Klaus Ernst: Kein Interessenskonflikt

Moderation: Marie Sagenschneider |
Der Politiker Klaus Ernst hat seine Doppelfunktion als Bundestagsabgeordnete der WASG und Erster Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt verteidigt. Er sehe keinen Interessenskonflikt in dem, was er mache, sagte Ernst. Gewerkschaften verstehe er "nicht als Lobby".
Marie Sagenschneider: Parlamentarier und Lobbyist - darf das sein? Die Republik hat ihr Sommerthema entdeckt und neu ist das nicht, aber der Druck auf so manchen Abgeordneten nimmt erheblich zu. Erst hat der CDU-Politiker Norbert Röttgen darauf verzichtet, zusätzlich noch Hauptgeschäftsführer des Bundverbandes der Deutschen Industrie zu werden, jetzt steht ein weiterer CDU-Politiker im Mittelpunkt, Reinhard Göhner, der seit zehn Jahren auch Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist. Aber Einzelfälle sind sie ja beileibe nicht. Auch andere Parteien sind betroffen, auch andere Organisationen wie zum Beispiel Gewerkschaften. Klaus Ernst ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag und auch Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Schweinfurt. Guten Morgen Herr Ernst.

Klaus Ernst: Frau Sagenschneider, Grüß Gott.

Sagenschneider: Wie halten Sie es denn? Sie haben Ihre Gewerkschaftsfunktion tatsächlich noch inne und sitzen gleichzeitig im Bundestag?

Ernst: Selbstverständlich, weil, dies war vorher klar, und ich habe das auch vorher gesagt bei den Wählern und auch innerhalb der IG Metall so kommuniziert. Allerdings bei halbem Gehalt und bei halber Arbeitszeit, weil, sonst geht das ja auch nicht. Man kann ja nicht zwei Fulltime-Jobs miteinander verbinden, das ist jetzt auch viel Arbeit mit diesen zwei Funktionen. Allerdings, wie gesagt, es ist auch vollkommen klar, dass wir uns, auch als sich die WASG gegründet hat, als Arbeitnehmervertreter, als Vertreter der Rentner, als Vertreter der normalen Bürger verstehen und insofern sehe ich keinen Interessenkonflikt zwischen dem was ich mache. Ich setze mich innerhalb der Gewerkschaften für die Interessen der Arbeitnehmer, für die Interessen der Arbeitslosen, für die Interessen der Rentner ein, das mache ich auch mit der WASG und in der Linksfraktion im Bundestag.

Sagenschneider: Naja, aber dass es da keine Interessenskollision gibt, das kann man eigentlich gar nicht richtig glauben, denn es ist ja mittlerweile auch in zahlreichen Büchern zu lesen, wie Lobbygruppen Einfluss auf die Gesetzgebung ausüben. Und nun gehören Sie zwar der Opposition an und die große Koalition hat mehr als eine Zweidrittelmehrheit und insofern besteht die Gefahr, was Sie anbelangt ja nicht unbedingt, aber wenn Sie jetzt einer Regierungsfraktion angehören würden, dann sähe die Sache ja doch schon anders aus.

Ernst: Also ich verstehe Gewerkschaften und Arbeitnehmer auch nicht als Lobby, da ist schon ein wesentlicher Unterschied. Die Mehrheit der Bürger dieses Landes verdient ja nun sein Geld nicht mit Aktienbesitz oder mit Arbeitgeberfunktionen, sondern indem sie abhängig beschäftigt sind, oder indem sie als Rentner in irgendeiner Form versuchen in diesem Land zu überleben, was eh schon schwierig genug ist, oder sie sind arbeitslos. Also, die Leute, die sich für diese Gruppe, wenn man sie so bezeichnen will, stark machen, als Lobby zu bezeichnen, geht an der Realität vorbei. Lobby sind für mich eben Interessenvertreter von Minderheitsinteressen. Und dass nun die Arbeitgeber versuchen, ihr Interesse gegen die Mehrheit durchzusetzen, indem sie Löhne drücken wollen, indem sie Sozialversicherungssysteme schleifen wollen, dies ist Lobbyismus. Wir vertreten die Mehrheit der Bevölkerung, die Mehrheit der Bürger, und da habe ich gar kein Problem damit.

