"Klar und heroisch"

Der Pianist Pierre-Yves Hodique
Der Pianist Pierre-Yves Hodique © Caroline Doutre
09.05.2014
Die jungen französischen Musiker Edgar Moreau (Violoncello) und Pierre-Yves Hodique (Piano) spielten am 9. Mai Werke von Debussy, Brahms, Beethoven und Schostakowitsch.
Debüt im Deutschlandradio Kultur
Live am 9. Mai um 20 Uhr aus dem Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin
Claude Debussy (1862 - 1918)
Sonate für Violoncello und Klavier (1915)
Prologue. Lent, sostenuto e molto risoluto
Sérénade. Modérément animé –
Finale. Animé, léger et nerveux
Johannes Brahms (1862-1865)
Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1 e-Moll op. 38
Allegro non troppo
Allegretto quasi menuetto
Allegro
Ludwig van Beethoven
Sieben Variationen über das Thema "Bei Männern, welche Liebe fühlen" aus der Oper "Die Zauberflöte" von W. A. Mozart für Violoncello und Klavier Es-Dur (1801)
Dmitrij Schostakowitsch
Sonate für Violoncello und Klavier d-Moll op. 40 (1934)
Allegro non troppo
Allegro
Largo
Allegro
Der Cellist Edgar Moreau wurde 1994 in Paris geboren und begann im Alter von vier Jahren mit dem Cellospiel, zwei Jahre später mit dem Klavierunterricht. Heute studiert der 20-jährige am Conservatoire in Paris Violoncello bei Philippe Muller und Kammermusik bei Claire Désert. Er ergänzte seine Ausbildung in Meisterklassen bei Gary Hoffman, Lynn Harrell, Frans Helmerson und David Geringas. Er nahm außerdem an zahlreichen Sommerakademien teil, u.a. an der Verbier Festival Academy und am Projekt "Chamber Music Connects the World" in Kronberg, wo er mit Gidon Kremer, Yuri Bashmet und András Schiff auftrat.

Der größte Wettbewerbserfolg für den damals erst 17-jährigen Musiker war der Zweite Preis beim 14. Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau im Juli 2011. Zwei Jahre zuvor war er bereits beim Internationalen Rostropowitsch-Wettbewerb in Paris als vielversprechendstes Talent ausgezeichnet worden.

Sein Debüt mit Orchester absolvierte Edgar Moreau im Alter von neun Jahren beim Orchester des Teatro Regio in Turin. Als Solist konzertierte er u.a. mit dem Moskau Philharmonic Orchestra, mit dem Simon Bolivar Orchestra und mit dem Orchester des Mariinsky Theaters unter der Leitung von Valery Gergiev.

Moreau ist ein engagierter Kammermusiker und hat bereits mit Musikern wie dem Talich Quartett, dem Pražák Quartett, dem Geiger Renaud Capuçon, dem Pianisten Nicholas Angelich und dem Bratscher Gérard Caussé zusammengearbeitet.

Zu den Höhepunkten der zu Ende gehenden Saison 2013/2014 gehörten im August 2013 sein Debüt mit dem St. Petersburg Philharmonic, im Januar 2014 sein Recital-Debüt im Auditorium du Louvre in Paris, Ende März sein Debüt beim Orchestre National de France im Theatre des Champs Elysees und Anfang April sein Auftritt mit dem Orchestre du Capitole de Toulouse mit dem Dirigenten Tugan Sokhiev. Ende Juni wird Edgar Moreau in Lugano gemeinsam mit Renaud Capuçon und Khatia Buniatishvili das Beethoven-Tripelkonzert aufführen.

Seine erste CD gemeinsam mit Pierre-Yves Hodique erschien im März 2014 bei Erato.

Edgar Moreau spielt ein Violoncello von David Tecchler aus dem Jahr 1711.

