Klassiker über politische Intrigen
Am Hamburger Schauspielhaus hatte die letzte Inszenierung für einen mittleren Skandal gesorgt, als auf der Bühne Hartz IV-Empfänger die Namen Hamburger Millionäre verlasen. Mit Henrik Ibsens Klassiker über politische Intrigen, dem "Volksfeind", beschert nun Jarg Pataki dem Haus zwar keinen neuen Skandal - aber eine anregende Reflexion über die Demokratie.
Die letzte Inszenierung am Schauspielhaus hatte für einen mittleren Skandal gesorgt: In Volker Löschs "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden" verlasen Hartz IV-Empfänger Namen und Vermögensstand Hamburger Millionäre auf der Bühne, die Kultursenatorin und einige Betroffene protestierten.
Im "Volksfeind" geht es um einen Umweltskandal: Badearzt Tomas Stockmann entdeckt gesundheitsschädliche Verunreinigungen im Heilwasser seines Kurortes. Doch weil ein Umbau der Rohrleitungssysteme zu viel Geld und Zeit kosten würden, überzeugt sein Bruder, der Bürgermeister, die Honoratioren der Stadt, die Wahrheit zu vertuschen und stattdessen Stockmann als "Volksfeind" zu denunzieren.
Die Inszenierung von Jarg Pataki beschert dem Schauspielhaus keinen neuen, schlagzeilenträchtigen Skandal, wohl aber eine anregende Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen der Demokratie.
Pataki hat in der Vergangenheit häufig mit lebensgroßen Puppen gearbeitet. Hier werden die Schauspieler selbst zu Marionetten in einem Ibsen-Puppenheim: Sie liegen oder sitzen in eingefrorenen Posen auf den blendend-weißen Möbeln im Stockmannschen Wohnzimmer (Bühne: Doris Dziersk). Für kurze Dialoge, einen Schlagabtausch, lösen sie sich aus der Erstarrung, um dann wieder auf ihre Position zurückzukehren und damit "aus dem Spiel" zu sein. Das unterstreicht sinnfällig die Thesenhaftigkeit dieses Ibsen-Dramas.
Jede Position ist vertreten von einer Figur: Hier der Badearzt Stockmann als fanatischer Idealist, dort sein Bruder, der Bürgermeister, als skrupelloser Realpolitiker. Dazwischen Buchdrucker Aslaksen als Vertreter des Mittelstandes und Redakteur Hovstad stellvertretend für die freie Presse, die so frei gar nicht ist.
Als sich nämlich herausstellt, dass die von Stockmann geforderten Umbaumaßnahmen zwei Jahre dauern und Millionen verschlingen würden, hat der Bürgermeister Hovstad und Aslaksen rasch auf seiner Seite: Gemeinsam tanzen sie über die Bühne und singen "Immer unter Berücksichtigung der Finanzlage! Richtigstellung". Aber zu der geforderten Richtigstellung, das Wasser enthalte gar keine Keime, ist Stockmann selbstverständlich nicht bereit.
Leider ist an diesem Punkt alles gesagt, sowohl im Ibsenschen Text als auch in der Inszenierung von Jarg Pataki, die sich fortan darauf beschränkt, dass wortreich Dargelegte mit Holzhammerbildern zu unterstreichen. Die Schauspieler ziehen sich aus bis auf ihre schwarze Unterwäsche, prügeln so als Masse schwarzer Turner auf Stockmann ein und setzen sich dann große Stierköpfe aus Goldfolie auf: Als goldene Kälber verschrecken und jagen sie Stockmann.
An diesem Punkt möchte man Pataki auf die Regiehochschule zurückschicken, um ihm erklären zu lassen, dass Bilder im Theater dazu dienen, dem Text eine zusätzliche Dimension zu verleihen, nicht, ihn als Bild zu wiederholen. Immerhin durfte Kostümbildnerin Nadine Grellinger hier ihren Ehrgeiz befriedigen, denn jeder Darsteller strickt sich aus der knisternden Kälberfolie für die zweite Halbzeit ein anderes Fantasiekostüm. Was diese zweite Halbzeit nicht weniger überflüssig macht.
Das Gras, das irgendwann über alles wächst, hängt nun als großer, bedrohlicher Ballon über der leeren Bühne. Darunter spult Stockmann einen langen Monolog ab über den zweifelhaften Nutzen von Mehrheitsentscheidungen. Was bei Ibsen eine flammende Verteidigungsrede auf einer Gemeindeversammlung ist, unterbrochen von Zwischenrufen, wird hier zur einsamen, blutarmen Rede ans Publikum.
Und Samuel Weiss, bis dahin ein angemessen ekliger, aber auch sinnlicher, kraftstrotzender Stockmann, bricht hier ein. Sein Gegenspieler Tim Grobe glänzt als widerwärtig-abgefeimter Bürgermeister: Als egomanische Brüllaffen schenken sich die beiden Brüder nichts.
Nur ganz zum Schluss erreicht der Abend das hohe Niveau seines Beginns: Dank eines drastischen Eingriffs in den Text. Stockmanns Sohn Morten erklärt dem Vater, er könne doch um seine Rehabilitierung kämpfen und Direktor des Bades werden, dann, in der Führungsposition, alles nach seinen Wünschen ändern. So muss wohl auch Gerhard Schröder von der Realisierung der 68er-Ideale geträumt haben, als er einst am Tor des Kanzleramtes rüttelte.
