In dieser Zeit hat er Kulturporträts von Shanghai und Hanoi, Salvador, Havanna und Durban produziert.

Das „Kulturjahr der Zehn“ hat er 2005/06 als Vorsitzender des Trägervereins „Gesellschaft zur Förderung der Kultur im erweiterten Europa“ organisiert – und in 60 Veranstaltungen rund 300 000 Menschen erreicht. Mit seinen Studenten hat er im Herbst 2005 einen Kultur-Reiseführer für junge Reisende herausgegeben: „Europa für Szenegänger“ ist im Parthas Verlag Berlin erschienen und enthält Reportagen über die Kunst-, Musik- und Kneipenszenen in den Hauptstädten der neuen EU-Länder – handfeste Infos über die Szenen vom Baltikum bis nach Zypern. „Nur wer selbst brennt, kann andere entzünden“ ist ein Gesprächsband, der im Mai 2006 im Hamburger Murmann-Verlag erschienen ist und den Musiker, Manager und Mittler Hermann Rauhe vorstellt.