Pierre-Yves Hodique - Begeisterter Kammermusiker
Der Pianist Pierre-Yves Hodique legte zunächst sein Abitur an einem wissenschaftlich profilierten Gymnasium ab und studierte anschließend Musikwissenschaft an der Universität Sorbonne in Paris. Seine parallele Klavierausbildung führte ihn ab 2008 an das Pariser Conservatoire, wo er sein Studium bei Jean-François Heisser mit einem ersten Preis abschloss. Künstlerische Anregungen erhielt er außerdem von Pianisten wie Marie-Josèphe Jude, Bertrand Chamayou, Denis Pascal, Daria Hovora und Claire Désert.

2009 wurde er mit dem Preis der Stadt Le Havre beim Forum musical de Normandie ausgezeichnet. Im Sommer 2010 gehörte er zu den jungen Pianisten, die ausgewählt wurden, beim Chopin Festival in der Orangerie de Bagatelle in Paris zu spielen. In La Roque d'Anthéron trat er bei Meisterkursen mit den Ensembles en residence auf.

An den Meisterkursen von Frans Helmerson, Gary Hoffman und Felix Renggli an der Académie du festival Pablo Casals de Prades wirkte Pierre-Yves Hodique als hochgeschätzter Klavierbegleiter mit. Im Jahr 2011 wurde er in Moskau beim 14. Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb für Violoncello als bester Klavierbegleiter ausgezeichnet.

Pierre-Yves Hodique ist ein begeisterter Kammermusiker. Zu seinen Partner gehören neben Edgar Moreau auch die Geigerin Irène Duval, der Klarinettist Paul Meyer und der Pianist Frank Braley. Mit dem Bariton Samuel Hasselhorngewann er 2013 den „Prix de Lied" beim Boulanger-Wettbewerb in Paris.

Pierre-Yves Hodique hat bisher vor allem in Russland (Moskau, St. Petersburg), in Japan (Tokyo, Kanazawa), in Belgien (Antwerpen), in der Schweiz (Gstaad), in Italien (Ferrara) und natürlich in Frankreich (Paris, Nantes, Saint-Denis, Reims, Aix-en-Provence, Montpellier, Caen, Menton, Salon-de-Provence, Grenoble, Le Mans, Compiègne) konzertiert. Er wird gefördert von der Fondation d'entreprise Banque populaire, der Fondation de France, der Fondation Meyer und der Yamaha Music Foundation.
Über die gespielten Musikstücke
Von Martina Seeber
"Klar und heroisch"
Claude Debussy: Sonate für Violoncello und Klavier (1915)

"Meiner Ansicht nach pfeifen die 'Austro-Boches' auf dem letzten Loch", schreibt Claude Debussy im Juli 1915 aus dem normannischen Badeort Pourville-sur-Mer an seinen Verleger Durand, und er fügt hinzu: "Die französische Seele wird stets klar und heroisch bleiben."An der Kanalküste arbeitet Debussy in diesem zweiten Kriegssommer an seinem Klavierduo En blanc et noir, an den Klavieretüden und der Cellosonate, der ersten von insgesamt sechs geplanten Sonaten für unterschiedliche Besetzungen. Claude Debussy gibt sich dabei nicht der Illusion hin, dass er den Ausgang der Kämpfe mit seiner Musik auch nur im geringsten beeinflussen kann. Ganz im Gegenteil, im März hatte er in der Zeitschrift L'Intransigeant verkündet, die Musik, müsse sich "sammeln, bevor sie die ergreifende Stille bricht, die der Explosion der letzten Granate folgt".

Die Sonaten-Sammlung bedeutet jedoch vor allem eine Neu- und Rückbesinnung auf seine französische Identität und eine entschiedene Abgrenzung von der Zügellosigkeit und mystischen Entgrenzung der deutsch-österreichischen Musik. Der "Musicien français", wie sich Debussy auf dem Titelblatt der drei vollendeten Sonaten nennt, ist auf der Suche nach einem neuen Nationalstil, der vom französischen Sinn für den guten Geschmack getragen wird. Der "goût" steht im Mittelpunkt all seiner Überlegungen, in denen er nicht nur Wagner und Bruckner diskreditiert, sondern auch Beethoven als "Genie ohne Geschmack" kritisiert, dem es an Nuancierung und Feingefühl fehle. Der Geschmack ist für Debussy allerdings keine Frage persönlicher Vorlieben, sondern vielmehr eine Frage des Maßhaltens und der virtuosen Beherrschung der Form, gepaart mit einer tiefen Abneigung gegen den deutschen Tiefgang, der mit seinem plumpen Exhibitionismus jedes Geheimnis zerstöre. Nationale Vorbilder findet er in französischen Werken, "wie sie die Meister des Barock und Rokoko schrieben", vor allem bei Couperin und Rameau. Debussy träumt von einer "Musik um ihrer selbst willen", die klar, einfach, unbeschwert und doch poetisch ist, sodass man nie genau feststellen kann, "wie es gemacht ist".

