Klassiker der Moderne auf Tour

Von Jochen Stöckmann |
Das Kunstmuseum Winterthur braucht mit seiner hochkarätigen Sammlung den Vergleich mit anderen international renommierten Häusern nicht zu scheuen. Um noch mehr Publikum anzusprechen, geht das Museum nun auf Tour und macht mit der Ausstellung "Gipfeltreffen der Moderne" zunächst Station in Bonn.
Lastkähne im Brüsseler Hafen und ein in braunen Farbnebel getauchtes Waldstück von Corot, Löwenzahn knallgelb auf grüner Wiese von van Gogh, dazu Monets delikate Impressionen der normannischen Felsenküste und seine kraftvoll hingetupften Seerosen, letztere von 1916, dem Jahr der Eröffnung des Kunstmuseums Winterthur. Der Auftakt zum "Gipfeltreffen der Moderne", bei dem sich das Schweizer Kunstkleinod mit insgesamt 240 Werken in Bonn vorstellt, ist fast ein wenig idyllisch ausgefallen, bedenkt man die Zeit: außerhalb der Eidgenossenschaft, in ganz Europa tobte der Erste Weltkrieg. Und gegen den überwältigenden Augenschein betont Dieter Schwarz, Direktor in Winterthur, denn auch:

"Es zeugt von dem großen Willen dieser Gründergeneration, dass sie das Museum durchgepaukt hat und auch finanziert hat in einer wirklich sehr, sehr schwierigen Zeit."

Auf den ersten Blick zumindest ist nichts zu spüren von schwierigen, apokalyptischen Zeiten, deren Schrecken Otto Dix im Schützengraben sah, die George Grosz in seinen Karikaturen von Schiebern und Spießbürgern karikierte. In Zürich, keine 30 Kilometer von Winterthur entfernt, wohnten damals Dadaisten und der Berufsrevolutionär Lenin Tür an Tür. Diese Zeitgeister aber mussten draußen bleiben, stattdessen sammelten die kunstsinnigen Bürger jene Moderne, die heute klassisch heißt und nun in Bonn doch recht gediegen wirkt. Es geht um fast schon ewige Werte abseits des Tagesgeschehens, um die Konzentration aufs Wesentliche: Hinschauen und Nachdenken. So hält es auch Gerhard Richter mit seiner Malerei – und deshalb hat der deutsche Künstler Winterthur zu seinem Lieblingsmuseum erkoren:

"Es ist ja nicht so berühmt wie Louvre oder das Guggenheim, sondern es ist ja eher ein bescheidenes Museum. Eine Ausnahmeerscheinung, insofern es sich noch um Kunst kümmert und nicht nur Events plant und Unterhaltung und Trubel macht und Quote."

Nun aber, der Titel "Gipfeltreffen" deutet es an, soll während einer längeren Umbauphase auf der einjährigen Tournee Publikum über Winterthur hinaus gewonnen werden. Die Bonner Ausstellungsmacher schwärmen schon jetzt von einem gelungenen Auftritt, der in Reihe zu sehen sei mit ihrer vielbesuchten Präsentation des New Yorker Guggenheim. Und Erfolg ist an sich ist ja nicht verwerflich, wie der Kunsthistoriker Willibald Sauerländer vor nunmehr 25 Jahren bereits festgestellt hat. Er schrieb angesichts der Warteschlangen vor einer Pariser Manet-Schau den Kulturkritikern ins Stammbuch: "Es zeugt von einem Mangel an menschenfreundlicher Neugier, wehleidig den Zeiten nachzujammern, in denen die exklusiven Ausstellungen nur von den sogenannten kultivierten Eliten besucht wurden".

Schwarz: "Das ist auch charakteristisch für die Stadt, das es eben eine Sache der Wenigen ist. Und diese Wenigen hatten zwar den Wunsch, erzieherisch zu wirken, die Leute zu begeistern. Aber diese Begeisterung ist – das kann man auch verstehen – lange Zeit die Begeisterung einer kleinen Gruppe geblieben. Und das Museum war eine Insel in einer Industriestadt, die eigentlich sich durch Musik und die Kunst ausgezeichnet hat – nach außen!"