Sagenschneider: Na gut, aber da kann ein Gesundheitslobbyist sagen, ich vertrete ja auch die Mehrheit, weil Gesundheit alle anbelangt.

Ernst: Ja aber bei den Gesundheitslobbyisten muss man ja dann eben unterscheiden, wen sie da vor sich haben. Haben sie einen von der Pharmaindustrie vor sich, haben sie einen von den privaten Krankenkassen vor sich, da haben sie ja schon wesentliche Unterschiede. Das ist ja bei den Arbeitnehmern wohl anders. Die Arbeitnehmer müssen alle von ihrem Einkommen leben, sie haben alle dieselbe Situation, dass sie große Angst haben ihren Job zu verlieren und arbeitslos zu werden. Die Frage ist, wie werden sie dann versorgt, was ist mit Arbeitslosengeld II, Arbeitslosengeld I und so weiter. Also, das ist kein Minderheiteninteresse. Die Arbeitnehmer, das ist nun eindeutig Mehrheitsinteresse. Und Sie sehen in den letzten Jahren, dass genau das Interesse der normalen Bürger, das Interesse der Rentner, das Interesse der Arbeitslosen, Interesse der Arbeitnehmer im Bundestag so gut wie keine Rolle mehr gespielt hat. Und wir sind genau mit der Ansage angetreten, dass das wieder eine Rolle spielen soll. Insofern wusste jeder was er wählt, wenn er uns wählt.

Sagenschneider: Ja, aber es ist doch eine etwas zweifelhafte Argumentation, Herr Ernst, denn die Mehrheit hat sie ja nicht gewählt.

Ernst: Ja, aber die uns gewählt haben und für die fühlen wir uns natürlich auch verantwortlich. Genau so wie die Leute, die die CSU gewählt haben, eben damit rechnen müssen, dass sie eben Arbeitgebervertreter wählen, die ihnen in dem Betrieb, wo sie beschäftigt sind, die Löhne kürzen.

Sagenschneider: Da wird Ihnen die CSU jetzt aber schwer widersprechen.

Ernst: Wer würde mir widersprechen?

Sagenschneider: Die CSU natürlich.

Ernst: Ja, möglicherweise würde die widersprechen. Aber so ist es nun. Wenn Sie die Verbindungen zu den Spitzenverbänden der Arbeitgeber bei der CDU/CSU ansehen, dann ist das schon ein Unterschied. Erstens weiß man es ja teilweise gar nicht, denn es war ja vorher nicht bekannt, dass er diesen Job übernehmen soll, bei uns war es klar, es war immer klar, wenn der Klaus Ernst kandidiert in Schweinfurt, dann kandidiert er in seiner Funktion als Gewerkschaftsvertreter in dieser Partei, um Arbeitnehmerinteressen und Interessen der Rentner, der normalen Bürger, der sozial Schwachen durchzusetzen.

Sagenschneider: Wie steht es denn für Sie um den Fall Reinhard Göhner, der gleichzeitig CDU-Bundestagsabgeordneter ist und eine Spitzenposition bei der BDA, bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat. Ist das in Ordnung oder ist das für Sie anrüchig?

