Klassische Bildung als Königsweg zum Selbst
Selbstverwirklichung - für lange Jahre klang in diesem Wort eine verlockende Verheißung mit. Jeder wahrhaft freie Mensch hatte sich auf die Suche nach dem eigenen Selbst zu begeben, gerne mit der Unterstützung von Meditation, Religion, Drogen und der Freiheit von allem Bürgerlichen. Inzwischen hat sich das Image der Selbstverwirklichung gewandelt: nicht der allen Zwängen Entflohene gilt als Vorbild, sondern der, der seine wirtschaftlichen Spielräume optimal nutzt. Statt zum Guru geht es zum Coach, das Selbst wird nicht befreit, sondern optimiert.
Ein neues Buch will jetzt eine Rehabilitierung des Konzeptes anbieten, aus psychologischer und philosophischer Perspektive. "Selbstverwirklichung" heißt es, von Josef Rattner und Gerhard Danzer.
Die Spaßgesellschaft ist am Ende, die Menschen irren umher auf der Suche nach Werten, und deswegen wollen Josef Rattner und Gerhard Danzer hinweisen auf einen besonderen Wert, der aber nur mit harter Arbeit zu gewinnen ist: eben die Entwicklung des eigenen Selbst. Denn die Verwirklichung des eigenen Potentials, davon sind die Autoren überzeugt, ist die höchste und energisch anzustrebende Aufgabe menschlichen Lebens.
Aber, auch das betonen sie immer wieder, es ist auch die anstrengendste Aufgabe. Denn Selbstverwirklichung erreicht man nicht etwa, indem man aus allen Zwängen aussteigt, sondern indem man gerade ein höchst eingebundenes Leben führt. Wer sich auf den Weg zu seinem Selbst machen möchte, muss dafür nicht nur nach Verständnis und Wissen über sich selbst suchen, sondern auch über die Gemeinschaft und die Menschheit. Und er muss sich überhaupt erst einmal der Aufgabe stellen, denn Selbstflucht, so drücken es die Autoren aus, ist die Ursünde des modernen Menschen.
Für Josef Rattner und Gerhard Danzer stellt die Gesellschaft anstelle eines wirklichen Ich nur Fassaden zur Verfügung. Die sogenannten Mittel-Menschen, von denen sie immer wieder reden, haben die fatale Neigung, sich mit diesen Fassaden beruhigen zu lassen. Die Massengesellschaft fördert sie darin noch, weil Menschen dann leichter zu lenken sind, wenn sie nicht ihr volles Potential and Vielfalt realisieren.
Das ganze Buch ist getragen von einer kulturpessimistischen Grundstimmung. Nur besondere Menschen, so die Autoren, nehmen die Herausforderung durch die Bildungsaufgabe Selbstverwirklichung an. Sie überwinden zum Beispiel die Formung nach dem Vorbild der Eltern und eben nicht nach dem Selbst des Kindes, wie sie in der Familie geschieht, und können als Erwachsene überhaupt über das eigene Selbst nachdenken.
Das klingt elitär und ist es auch. Selbstverwirklichung ist nichts für Dumme und schon gar nichts für Ungebildete. Beim Lesen ist man hin und her gerissen: Auf der einen Seite ist es eine schöne und überzeugende Vorstellung, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, und das nicht nur als Selbstzweck, sondern um wirklich zu Hingabe fähig zu sein und sich der Menschheit verpflichtet zu fühlen. Denn das ist ja das Ziel: ihr selbstverwirklichter Mensch ist quasi ein Philosoph im griechischen Sinne, der seine Fähigkeiten auch für die Entwicklung des Gemeinwesens und für die seiner Nächsten und Liebsten zur Verfügung stellt.
Auf der anderen Seite aber geben die Autoren mit ihrem Konzept einen großen Teil der Menschen im Grunde als hoffnungslose Fälle auf. Denn ihr Weg führt einfach über ganz klassische Bildung.
Bei der Verwirklichung sind die Autoren durchaus unkonventionell. Der erste Schritt zum Beispiel ist für Josef Rattner und Gerhard Danzer die Verehrung und Bewunderung von Vorbildern. Natürlich von klug gewählten Vorbildern, sie führen als Beispiel Nietzsche auf, der für Schopenhauer und Wagner schwärmte. Wer sich ganz einem anderen, größeren hingibt, für eine Zeit natürlich nur, wächst daran selbst.
Auch hilfreich: Lesen, natürlich nicht als bloße Zerstreuung, sondern als Hingabe an die Literatur, und Sammeln. Wer sammelt, holt sich die Welt in ihrer Vielfalt in die Reichweite der eigenen Vorstellung. Gewährsmann hier: Goethe, der alles sammelte, von Steinen bis zu Erotica. Was nicht hilft, ist Ermutigung. Auch nicht notwendig - auch wenn beide Autoren in der Psychotherapie arbeiten - ist eine psychoanalytische Therapie, um verdrängte Teile des Selbst zu erkunden. Selbstverwirklichung ist eine schöpferische, gestalterische Aufgabe, nichts, was der Einzelne mit sich abmachen könnte.
"Selbstverwirklichung - Seelische Hygiene und Sinnsuche im Dasein" ist ein anregendes Buch für den, dem die Entwicklung seiner Persönlichkeit am Herzen liegt - wenn man bereit ist, sich auf die sehr absolut vorgetragenen Vorstellungen der Autoren und ihre anspruchsvolle Sprache einzulassen. Aber ein Handbuch wollten die Autoren ja auch ausdrücklich nicht schreiben.
