Klang für die Ewigkeit

Robert Cibis im Gespräch mit Ulrike Timm · 05.09.2010
Der vielfach ausgezeichnete Dokumentarfilm "Pianomania" zeigt, wie intensiv um den allerbesten Klang bei Klavierkonzerten gerungen wird. Robert Cibis hat eine Gruppe von hochspezialisierten Perfektionisten beobachtet.
Ulrike Timm: Wenn Sie den Film erleben, über den wir jetzt sprechen, werden Sie vielleicht anschließend ganz anders hören: Robert Cibis und Lilan Franck, die haben nämlich einen Kinofilm gemacht über die Suche nach dem perfekten Klang. "Pianomania" zeigt eineinhalb Stunden lang, wie Pianisten sich danach sehnen, und wie am Steinway-Flügel geschraubt, gestreichelt, gehobelt, gefeilt und ich glaube gelegentlich auch gebetet wird, damit dieser Klang genau der, der es sein soll, damit der vielleicht Wirklichkeit wird – all das aus der Perspektive des Steinway-Cheftechnikers Stefan Knüpfer und unter kräftiger Mitwirkung so berühmter Pianisten wie Pierre-Laurent Aimard, Alfred Brendel und Lang Lang. Der Dokumentarfilm "Pianomania" ist vielfach ausgezeichnet worden, unter anderem beim Filmfestival in Locarno, kommt jetzt in unsere Kinos und Regisseur Robert Cibis ist jetzt unser Gast. Schönen guten Tag!

Robert Cibis: Hallo!

Timm: Herr Cibis – ein Film über den perfekten Klang, wie kam es zu der Idee und woher haben Sie den Mut dafür genommen? Denn normalerweise geht es beim Kino um Bilder und Worte.

Cibis: Mein Bruder ist Pianist, ich habe Stefan Knüpfer persönlich kennengelernt und es ist so ein charmanter und witziger Typ, und so habe ich mich dafür interessiert, was er tut, und wie er mit den berühmten Stars der Klassikszene verkehrt, hat mich sehr neugierig gemacht. Und je mehr ich darüber erfahren habe, desto mehr war ich an seinem Leben und seiner Arbeit interessiert, und das war wirklich der Auslöser. Zu dem kam noch, dass er in Wien an den Instrumenten, an den Klavieren arbeitet und in der Klassikszene die Wiener Klaviere als die besten der Welt betrachtet werden, und ich dachte, es ist eine Gelegenheit, wirklich mal zu sehen, wie Weltklasse-Kunst entsteht.

Ulrike Timm: Stefan Knüpfer ist Cheftechniker bei Steinway, er ist derjenige, der den Flügel für ein Konzert, für einen Pianisten einrichtet. Klingt erst mal sehr sachlich und fassbar – ist es aber nicht. Wie muss man sich diese Arbeit vorstellen?

Cibis: Stefan Knüpfer will die Vision des Pianisten verstehen und muss sie umsetzen, und dieser Dialog war das, was uns interessierte. Denn einerseits ist es ganz konkret – es geht wirklich um Schallwellen, die produziert werden und man könnte das auch messen –, aber andererseits ist es so schwer auszusprechen, und dann doch eine Arbeit, die man nur aus dem Bauch heraus wirklich gut machen kann.

Ulrike Timm: Er ist auch viel mehr als ein Techniker, er ist auch ein Klangpsychologe, ein Dolmetscher für den Pianisten. Was macht ihn vom Techniker zum Partner der Pianisten? Er betreut ja das Instrument und den Pianisten gleich mit.