Ernst: Es ist insofern meines Erachtens anrüchig, weil ja dort wirklich es sich um Minderheiteninteressen handelt, die, wie sich jetzt herausstellt, zwar irgendwo bekannt sind, aber dem breiten Bürger eigentlich so nicht geläufig sind. Und insofern würde ich sagen, im Übrigen unabhängig ob die jetzt im Bundestag vertreten sind oder nicht, die Lobby der Arbeitgeberverbände ist so extrem stark, dass ja selbst, wenn sie die jetzige Regierungspolitik ansehen, man den Eindruck hat, das ist direkt abgeschrieben von den Positionspapieren des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Und insofern ist es, glaube ich, nun nicht notwendig, dass sie auch noch direkt im Parlament sitzen. Deren Einfluss ist so groß, dass sie das auch ohne Parlamentssitze hinkriegen.

Sagenschneider: Na, Herr Göhner sieht es genau anders herum, er sieht sich als Vorbild, weil er sagt, mehr Leute aus der Wirtschaft oder anderen Bereichen im Bundestag, das würde durchaus hilfreich sein in der Politik.

Ernst: Ja, aber schauen Sie, dass die Arbeitgeber natürlich ein Interesse haben, dass sie ihre Politik, dass ja nun ein Minderheiteninteresse ist, dass sie ihre Politik als Interesse der Mehrheit verkaufen und dass das über die Politik läuft, das ist ja normal, dass sie das machen. Aber ich finde, man muss schon genau hinschauen, um welche Interessen es da geht und ob das ein Minderheiteninteresse oder ob es tatsächlich ein Mehrheitsinteresse gibt. Die Gewerkschaften in dem Land sind keine Lobby. Die sind Grundlage dieses ganzen Sozialgefüges des Sozialstaates und insofern ist da schon ein wesentlicher Unterschied.

Sagenschneider: Nun ist aber, Herr Ernst, eine Debatte losgebrochen und es scheint nicht so, also würde sie sich leicht eindämmen lassen. Was glauben Sie, wird es auch Konsequenzen haben?

Ernst: Natürlich wird das Konsequenzen haben. Man muss darüber debattieren und muss sich dieser Unterschiede auch klar werden. Ich habe damit in meinem Wahlkreis in meiner Region überhaupt kein Problem, weil all das, was ich mache, absolut transparent ist. Die Bürger wissen dort, was ich tue, die Wähler wissen es, in der Gewerkschaft ist es klar, halbes Gehalt, halbe Arbeit, das ist überhaupt kein Thema hier. Und insofern glaube ich auch nicht, dass es aus dieser Situation Konsequenzen hat in irgendeiner Form.

Sagenschneider: Na gut, aber bei Herrn Göhner ist es ja auch klar, insofern müsste es da auch keine Konsequenzen geben, die Transparenz ist vorhanden.

Ernst: Ja, der Unterschied ist nur, ob einer einen 500.000 Euro Job nebenbei macht und sozusagen nebenbei sagt, er ist noch Bundestagsabgeordneter oder, ob jemand tatsächlich sich als Interessenvertreter von Anfang an der Arbeitnehmer definiert, was wir ja tun, und sagen, halbes Gehalt, halbe Arbeitszeit und damit ganz klare Regelungen haben, die übrigens in der IG Metall für alle gelten, auch für die von der SPD oder von der CDU.

Sagenschneider: Aber wäre die klarste Regelung nicht, Funktionen dürfen nicht gemischt werden?

Ernst: Na, ich sage, es ist geradezu notwendig, dass auch die Gewerkschaften wieder eine Stimme haben in diesem Parlament. Die sind doch in den letzen Jahren nur untergebuttert worden, dass es höher nicht mehr geht. Gucken Sie sich doch mal die praktische Politik an. Also wenn Sie sagen, dass da irgendwie die Gewerkschaften zu viel Macht oder dominant wären, unter der Voraussetzung selbst, dass viele Gewerkschaften im Parlament sitzen, der verkennt doch die Realität nun wirklich ganz gewaltig.

Sagenschneider: Klaus Ernst, der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Danke Ihnen, Herr Ernst.

Ernst: Nichts zu danken. Tschüß.

Sagenschneider: Schönen Tag. Tschüß.