Leicht zugänglich ist das Buch eigentlich nur in den biographischen Beispielen, die immer wieder eingestreut sind und arbeitsreiche, erfüllte Leben in Selbstverwirklichung zeigen - von Verdi über Heinrich Schliemann bis Simone de Beauvoir.
Rezensiert von Kirsten Dietrich
Josef Rattner/Gerhard Danzer: Selbstverwirklichung - Seelische Hygiene und Sinnsuche im Dasein
Königshausen & Neumann 2007
237 S., 18 Euro
Die Spaßgesellschaft ist am Ende, die Menschen irren umher auf der Suche nach Werten, und deswegen wollen Josef Rattner und Gerhard Danzer hinweisen auf einen besonderen Wert, der aber nur mit harter Arbeit zu gewinnen ist: eben die Entwicklung des eigenen Selbst. Denn die Verwirklichung des eigenen Potentials, davon sind die Autoren überzeugt, ist die höchste und energisch anzustrebende Aufgabe menschlichen Lebens.
Aber, auch das betonen sie immer wieder, es ist auch die anstrengendste Aufgabe. Denn Selbstverwirklichung erreicht man nicht etwa, indem man aus allen Zwängen aussteigt, sondern indem man gerade ein höchst eingebundenes Leben führt. Wer sich auf den Weg zu seinem Selbst machen möchte, muss dafür nicht nur nach Verständnis und Wissen über sich selbst suchen, sondern auch über die Gemeinschaft und die Menschheit. Und er muss sich überhaupt erst einmal der Aufgabe stellen, denn Selbstflucht, so drücken es die Autoren aus, ist die Ursünde des modernen Menschen.
Für Josef Rattner und Gerhard Danzer stellt die Gesellschaft anstelle eines wirklichen Ich nur Fassaden zur Verfügung. Die sogenannten Mittel-Menschen, von denen sie immer wieder reden, haben die fatale Neigung, sich mit diesen Fassaden beruhigen zu lassen. Die Massengesellschaft fördert sie darin noch, weil Menschen dann leichter zu lenken sind, wenn sie nicht ihr volles Potential and Vielfalt realisieren.
Das ganze Buch ist getragen von einer kulturpessimistischen Grundstimmung. Nur besondere Menschen, so die Autoren, nehmen die Herausforderung durch die Bildungsaufgabe Selbstverwirklichung an. Sie überwinden zum Beispiel die Formung nach dem Vorbild der Eltern und eben nicht nach dem Selbst des Kindes, wie sie in der Familie geschieht, und können als Erwachsene überhaupt über das eigene Selbst nachdenken.
Das klingt elitär und ist es auch. Selbstverwirklichung ist nichts für Dumme und schon gar nichts für Ungebildete. Beim Lesen ist man hin und her gerissen: Auf der einen Seite ist es eine schöne und überzeugende Vorstellung, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, und das nicht nur als Selbstzweck, sondern um wirklich zu Hingabe fähig zu sein und sich der Menschheit verpflichtet zu fühlen. Denn das ist ja das Ziel: ihr selbstverwirklichter Mensch ist quasi ein Philosoph im griechischen Sinne, der seine Fähigkeiten auch für die Entwicklung des Gemeinwesens und für die seiner Nächsten und Liebsten zur Verfügung stellt.
Auf der anderen Seite aber geben die Autoren mit ihrem Konzept einen großen Teil der Menschen im Grunde als hoffnungslose Fälle auf. Denn ihr Weg führt einfach über ganz klassische Bildung.
Bei der Verwirklichung sind die Autoren durchaus unkonventionell. Der erste Schritt zum Beispiel ist für Josef Rattner und Gerhard Danzer die Verehrung und Bewunderung von Vorbildern. Natürlich von klug gewählten Vorbildern, sie führen als Beispiel Nietzsche auf, der für Schopenhauer und Wagner schwärmte. Wer sich ganz einem anderen, größeren hingibt, für eine Zeit natürlich nur, wächst daran selbst.
Auch hilfreich: Lesen, natürlich nicht als bloße Zerstreuung, sondern als Hingabe an die Literatur, und Sammeln. Wer sammelt, holt sich die Welt in ihrer Vielfalt in die Reichweite der eigenen Vorstellung. Gewährsmann hier: Goethe, der alles sammelte, von Steinen bis zu Erotica. Was nicht hilft, ist Ermutigung. Auch nicht notwendig - auch wenn beide Autoren in der Psychotherapie arbeiten - ist eine psychoanalytische Therapie, um verdrängte Teile des Selbst zu erkunden. Selbstverwirklichung ist eine schöpferische, gestalterische Aufgabe, nichts, was der Einzelne mit sich abmachen könnte.
"Selbstverwirklichung - Seelische Hygiene und Sinnsuche im Dasein" ist ein anregendes Buch für den, dem die Entwicklung seiner Persönlichkeit am Herzen liegt - wenn man bereit ist, sich auf die sehr absolut vorgetragenen Vorstellungen der Autoren und ihre anspruchsvolle Sprache einzulassen. Aber ein Handbuch wollten die Autoren ja auch ausdrücklich nicht schreiben.
Leicht zugänglich ist das Buch eigentlich nur in den biographischen Beispielen, die immer wieder eingestreut sind und arbeitsreiche, erfüllte Leben in Selbstverwirklichung zeigen - von Verdi über Heinrich Schliemann bis Simone de Beauvoir.
Rezensiert von Kirsten Dietrich
Josef Rattner/Gerhard Danzer: Selbstverwirklichung - Seelische Hygiene und Sinnsuche im Dasein
Königshausen & Neumann 2007
237 S., 18 Euro