Nach dem vertrauten und vorhersehbaren Dualismus des Sonatenhauptsatzes wird man daher auch im ersten Satz der Cellosonate vergeblich suchen. Der langsame Prologue entzieht sich den Hörerwartungen. Debussy entwickelt ihn monothematisch und frei, mit vielen Tempo- und Richtungswechseln, wie aus einer Improvisation heraus. Bereits das Thema mit seiner theatralisch-andalusischen Ornamentik weckt nicht den Eindruck von Geschlossenheit, sondern verliert sich in Arabesken. Das Cello spinnt es fort und unterstreicht in immer neuen Anläufen den suchenden, melancholischen Charakter der Melodie oder rückt für Augenblicke eine schlichte, abwärts gerichtete Skalenbewegung in den Mittelpunkt, bevor das Cello auf einer leeren Quint in der Ferne verklingt und das Klavier die Terz zum Dreiklang ergänzt.

Wie beiläufig mündet zu Beginn der Sérénade ein gezupfter Rhythmus in eine Habanera. Als überdimensionale Gitarre beschwört das Cello in grotesker Überzeichnung ein abendliches Freiluftständchen. Über die ersten gestrichenen Töne schreibt Claude Debussy die Vortragsanweisung "ironique", ursprünglich hatte er der Sonate sogar einen programmatischen Titel geben wollen: Pierrot faché avec la lune. Die Ironie, die abgerissenen Tritonus-Sprünge und das nächtliche Spiel mit den instrumentalen Identitäten erinnern gerade in diesem Mittelsatz an diese, zugunsten der nüchternen Gattungsbezeichnung, verworfene Idee. Sicher ist, dass der Mond über dieser gespenstischen Szene ein spanischer ist, und der bekennende Franzose der andalusischen Volksmusik mindestens ebenso viel verdankt wie den Vorbildern Rameau und Couperin. Wie vor ihm Emmanuel Chabrier und Georges Bizet, steht auch Claude Debussy, der die Grenze zum Nachbarland nur einmal in der Nähe von San Sebastian überschritten hat, im Bann "jener bewunderungswürdigen Volksmusik, in der sich so viel Traumhaftigkeit mit so viel Rhythmus vereint, was sie zu einer der reichsten der Welt macht". Debussy bewundert aber auch die damit verbundene Kunst der Improvisation. Ihre Freiheit und Spontaneität einzufangen, empfand er als eine der größten Herausforderungen.

Im Finale, das ohne Pause aus der Sérénade hervorgeht, schlägt die komödiantische Nachtstimmung in heiteren Jubel um. Cello und Klavier wetteifern in Gitarrenimitationen und tauschen unentwegt die Rollen. Ein lyrischer Mittelteil leitet über zum euphorischen Schluss, über dem sich das Thema des Kopfsatzes aufschwingt.

"Ich habe stets versucht, wieder französisch zu werden", fasst Claude Debussy seine Suche nach einem Nationalstil zusammen. Der Umweg über Spanien steht dazu in keinem Widerspruch, schließlich ist es der "goût", der zählt.