Cibis: Das Klavier ist ein so kompliziertes Instrument mit so einer ausgefeilten , und jeder einzelne Ton hat meistens drei Saiten, die alle anders gestimmt sein müssen und aufeinander abgestellt sein müssen – ein Pianist kann sein Klavier nicht auf dem Niveau vorbereiten, wie ein Geiger die Geige stimmen kann, und deshalb ist die Abhängigkeit von den Klaviertechnikern enorm. Zudem reisen die Pianisten meistens nicht mit ihrem Instrument, das ist sehr, sehr teuer, ein Techniker und das Instrument zu transportieren für das Konzert, aber vor allen Dingen schadet es auch dem Instrument, denn jeder Wechsel von Temperatur und Luftfeuchtigkeit ändert die gesamte Klangbildung.

Ulrike Timm: Und bisweilen braucht die Zusammenarbeit mit diesen Künstlern Nerven wie, ja, Basssaiten sind zu klein, eher Überseekabel. Die Nervositäten auf der Suche nach dem Klang, wie sind Sie denen als Dokumentarfilmer gefolgt? Was haben Sie da erlebt für Situationen?

Cibis: Bei Weltklassemusikern ist natürlich auch ein großer Druck vor einem Konzert und besonders vor einer Aufnahme, die für die Ewigkeit sein soll. Und dieser Druck, der wird auch weitergegeben auf das gesamte Team, und der entspricht auch dem Anspruch, den das Team hat. Und es ist einfach immer wahnsinnig spannend, Menschen in extremen Situationen zu beobachten. Zum Beispiel: Wenn man kurz vor der Plattenaufnahme dann plötzlich ganz unsicher ist, welches Instrument man nun doch wirklich benutzt, wo eigentlich die Vorbereitung für so ein Instrument viele Wochen braucht, dann fällt aus Sicht des Technikers schon eine Welt zusammen, weil eben von jetzt auf gleich nicht viel zu machen ist, und das ist vor den Bach-Aufnahmen passiert, wie wir es dokumentiert haben.

Ulrike Timm: Also wenn zum Beispiel vor einer wichtigen Aufnahme jemand sagt, ach nein, das habe ich mir doch anders vorgestellt, können Sie bitte den Klang ein bisschen magisch machen? Ja, wie haben Sie denn selber reagiert als Filmer, wenn Sie solche Situationen erlebt haben?

Cibis: Das waren tolle Situationen, weil ich wusste: Jetzt wird der Film spannend, denn in diesen extremen Situationen kommt halt wirklich der Kern der Arbeit zutage, und die Leistung von Stefan Knüpfer wird glaube ich auch dokumentiert, denn meistens schafft er es. Eine extreme Herausforderung für Stefan Knüpfer war, das Klavier wie ein Cembalo klingen zu lassen. Er hat über Wochen und Wochen überlegt, wie das geht. Es ging ja nicht darum, das Klavier zu einem Cembalo zu machen, denn sie wollten ja auch nicht auf einem Cembalo spielen, aber es ging darum, so ein Timbre zu machen. So hat er dann die Idee gehabt, Filzstreifen zwischen die Saiten zu klemmen, und wirklich – man hatte so das Gefühl von einem Timbre von einem Cembalo, und leider entsprach es dann doch nicht der Vorstellung von Pierre-Laurent Aimard und wurde letztendlich nicht verwendet. Aber diese Ideen, die manchmal wirklich das Instrument an sich hinterfragen, das macht die Arbeit von Stefan Knüpfer zu einer Arbeit eines Erfinders.

Timm: Sie nennen "Pianomania" einen Film über Liebe, Perfektion und ein kleines bisschen Wahnsinn. Wo genau steckt denn das kleine bisschen Wahnsinn?

Cibis: In dem Film sagt Stefan Knüpfer einmal: Ja, man kann uns neurotisch nennen, aber in Wirklichkeit sind wir nur sehr spezialisiert. Und es stimmt schon: Hätte Stefan Knüpfer und hätten auch die Pianisten und Tontechniker nicht die Selbstironie manchmal und würden sie sich nicht selbst von außen manchmal betrachten können, würde man denken, das sind alles Verrückte. Denn das wirkliche Leben ist ja was ganz anderes, da geht es um Verbrechen, hat man Hunger, geht es einem gut, aber nein, da geht es wirklich darum, bleibende Kunst zu machen, Kunst, die über das Alltägliche hinausgeht, und diesem Bedürfnis bis aufs Äußerste zu folgen hat was sehr Extremes, was andere für verrückt halten könnten.