Aber was mögen diese kunstsinnigen Bürger gedacht haben, als sie die nackten, vor einem althergebrachten Familienporträt auf dem Bett sich räkelnden Modelle von Felix Valloton sahen, oder wenig später die Bauhaus-Studentinnen von Oskar Schlemmer, der den Körper, die menschliche Gestalt zurückführte auf eine kalte, von jeder Leidenschaft gereinigte Geometrie? Ein Wechselbad der Gefühle, der widerstreitenden Geschmacksurteile hätte die Folge sein können – aber in Winterthur nutzt man diese Treffen der Stile und Strömungen für tiefere Einsichten, etwa beim Vergleich von Fernand Léger mit seinen Zeitgenossen Mondrian und van Doesburg. Museumsdirektor Dieter Schwarz weist den Weg, gibt eine Blickrichtung vor:

"Wie von dieser expressiven Malerei Leger dann zu dieser sehr zurückhaltenden, wandmalereiartigen Gestaltung in den 20er-Jahren kommt. Fast an die Grenzen des Figürlichen, nur noch einzelne Elemente – eine Silhouette, ein Blatt, eine Andeutung von Haaren. Aber die Figuren geht nie verloren. Und hier ist dann die Grenze, wo dann jemand wie Mondrian, van Doesburg zu einer ganz reinen und unheimlich radikalen Form von Malerei vorstoßen."
In nuce, anhand erlesener Bild- und Skulpturenexempel sind nicht nur die Entwicklungen vom Impressionismus über Kubismus und Konstruktivismus bis hin zur Nachkriegsmoderne zu verfolgen, mit dem Winterthurer Fundus lassen sich auch jene vermeintlichen Irrwege der Kunstgeschichte ausschildern, die sich später als wirkmächtige Einfallstraßen für neue Ideen erwiesen. Das war von Anfang an so – und nicht immer leicht:

"Die neue französische Kunst musste hier schon zuerst durchgesetzt werden. Wir kennen das aus Deutschland, von der Arbeit von Hugo von Tschudi als Museumsdirektor in Berlin und München. Und hier, in der Provinz, gegenüber den Städten, den Kapitalen musste das erst recht durchgesetzt werden. Es gab auch heftige Fehden, heftige Attacken von Seiten der Leute, die sich eher eine regionale, eine deutsch-schweizerische Kunst gewünscht hätten."

Am Ende aber setzten sich die passionierten – und gerade deshalb vorausschauenden – Sammler durch.

"Viele Werke – Klee, Mondrian, Arp und sofort – wurden im Jahr der Entstehung oder kurz danach erworben. Also hatte man die Lücken geschlossen und konnte sich der Gegenwart stellen. Die Frage war für meine Generation: Was tut man, wenn man eine solche Sammlung antritt, wie verhält man sich dazu, wie entwickelt man diese bedeutenden Werkgruppen weiter?"

Mit Gespür für Kommendes – und mit einem wachen Blick für die Chancen der Krise, wie schon damals im Gründungsjahr 1916:

"Sogar noch in meiner Zeit war es möglich, einige wichtige Vertreter der klassischen Moderne – Torres-Garcia, Vordemberge-Gildewart – eben die abstrakten, und nicht die vielleicht populären Figurativen, anzukaufen. Das heißt, der Markt ist eben so uneinheitlich, dass man immer wieder auch etwas finden kann, was bedeutend ist und was nicht schon 'in' ist für ein Museum."

Noch nicht en vogue, und damit erschwinglich waren etwa Eva Hesses Bilder aus ihrer Düsseldorfer Zeit, von 1964. Oder frühe Werke der US-Künstler Brice Marden und Phil Guston, dazu ganz allgemein die Konzentration auf Arbeiten auf Papier. Das ergibt jetzt neben den zahlreichen Publikumsmagneten manch beachtliche Rarität, die so manchen Kenner nach Bonn locken wird. Damit gerät das "Gipfeltreffen" zu einem "event", den sogar Gerhard Richter goutieren dürfte.

Service:
Gipfeltreffen der Moderne
Das Kunstmuseum Winterthur
Die Großen Sammlungen
Bundeskunsthalle Bonn
24. April bis 23. August 2009