"Zu voll mit Musik"
Johannes Brahms: Sonate für Klavier und Violoncello Nr. 1 e-Moll op. 38 (1862-1865)

Johannes Brahms' erste Sonate für Klavier und Violoncello beginnt dort, wo das Cello am tiefsten ist. Auf der C-Saite erhebt sich eine sehnsüchtig drängende Melodie, die das Klavier anfangs nur auf den leichten Taktzeiten untermalt. Oft wird dieser Beginn mit dem Anfang der dritten Cellosonate seines großen Vorbildes Ludwig van Beethoven verglichen, was angesichts des tiefen Registers und der Bewunderung des Jüngeren nahe liegt. Allerdings hat Beethovens kurze Melodie mit der von Brahms erdachten, weit ausschweifenden Kantilene nur wenig gemein. Gerade ihre Ausdehnung, ihre unablässige Verwandlung und Variation bestimmen den romantisch-erzählenden Charakter dieses langen Kopfsatzes. Aus der Tiefe erreicht die Melodie nach der ersten Phrase die nächsthöhere Saite und wechselt zugleich die Farbe. Zunächst sind es vor allem die kleinen Sekundschritte, die den Aufstieg tragen, bis schließlich auch Sprünge den gewonnenen Freiraum durchmessen. Obwohl Johannes Brahms beim Aufbau dieses Satzes die klassische Form wahrt, verleiht er ihm mit der ersten Themengruppe den Eindruck von Freiheit und formaler Ungebundenheit. Die Erzählung scheint sich aus diesem Beginn wie aus sich selbst heraus zu entwickeln.

Das Allegro non troppo markiert bei – dem immerhin fast 30-Jährigen – Johannes Brahms den Beginn des Sonatenschaffens für Klavier und Melodieinstrument. Die ersten beiden Sätze (und ein später verworfener, langsamer Satz) entstehen 1862, das fugierte Finale kommt erst drei Jahre später, 1865, in Baden-Baden hinzu. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Brahms Sätze oder auch ganze Kompositionen verwirft. Seiner kritischen Prüfung haben viele Werke der Frühzeit nicht standgehalten. In diesem Fall waren es ökonomische Überlegungen, die ihn bewogen, sein Opus 38 zu verkürzen, das mit vier Sätzen schlichtweg "zu voll mit Musik gestopft"sei.

Allerdings verleiht er dem Werk mit dem melancholischen Allegro non troppo einen nicht nur zeitlich ausgedehnten, sondern über weite Strecken auch ruhigen Beginn. Das auf die zweite Position vorgerückte Menuett in a-Moll schafft Kontraste, indem es dem ausschweifenden Kopfsatz die formale Begrenzung des Menuetts entgegenhält und auf den langen Gesang einen höfischen Gesellschaftstanz folgen lässt. Die melancholische Grundstimmung jedoch bleibt. Vor allem das zentrale Trio in fis-Moll bietet ihm Raum für eine lange, gebundene Melodie, die an den Charakter des ersten Satzes anschließt.

Wie nach einem Sprung durch Zeiten und Stile beginnt der letzte Satz mit einem Fugenthema, dessen kantige Gestalt Johann Sebastian Bachs Kunst der Fuge entlehnt ist. Zwar nicht notengetreu, aber doch unmissverständlich lässt es seinen Ursprung im 13. Contrapunctus erkennen. Eine Fuge im strengen Sinn ist das abschließende Allegro jedoch nicht. Die drei Themen sind in den klassischen Sonatensatz eingebettet, wobei die fugierten Passagen auch Räume für elegische Episoden lassen, bevor die Jagd aufs Neue beginnt. Brahms gelingt es, die strenge, historische Form in den scheinbar freien, romantischen Erzählfluss einzubinden und seine erste Sonate für Klavier und Violoncello zu einem fulminanten Abschluss zu führen.

