Klassiker der spanischen Literatur

Rezensiert von Peter Urban-Halle |
Ihr Debüt war ihr größter Erfolg: 1945 veröffentlichte Carmen Laforet den Roman "Nada". Das Werk wurde zum Klassiker in der spanischsprachigen Literatur. Mehr als 50 Jahre nach der deutschen Erstausgabe liegt er in neuer Übersetzung vor.
Zu Beginn der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts trifft die 18-jährige Waise Andrea aus Gran Canaria bei der Verwandtschaft ihrer verstorbenen Mutter in Barcelona ein. Sie hat den Kopf voller Träume, sie befindet sich fast in einem Rausch. Die Ernüchterung ereilt sie im selben Augenblick, in dem die Familie ihr die Tür öffnet. Es ist nach Mitternacht.

"Immer fremder wurde mir alles (...), die Wohnung war stickig und heiß, als wäre die Luft verbraucht und verdorben."

Der Aufenthalt bei den Verwandten wird für die junge Studentin zur Hölle auf Erden. Die Familienmitglieder - in erster Linie die altersschwache Großmutter, die noch die vernünftigste von allen ist, der verkrachte Künstler Onkel Ramon, der gewalttätige Onkel Juan und die scheinheilige Tante Angustias - belauern und terrorisieren sich gegenseitig, sie hassen sich und hängen doch aneinander wie die Kletten. Vor allem die Nächte, die das unschuldige, sensible Mädchen in ihrem sargähnlichen Bett zubringt, erregend Schrecken. Kein Zweifel: Andrea ist in einen Kreis von Wahnsinnigen geraten, in einen morbiden Mikrokosmos, der zudem von Armut und Hunger bestimmt wird. In diesem vom Verfall bedrohten Haus, in dieser heruntergekommenen Wohnung herrscht eine Atmosphäre des Grauens, die zum Teil an Edgar Allan Poe erinnert, die gewaltsamen, wagemutigen Bilder sind dem Symbolismus entlehnt, und die Stimmung der Orientierungslosigkeit und Ungeborgenheit der Personen weist auf den literarischen Existentialismus. Sartres "schwarze Vögel" sind in diesem Buch längst angekommen. Das Jahr bei der Familie erscheint Andrea als verlorene Zeit. Sie wollte das Leben, die Liebe, die Freude kennen lernen, doch am Ende schreibt sie:

"Aus der Wohnung in der Calle de Aribau nahm ich nichts mit."

Die Autorin Carmen Laforet, 1921 in Barcelona geboren, aufgewachsen auf den Kanarischen Inseln und wie ihre Heldin mit 18 Jahren nach Barcelona zurückgekehrt, hat 1944 für ihr furioses und teilweise pastoses Debüt gleich den neu gestifteten Premio Nadal der spanischen Verleger erhalten. "Nada", der größte Erfolg der 2004 in Madrid verstorbenen Autorin, läutete eine neue Zeit ein, er wurde zum Klassiker der spanischen Literatur, manche Kritiker schätzen den Roman höher ein als das Debüt "Pascual Duarte" (1942) des späteren Nobelpreisträgers Camilo José Cela. Jetzt liegt der Roman, 53 Jahre nach der deutschen Erstausgabe, in der neuen Übersetzung der erfahrenen Susanne Lange vor.


Carmen Laforet: Nada
Aus dem Spanischen von Susanne Lange.
Claassen Verlag, Berlin, 2005
234 Seiten
20 Euro