Klassisches Kammerspiel mit Happy End

03.06.2013
Vier Frauen, die allenfalls ein Hang zum Alkoholmissbrauch und ein gutes Maß an Neurotik teilen, kommen im Familienheim in Maine zusammen. Alte und noch ältere Konflikte brechen auf, keine will den anderen das Revier überlassen.
Häuser ähneln Theaterbühnen, auf denen sich Glück und Unglück, menschliche Tragödien und Komödien abspielen. In der Literatur eignen sie sich hervorragend als Ort, der Handlungsstränge, Erzählebenen und Erzählzeiten bindet. Von eben dieser Bindungskraft profitiert die amerikanische Autorin und Journalistin J.Courtney Sullivan in ihrem Roman "Sommer in Maine" auf technisch elegante und unterhaltsame Weise.

Sehnsucht nach idyllischem Familienleben
In der nordamerikanischen, touristisch beliebten Küstenregion von Maine steht das Ferienhaus der Familie Kelleher aus Boston. Alice und ihr inzwischen verstorbener Mann kauften es in den 1960er Jahren und verbrachten dort mit Kindern, Enkelkindern, mit Nichten, Neffen und Freunden jedes Jahr die Sommermonate von Juni bis September. Sie genossen in dem direkt am Strand gelegenen Haus das Glück eines idyllischen, besonnten Ferien- und Parallellebens. Dies zumindest ist das alte Versprechen des Hauses, das von allen Familienangehörigen geliebt, aber als Erbstück auch stark begehrt wird.

Die Realität, von der der Roman aus der Perspektive von vier Frauenfiguren erzählt, ist alles andere als idyllisch. Denn die vier Frauen sind nicht nur höchst unterschiedlich, sie sind sich auch spinnefeind. Was sie verbindet, ist - von der Liebe zum Haus in Maine abgesehen - allenfalls ein durch drei Generationen reichender Hang zum Alkoholmissbrauch und ein gutes Maß Neurotik.

Und alle vier haben Geheimnisse, die sie voreinander hüten. Alice, die ebenso mondäne wie launische Großmutter glaubt am Tod ihrer Schwester schuld zu sein. Ihre Tochter Kathleen, die in Kalifornien lebt und einen Biobauernhof betreibt, wird von Hass auf ihre Familie getrieben. Die sanfte Enkelin Maggie wiederum ist seit kurzem schwanger und wagt es nicht, dies ihrer Mutter und Großmutter zu erzählen. Alice' Schwiegertochter Ann Marie, ein Inbild der biederen amerikanischen Hausfrau, hat es heimlich auf den Freund ihres Mannes abgesehen und vertreibt sich ihre eheliche Frustrationsgefühle mit dem Bau aufwändiger Puppenhäuser.

Alte und uralte Konflikte brechen auf
Alle vier Frauen kommen nun in einem Juli zu Beginn des neuen Jahrhunderts zufällig in dem Haus zusammen. Keine will der anderen das Revier überlassen. Alte und uralte Konflikte brechen auf: Es entsteht ein klassisches Kammerspiel mit weiblicher Besetzung und mildem Happy End. J. Courtney Sullivan, die für die New York Times, die Vogue und die Chicago Tribune als Reporterin arbeitet, beherrscht das Handwerk des spannenden amerikanischen Gesellschafts- und Unterhaltungsromans in vorzüglicher Weise.

Jedes Kapitel ist abwechselnd aus der Sicht einer der vier Frauen erzählt, was dem Leser die Identifizierung mit den Figuren erleichtert und zu raffinierten Pointen führt, da die gleichen Erlebnisse von den Frauen ganz unterschiedlich dargestellt werden. "Sommer in Maine" ist kein Roman allererster literarischer Güte. Aber ein intelligenter, leicht zu lesender Roman, wie er in jeden Urlaubskoffer und in jedes Ferienhaus gehört.

Besprochen von Ursula März

J.Courtney Sullivan: "Sommer in Maine"
Aus dem Amerikanischen von Henriette Heise
Deuticke Verlag Wien 2013,
512 Seiten, 19,90 Euro