Ob es möglich ist, den Machtapparat von innen zu verändern, oder dieser nicht längst seine Teilhaber bis zur Unkenntlichkeit ihrer einstigen Überzeugungen verändert hat, wenn sie die gewünschte Position endlich erreichen, diese Frage lässt die Inszenierung offen. Denn bevor Stockmann seinem Sohn antworten kann, geht das Licht aus.
Im "Volksfeind" geht es um einen Umweltskandal: Badearzt Tomas Stockmann entdeckt gesundheitsschädliche Verunreinigungen im Heilwasser seines Kurortes. Doch weil ein Umbau der Rohrleitungssysteme zu viel Geld und Zeit kosten würden, überzeugt sein Bruder, der Bürgermeister, die Honoratioren der Stadt, die Wahrheit zu vertuschen und stattdessen Stockmann als "Volksfeind" zu denunzieren.
Die Inszenierung von Jarg Pataki beschert dem Schauspielhaus keinen neuen, schlagzeilenträchtigen Skandal, wohl aber eine anregende Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen der Demokratie.
Pataki hat in der Vergangenheit häufig mit lebensgroßen Puppen gearbeitet. Hier werden die Schauspieler selbst zu Marionetten in einem Ibsen-Puppenheim: Sie liegen oder sitzen in eingefrorenen Posen auf den blendend-weißen Möbeln im Stockmannschen Wohnzimmer (Bühne: Doris Dziersk). Für kurze Dialoge, einen Schlagabtausch, lösen sie sich aus der Erstarrung, um dann wieder auf ihre Position zurückzukehren und damit "aus dem Spiel" zu sein. Das unterstreicht sinnfällig die Thesenhaftigkeit dieses Ibsen-Dramas.
Jede Position ist vertreten von einer Figur: Hier der Badearzt Stockmann als fanatischer Idealist, dort sein Bruder, der Bürgermeister, als skrupelloser Realpolitiker. Dazwischen Buchdrucker Aslaksen als Vertreter des Mittelstandes und Redakteur Hovstad stellvertretend für die freie Presse, die so frei gar nicht ist.
Als sich nämlich herausstellt, dass die von Stockmann geforderten Umbaumaßnahmen zwei Jahre dauern und Millionen verschlingen würden, hat der Bürgermeister Hovstad und Aslaksen rasch auf seiner Seite: Gemeinsam tanzen sie über die Bühne und singen "Immer unter Berücksichtigung der Finanzlage! Richtigstellung". Aber zu der geforderten Richtigstellung, das Wasser enthalte gar keine Keime, ist Stockmann selbstverständlich nicht bereit.
Leider ist an diesem Punkt alles gesagt, sowohl im Ibsenschen Text als auch in der Inszenierung von Jarg Pataki, die sich fortan darauf beschränkt, dass wortreich Dargelegte mit Holzhammerbildern zu unterstreichen. Die Schauspieler ziehen sich aus bis auf ihre schwarze Unterwäsche, prügeln so als Masse schwarzer Turner auf Stockmann ein und setzen sich dann große Stierköpfe aus Goldfolie auf: Als goldene Kälber verschrecken und jagen sie Stockmann.
An diesem Punkt möchte man Pataki auf die Regiehochschule zurückschicken, um ihm erklären zu lassen, dass Bilder im Theater dazu dienen, dem Text eine zusätzliche Dimension zu verleihen, nicht, ihn als Bild zu wiederholen. Immerhin durfte Kostümbildnerin Nadine Grellinger hier ihren Ehrgeiz befriedigen, denn jeder Darsteller strickt sich aus der knisternden Kälberfolie für die zweite Halbzeit ein anderes Fantasiekostüm. Was diese zweite Halbzeit nicht weniger überflüssig macht.
Das Gras, das irgendwann über alles wächst, hängt nun als großer, bedrohlicher Ballon über der leeren Bühne. Darunter spult Stockmann einen langen Monolog ab über den zweifelhaften Nutzen von Mehrheitsentscheidungen. Was bei Ibsen eine flammende Verteidigungsrede auf einer Gemeindeversammlung ist, unterbrochen von Zwischenrufen, wird hier zur einsamen, blutarmen Rede ans Publikum.
Und Samuel Weiss, bis dahin ein angemessen ekliger, aber auch sinnlicher, kraftstrotzender Stockmann, bricht hier ein. Sein Gegenspieler Tim Grobe glänzt als widerwärtig-abgefeimter Bürgermeister: Als egomanische Brüllaffen schenken sich die beiden Brüder nichts.
Nur ganz zum Schluss erreicht der Abend das hohe Niveau seines Beginns: Dank eines drastischen Eingriffs in den Text. Stockmanns Sohn Morten erklärt dem Vater, er könne doch um seine Rehabilitierung kämpfen und Direktor des Bades werden, dann, in der Führungsposition, alles nach seinen Wünschen ändern. So muss wohl auch Gerhard Schröder von der Realisierung der 68er-Ideale geträumt haben, als er einst am Tor des Kanzleramtes rüttelte.
Ob es möglich ist, den Machtapparat von innen zu verändern, oder dieser nicht längst seine Teilhaber bis zur Unkenntlichkeit ihrer einstigen Überzeugungen verändert hat, wenn sie die gewünschte Position endlich erreichen, diese Frage lässt die Inszenierung offen. Denn bevor Stockmann seinem Sohn antworten kann, geht das Licht aus.