Timm: Und dieser Klaviertechniker ist ja auch ein Klavierflüsterer, auch ein bisschen Psychologe gegenüber den Pianisten. Man würde sich ja nicht wundern, wenn er gelegentlich auch ein Pflaster rauszieht, um noch einen Finger zu verarzten, also er ist ja wirklich ein Partner den Pianisten.

Cibis: Richtig, Stefan Knüpfer kommuniziert zwischen dem Instrument und dem Pianisten und versucht, die beiden Möglichkeiten zusammenzubringen, sodass sie deckungsgleich sind und in dem Konzertsaal mit dem entsprechenden Musikstück vereinbart werden können.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, wir sprechen mit dem Regisseur Robert Cibis über seinen Dokumentarfilm "Pianomania". Herr Cibis – in zum Teil sehr sensiblen Momenten haben sich von der Kamera angucken lassen unter anderem Pierre-Laurent Aimard, Alfred Brendel und Lang Lang. Wie haben Sie das Vertrauen der Pianisten gewonnen, mitzumachen?

Cibis: Der Grund, warum alle Pianisten mitgemacht haben, war, dass sie den Ansatz des Films so toll fanden, dass sie es so wichtig finden, diese Zusammenarbeit zu kommunizieren, was der Film wollte. Denn es gibt nur wenige wie Stefan Knüpfer, die auf Weltklasseniveau das Klavier vorbereiten, und die vielen Weltklassepianisten, die dem gegenüberstehen, sind oft hilflos.

Timm: Die Suche nach Perfektion: Perfektion ist ja was Übermenschliches, vielleicht auch schon was Unmenschliches. Was können wir von dieser Suche lernen?

Cibis: Ich glaube, das ist in jedem von uns, etwas schaffen zu wollen, was größer als das normale Leben ist, etwas schaffen zu wollen, das bleibt, was Besonderes zu sein oder zu tun. Das haben viele Menschen durch ihre Hobbies verwirklicht, und einige haben das Privileg, das im Beruf machen zu dürfen. Und das so zu zeigen, soll ein Ansporn sein, das in seinen Beruf zu übertragen, mit so einer Freude und Leidenschaft seine Projekte umzusetzen.

Timm: Aber gelegentlich … ein bisschen gaga ist es schon, nicht? Wenn jemand sagt, ach, der Klang muss noch ein ganz klein bisschen mehr magisch sein.

Cibis: Ja, das stimmt. Es ist witzig zu beobachten, und ich sehe den Film auch als Komödie, und er kommt auch so an. Und der Grund, warum wir so gute Resonanz hatten bei den Festivals bisher, ist glaube ich, dass man oft drüber lachen kann.

Timm: Die Geschichte, die sich durchzieht, sind ganz schlicht die Vorarbeiten für eine Bach-Aufnahme von Pierre-Laurent Aimard. Die Dreharbeiten haben sich über ganz viele Monate erstreckt. Gab es für Sie einen besonders aufregenden, einen ganz zentralen Moment?

Cibis: Der spannendste Moment bei den Dreharbeiten zu "Pianomania" war die Zeit vor der Bach-Aufnahme, die einfach für den Pianisten Pierre-Laurent Aimard eine sehr, sehr große Herausforderung darstellte und gleichzeitig natürlich auch für unseren Helden Stefan Knüpfer. Vier verschiedene Timbres umzusetzen bei demselben Instrument im selben Raum, bei einem Stück, was sozusagen zum Weltrepertoire gehört, vielleicht das rätselhafteste von Johann Sebastian Bach ist, …

Timm: … "Die Kunst der Fuge", ich flechte es mal ein.