Es ist bezeichnend für ihn, dass er auch in diesem Werk einen intensiven Dialog mit der Vergangenheit führt, nicht nur mit der vorklassischen Fugenkunst, sondern auch mit dem Vermächtnis Ludwig van Beethovens, dessen Werk er vor allem in den 1860er Jahren eingehend studiert hatte. Beethoven war es auch, der mit seinen Cellosonaten gezeigt hatte, wie sich das Verhältnis zwischen Melodieinstrument und Klavier neu definieren lässt. Wie dieser versteht auch Brahms sie als gleichwertige Partner, indem er das Klavier immer wieder aus der Rolle des Begleitinstruments befreit und in die motivisch-thematische Entwicklung eingreifen lässt. Dieses Spiel mit Identitäten und Rollen durchzieht die gesamte Sonate. Die Gleichwertigkeit der Partner hebt Brahms auch gegenüber seinen Zeitgenossen hervor, indem er im Titel die Reihenfolge der Nennung von Pianoforte und Violoncello umkehrt. Im Ernstfall setzte er sich allerdings gern über seine Überzeugungen hinweg. Als er die Sonate mit dem Widmungsträger Josef Gänsbacher aufführte, ließ er die Cellostimme – ungeachtet der Beschwerden des auf dem Cello dilettierenden Gesangspädagogen – unter der Gewalt des Klaviers sang- und klanglos verschwinden.

Im Geiste Mozarts
Ludwig van Beethoven: Sieben Variationen über das Thema Bei Männern, welche Liebe fühlen (1801)
Aus der Oper Die Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart für Violoncello und Klavier Es-Dur, WoO 46

Zehn Jahre nach ihrer Uraufführung 1791 ist der Erfolg der Zauberflöte ungebrochen. Bis zum Mai 1801 haben allein im Wiener Freihaustheater 223 Vorstellungen stattgefunden. Aber nicht nur dort, sondern in ganz Europa, von Prag über Graz, Hamburg, Warschau bis nach St. Petersburg und Paris sind die Arien und Duette allgegenwärtig: auf den Bühnen, auf den Straßen und in den Salons. 1801 wendet sich der damals 31-jährige Ludwig van Beethoven der Zauberflöte bereits zum zweiten Mal zu. Nach den Variationen über Papagenos Wunschtraum Ein Mädchen oder Weibchen von 1798 wählt er nun Papagenos Duett mit Pamina Bei Männern, welche Liebe fühlen zum Ausgangspunkt einer Folge von Variationen für Violoncello und Klavier. Beethoven bewunderte Mozart, eine Begegnung der beiden wird zwar vielfach erwähnt, ist aber nicht belegt. Dokumentiert ist hingegen Beethovens späterer Plan, nach Wien zu gehen, um "Mozarts Geist aus Haydns Händen"zu erhalten, wenngleich das Verhältnis des eigenwilligen Schülers zu Joseph Haydn nicht immer ungetrübt war.

Die sieben Variationen jedenfalls, die während der Arbeit an der Ersten und Zweiten Sinfonie entstehen, sind eine direkte Hommage an das Vorbild Mozart. Beethoven widmet sie seinem damaligen Förderer, dem Grafen Johann Georg von Browne-Camus, ihre Adressaten sind jedoch die Musikliebhaber, die sich in den Salons der Zeit zu Konzerten treffen oder auch zu Hause Kammermusik spielen. Allerdings geht es dem Komponisten dabei nicht nur um die schlichte Bearbeitung des Opernduetts für Amateurmusiker. Mit den Variationen stellt er vor allem seine kompositorische Kunstfertigkeit unter Beweis. Das Verdienst der Erfindung des Themas bleibt bei Mozart, Beethoven hingegen demonstriert sein brillantes Handwerk und zugleich seine Fähigkeit des kreativen Weiterdenkens, das Spiel mit den Möglichkeiten der Melodieführung, Harmonik, Satztechnik, den virtuosen Wechsel zwischen Stilen, Stimmungen und Charakteren. Zu dieser Zeit hat sich Beethoven bereits einen Ruf als ausgezeichneter Improvisator erworben, als Meister des freien Phantasierens am Klavier. Auch die sieben Variationen über das Duett aus der Zauberflöte vermitteln eine Ahnung seiner legendären Spontaneität, obwohl sie nicht auf der Bühne, sondern am Schreibtisch entstanden sind.

