Klang als Kunstwerk

Von Jörn Florian Fuchs |
Die Musiktage in Donaueschingen gelten als das weltweit älteste und traditionsreichste Festival für Neue Musik und experimentelle Klangkunst. Im Zentrum standen dieses Jahr 24 Einzelstücke, in denen der Komponist das Orchester zur Improvisation zwang - und auf einen Dirigenten verzichtete.
Diesmal war alles anders in Donaueschingen. Bis zum Samstagnachmittag gab es statt des sonst üblichen Uraufführungsreigens einen Parcours aus Miniopern, Konzertperformances und so manch anderem zwischen allen Genres. Im Zentrum stand zunächst das Orchester Environment "doppelt bejaht" von Mathias Spahlinger. Spahlinger schuf 24 Einzelstücke, die nur zum Teil durch Notation fixiert sind, meist gibt es lediglich Handlungsanweisungen, was ungefähr zu tun ist. Zwischen den Einzelteilen finden sich Bindeglieder, die man genau auswählen muss, denn nicht jede Verknüpfung führt – aus der Sicht des Komponisten – beliebig zu jedem anderen Element.

Klingt kompliziert, doch die Musiker des SWR Orchesters Baden-Baden und Freiburg bewältigten den vierstündigen, übrigens dirigentenlosen Abend, mittels Intuition und feinfühligem Aufeinanderhören glänzend. Dass Spahlingers Material von großer Redundanz geprägt ist und so manch klebrige Glissandi endlos iteriert werden, trübt die ansonsten sehr relaxte Stimmung ein wenig. Das Publikum umkreist die Musiker, kann sich auf Stühle setzen, mal eben draußen frische Luft schnappen und sich etwas zu trinken holen. Nur untereinander kommunizieren darf man natürlich nicht. Da Spahlingers Orchesterumgebung aber am Beginn der Musiktage stattfindet, begrüßen sich naturgemäß die einschlägigen Neue-Musik-Freaks mit allerlei Tamtam. Insofern wäre ein Termin am Ende des Festivals geeigneter gewesen.

Ein paar Türen neben Spahlingers Mammutprojekt ging es in gänzlich andere Welten. Der in Köln lebende Tonsetzer Manos Tsangaris kreierte mit "Batsheba – Eat the History!" eine "Installation Opera für Schauspieler, Sänger, Chor und Orchester-Mäander". Auch das klingt kompliziert. Tsangaris verquickte die biblische Geschichte um Batsheba und König David mit einem surrealen Internetchat, der tatsächlich stattgefunden hat: Ein Mann in den 40ern gibt sich als Teenager aus und trifft ein angeblich ebenso junges Mädchen, das ebenfalls schon über 40 ist. Als alles auffliegt, gibt es nicht nur virtuellen Mord und Totschlag.

Was die beiden Geschichten miteinander zu tun haben? Leider bleibt Tsangaris die Antwort schuldig, vielmehr geht es ihm um meist intime Raumsituationen, bei denen eine kleine Zuschauergruppe sich um Musiker, Akteure, Sänger herumbewegt und ihnen beim Performen zusieht. Projizierte Videos oder Textfetzen vermitteln zumindest etwas vom im Programmheft behaupteten Geschehen und es ist ganz wunderbar, etwa im Spiegelsaal des Donaueschinger Schlosses den Kampf zwischen König David, seiner ersehnten Batsheba und ihrem später an die Front versetzten Noch-Ehemann mitzuerleben. Auf einem Steg drapiert spielen abwechselnd Sänger und Schauspieler unter die Haut gehend. Die restlichen Räume sind ziemlich belanglos, eine Frau räkelt sich auf einem Bett, es wird geflüstert, hübsch herausgeputzte Klänge untermalen das Ganze. Originell ist allenfalls der beständig zischende und bramarbasierende Sylvain Cambreling, der seine Dirigentenrolle mit der eines diabolischen Überwachers vertauscht.

Übrigens wurde auch der Berichterstatter selbst für kurze Zeit zum Mitspieler, da man ihn einfach vergaß und an sehr düsterem Ort zurückließ. Also fasste er sich ein Herz, stellte sich in die Mitte und verwirrte das neu hereinströmende Publikum mittels minimalistischen Gesten und strengen Blicken. Diese Extrafigur fiel offenbar weder den zahlreichen Helfern mit ihren Taschenlampen noch den Musikern auf…

Innerhalb des sozusagen regulären Konzertprogramms stieß man dieses Jahr auf qualitativ sehr unterschiedliche Kompositionen. Eindrücklich war vor allem ein Konzert der "Musik-Fabrik" mit dem Experimentalstudio des SWR. Mit kräftigen Konturen stattete der Peruaner Jimmy López sein Stück "Incubus III" aus, wenn sich hier ein Dämon einer schlafenden Dame nächtens bemächtigt, geht’s auch elektronisch ordentlich zur Sache. Wesentlicher zarter der Japaner Dai Fujikura, der in "Phantom Splinter" mit vorwiegend filigranen Klangfiguren eine bedrohliche Atmosphäre schafft.

Natürlich hörte man in Donaueschingen auch diesmal wieder Werke einiger Szene-Stars. Es gab ein sehr komplexes, dennoch unkompliziertes Stück von Beat Furrer, dagegen erzeugte Salvatore Sciarrino mit seinem luftigen Klanggemälde "Libro notturno delle voci" beim Publikum ziemlich kontroverse Reaktionen.