Cibis: Ja, "Die Kunst der Fuge" war ein Stück, was Pierre-Laurent Aimard seit 50 Jahren spielte, und sich nicht getraut hat, aufzuführen. Erst brauchte er die Reife, die Zeit, und er war selber auch sehr angespannt, und diese Spannung lag in der Luft, und ich hatte das Gefühl: Wir sind bei einem Moment der Weltgeschichte dabei. Diese Platte bleibt bestehen, und vielleicht hören meine Enkel das noch.

Timm: Pianisten sind ja auch die Musiker, die nicht ihr eigenes Instrument mitnehmen, die das nicht bei sich haben. Vielleicht sind sie auch deshalb besonders neurotisch und immer davon abhängig, einen Klavierflüsterer zu finden, der ihnen das Bett bereitet, das musikalische?

Cibis: Es ist faszinierend: Stefan Knüpfer hört, welcher Pianist auf welchem Klavier gespielt hat – am Instrument selber. Er kann wirklich das Gedächtnis, was im Instrument ist, verstehen. Würde man ihm zehn Klaviere hinstellen und sagen, auf einem dieser Instrumente hat Alfred Brendel gespielt, würde er sofort sagen, welches es ist.

Timm: Haben Sie denn beim Film gemerkt, wie unterschiedlich Pianisten auf ihr Instrument zugreifen?

Cibis: Das war völlig automatisch. Ich habe mich nicht besonders konzentrieren müssen, aber mit der Zeit, die ich neben diesen Instrumenten und den Pianisten verbracht habe, hörte ich die Unterschiede.

Timm: Worin bestehen die? Beschreiben Sie uns die.

Cibis: Mein persönlicher Eindruck ist, dass kaum ein Pianist so intensiv an den Klangfarben arbeitet wie Pierre-Laurent Aimard, und so eine Sinnlichkeit in den Klang einzelner Töne entwickeln kann. Natürlich schwebt über allen der große Meister Alfred Brendel, der superanalytisch und glasklar interpretiert, und dem gegenüber steht quasi als Gegenpol Lang Lang, der wie ein impulsives Raubtier sich die schwierigsten Stücke aneignet und mit einer Wucht dem Publikum vermittelt, wie es vielleicht auch kein anderer tun mag.

Timm: Zu Anfang habe ich gesagt, wenn man diesen Film sieht, wird man anders hören, es ist aber auch ein Film, der vom Zuschauer verlangt, sich auf die Faszination des Hörens einzustellen. Oder ist es auch schlicht ein Film nur für Spezis?

Cibis: Also ich bin kein so ein Spezi. Es ist wirklich so, dass wir bewusst versucht haben, zu sehen, was für uns und damit, glauben wir, für die Allgemeinheit an Interessantem dabei ist. Der Film erklärt nicht, wie technisch die Arbeit funktioniert, sondern vermittelt das Gefühl, etwas Großes, Bleibendes zu schaffen, und versucht, wie ein Spielfilm unterhaltsam als Komödie ein Abenteuer zu erzählen.

Timm: Robert Cibis, Regisseur von "Pianomania". Haben Sie nach diesem Film noch ein Bedürfnis nach Klaviertönen, oder sind Sie das gerade jetzt für alle Zeiten los?

Cibis: Das Bedürfnis nach Klaviertönen steigt immer mehr. Ich habe durch meinen Bruder, der Pianist ist, schon Zugang zur Klaviermusik gehabt, aber die Arbeit an dem Film hat ihn nur noch vertieft, und je mehr man hört, desto mehr will man hören.

Timm: Und ich sage jetzt ganz ungeschützt: "Pianomania" ist für mich ein kleines Filmwunder, dem ich ganz viel Publikum wünsche, inklusive des kleinen bisschen Wahnsinns, das gehört zum Wunder dazu. Robert Cibis, der Regisseur von "Pianomania" war unser Gast hier im Studio. Vielen, herzlichen Dank!

Cibis: Ich danke!

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