Bei der Vorstellung des tänzerischen Themas alternieren Klavier und Cello in den Rollen des melodieführenden Instruments. Das dialogische Prinzip des Duetts, das Pamina und Papageno bei Paminas Befreiung anstimmen, behält Beethoven auch in den Variationssätzen bei, wobei die Klavierstimme oft den weiblichen und das Cello den männlichen Part übernimmt. Die ersten beiden Variationen steigern vor allem die Geschwindigkeit und halten sich bei ihren Umspielungen eng an das deutlich durchscheinende Thema. Einen Stimmungswechsel bringt die dritte Variation. Im piano verlangsamt sich der Tanz, Beethoven variiert und akzentuiert den Rhythmus, der aber auch hier noch immer im 6/8-Takt bleibt. In der verträumten vierten Variation wechselt die Tonart von Dur nach Moll. Das Klavier beginnt allein im hohen Register Paminas, aus dem Cello antwortet Papageno. In effektvollem Kontrast folgen in der fünften Variation schnelle und übermütige Staccato-Sprünge – ein humoreskes Zwischenspiel zum folgenden, langsamen Satz, der als einziger im 4/4-Takt steht. Das Metrum jedoch wirkt alles andere als schwerfällig. Obwohl der tänzerische Charakter des Originals in den Hintergrund rückt, verströmt die arabeskenreiche Melodie, die im Mittelteil in ein theatralisch seufzendes Wechselspiel übergeht, vor allem Anmut. Übermütig kehrt in der Schlussvariation mit Coda der 6/8-Takt zurück. Beethoven verleiht dem Finale sinfonische Dimensionen, wenn das Cello das Klavier im Pizzikato begleitet, bevor es das Thema noch einmal in seiner originalen Gestalt vorträgt, um schließlich – mit einer augenzwinkernden Reminiszenz an die vergangenen Seufzer – die Schlusskadenz einzuleiten.

"Das Ringen ist noch im Gange"
Dmitrij Schostakowitsch: Sonate für Violoncello und Klavier d-Moll op. 40 (1934)
Für Künstler markiert die Oktoberrevolution den Beginn einer neuen Ära: Freiheit. Die russische Avantgarde experimentiert in alle Richtungen. In der Bildenden Kunst führt die Sehnsucht der Suprematisten nach dem "reinen Empfinden"in die Abstraktion, in der Musik versucht Nikolaj Roslavets eine Neuordnung des atonalen Chaos, Artur Lourié sympathisiert mit dem italienischen Futurismus und Ivan Wyschnegradsky rückt zwei unterschiedlich gestimmte Klaviere nebeneinander, um auch den Kosmos der Intervalle zu revolutionieren. Der erst 1906 geborene Dmitrij Schostakowitsch ist während der Revolution noch zu jung, um die Entwicklung der Avantgarde mitzubestimmen, aber er nimmt regen Anteil am Geschehen. Unter dem Eindruck des Bürgerkriegs komponiert der elfjährige Klavierschüler 1917, noch während der Revolutionskämpfe, eine Hymne an die Freiheit und einen Trauermarsch für die Opfer der Revolution. Seine offizielle Laufbahn als Komponist beginnt allerdings erst in der neu gegründeten Sowjetunion mit der gefeierten 1. Sinfonie und den provokanten Opernvisionen Die Nase und Lady Macbeth von Mzensk. Mit Lady Macbeth feiert er noch große Erfolge, als er 1934 Aufträge für Filmkompositionen aufschiebt, um die Arbeit an einer Cellosonate zu beginnen. Noch hatte Stalin die Oper nicht verboten und dem Komponisten mit dem Artikel Chaos in der Musik unmissverständlich gedroht, "das Spiel könne böse enden".

