Klassiker der kroatischen Literatur

"Menschen gehen vorüber und tragen in ihren finsteren Därmen gekochte Hühnerköpfe, traurige Vogelaugen, Rindskeulen, Pferdeschenkel mit sich herum", sinniert der Maler Filip, von einer nihilistischen Grundströmung bedrückt in einem Kaffeehaus, "aber jetzt hat all das in Menschendärmen ein Ende gefunden, und dieses Bewegen und Fressen nennen sie mit einem Wort: Leben in westeuropäischen Städten in der Dämmerung der alten Zivilisation."
Filip ist ein international anerkannter Künstler, befallen von einer tiefen Sinn- und Schaffenskrise. Rund zwei Jahrzehnte hat er in der Fremde verbracht und ist dann in seinen kroatischen Heimatort zurückkehrt. "Die Rückkehr des Filip Latinovicz", im Original 1932 erschienen, gehört zu den Klassikern der kroatischen Literatur und stammt aus der Feder des Dichters Miroslav Krleža. Nun hat der Wieser Verlag den Roman, 36 Jahre nach Erscheinen der deutschen Erstausgabe, in der Neuübersetzung von Klaus Detlef Olof herausgebracht.

Während sich Filip darum bemüht, seine Krise vor dem Hintergrund der fremd-vertrauten Kulisse aus Kindheit und Jugend zu überwinden und auf diesem Weg Inspiration für neue Kunstwerke zu schöpfen, versinkt er zugleich immer tiefer in den Sumpf eines Provinzalltags im Nordosten Kroatiens, wo auch Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs noch die sozialen Missstände und dekadenten Lebensformen der Habsburger Monarchie zu herrschen scheinen.

Regina, die Mutter des unehelichen Filip, lange Zeit Inhaberin eines Tabakladens, verkehrt mit Vorliebe unter Adligen und Klerikern. Diese Welt haßt der Ästhet und Gesellschaftskritiker Filip, bleibt dabei aber machtlos. Die unglückliche Liebe zu der intriganten Boba und die Kneipenbekanntschaft mit dem zynischen Arzt Kyriales, der seine idealistische Kunst- und Weltauffassung in Grund und Boden redet, bringen ihn endgültig an den Rand des Abgrunds.

Der Reiz von Krležas Roman liegt nicht nur in seinen gnadenlosen Milieuschilderungen und skurrilen Metaphern, mit der die Seelenwelt seiner Figuren in einer mitunter an Dostojewski erinnernden Schärfe enthüllt wird. "Die Rückkehr des Filip Latinovicz" trägt indirekt auch die Züge eines politischen Manifests gegen soziale Ungerechtigkeit und bornierten Nationalismus im Südosten Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Miroslav Krleža, der 1893 in Zagreb zur Welt kam und dort 1981 starb, war eine nahezu unantastbare geistige Autorität im sozialistischen Jugoslawien. Zugleich erwies er sich als ein stets unabhängiger Denker, der sich mit dem Kommunistenführer Josip Broz Tito vor und nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder in Streit verwickelte. Seine Parteinahme für ein linkes und föderatives Jugoslawien sowie seine hervorgehobene Stellung in diesem Staat nahmen nationalistische Kritiker im unabhängigen Kroatien zum Anlaß, Krleža als "literarischen Dinosaurier" abzustempeln.

Von dem, was dieser Autor zu bieten hat, kann sich der deutsche Leser nun nicht nur am Beispiel des "Filip Latinovicz" überzeugen. Der Klagenfurter Wieser-Verlag präsentiert im Rahmen seiner neuen Kroatischen Bibliothek zugleich zwei Essay-Bände von Miroslav Krleža.

Rezensiert von Martin Sander

Mirolslav Krleza: Die Rückkehr des Filip Latinovicz
Roman. Aus dem Kroatischen von Klaus Detlef Olof
Wieser Verlag 2008
411 Seiten, 24,00 Euro