Allerdings hatte sich der Wind für die Künste bereits gedreht, nachdem 1932 die ästhetische Doktrin des "Sozialistischen Realismus"verbindlich ausgerufen worden war. Komponisten, die sich nicht den Problemen des Proletariats zuwenden und die neue Gesellschaft feiern, verschwinden in Lagern oder werden hingerichtet. Gefordert ist eine volksnahe Musik, die sich – gern mit Text und Programm – dem Alltag zuwendet, allgemein verständlich ist, sich nicht zu nah an seelische Abgründe wagt und formale Experimente meidet. Dmitrij Schostakowitsch weiß um den Ernst dieser Forderungen, und dass auch sein Werk daran gemessen wird. Das "Ringen ist noch im Gange", bekennt er in Mein Schaffensweg, "und ich glaube nicht, dass es so bald abgeschlossen sein wird. [...] Ich war nie ein Formalist und werde nie einer sein. [...] Jetzt steht vor mir als Hauptaufgabe, eine eigene, einfache und ausdrucksvolle musikalische Sprache zu finden. Das Ringen um eine einfache Sprache wird manchmal ein bisschen oberflächlich verstanden. [...] aber einfach zu sprechen bedeutet nicht, so zu sprechen, wie man vor fünfzig oder hundert Jahren gesprochen hat."
Dieses Ringen um den Einklang von sozialistischer Weltanschauung mit der Freiheit des individuellen Ausdrucks bestimmt auch die Sonate für Violoncello und Klavier. Das Allegro beginnt mit einer weit gespannten, sanglichen Melodie des Violoncellos, ohne den ironischen Spott und die expressionistischen Extreme, die man von Schostakowitsch inzwischen erwartet. Auch das zweite, ätherische Thema fügt sich in den konservativ-romantischen Stil ein. Erst die Durchführung verrät den bekannten Schostakowitsch. Pizzikati und obsessive Ostinati lassen die Stimmung umschlagen. In der Reprise kehren die Themen in umgekehrter Reihenfolge wieder. Doch es ist keine Rückkehr zur schwärmerischen Suche des Beginns. Die alte Welt ist verschwunden, und wenn das Hauptthema über einem löcherigen Oktav-Staccato des Klaviers erscheint, ist alle Kraft gewichen und der erste Satz verlischt in gespenstischer Tiefe.

Diese Endzeitstimmung kann auch das anschließende Allegro nicht vertreiben. In manischen Wiederholungen treibt Schostakowitsch seine volkstümlich derben Motive in diesem Scherzo an den Rand des Abgrunds. Auch im Trio geht es mit einer Folge gespenstisch-grotesker Flageolett-Glissandi nicht um Schönklang, was auch die harmonischen Rückungen im Tritonus-Abstand unterstreichen.

Dass diese Hyperaktivität nicht mehr vermag, als kurzfristig von der Katastrophe abzulenken, zeigt das anschließende Largo in h-Moll. Hier erscheint das Cello allein und ungeschminkt, als erlaube Schostakowitsch den Blick hinter die Theaterkulissen. Die bis an die Grenze getriebene Reduktion und die extreme Langsamkeit erinnern an die trostlose Weite und beklemmende Schönheit seiner langsamen Streichquartett-Sätze. Mit der Einfachheit, wie sie die stalinistische Kulturpolitik forderte, hat diese Kargheit nicht das Geringste zu tun. Später fängt sich die Melodie, die Kräfte sammeln sich zu einem langen, fahlen Gesang, den das Klavier mit dumpfem Pochen untermalt, bis er sich in der Ferne verliert.

Während sich Schostakowitsch in den späten Quartetten entscheidet, dass aus diesen wüsten Einöden kein Weg mehr herausführt, stellt er die Frage nach dem "Wohin"hier noch anders, ohne jedoch Antworten zu finden. Der vergleichsweise kurze Finalsatz ist sprunghaft und orientierungslos. Scheinbar planlos wechselt er zwischen hölzernen Märschen und anmutigen Tanzschritten, er verliert sich im Aktionismus schnell dahinperlender Läufe und endet in der vermeintlichen Harmlosigkeit des heiteren Volkstons. Nach der Uraufführung im Dezember 1934 reißen sich die Cellisten um die Sonate dieses neuen "klassischeren"Schostakowitsch. Das ernsthafte Ringen um die Weltanschauung ist der Musik jedoch deutlich anzumerken, obwohl ihr knapp dreißigjähriger Komponist programmatische Bezüge demonstrativ vermieden hat.