Klamme Kommunen

Von Petra Dobner · 14.05.2010
Kein Kommentar zur Finanznot der Kommunen reicht in puncto Humorigkeit an Klaus Wowereits Slogan "arm, aber sexy" heran. Dem Regierenden Bürgermeister allein bleibt es vorbehalten, kommunale Armut zum Appendix eines ohnehin vorhandenen Sexappeals der Stadt abzuwerten. Aus jeder anderen Perspektive jedoch ist kommunale Armut total unsexy.
Landauf und landab käme den Kämmerern, Finanzdezernenten und Bürgermeistern – wie auch vielen Berlinern – nicht im Traum die Idee, die tickende Schuldenuhr ihrer Städte zum harmlosen Nebengeräusch von Saus und Braus zu erklären.

Ausgiebig ist in den letzten Monaten die finanzielle Dimension des Problems dokumentiert worden: Die Städte verarmen, das Defizit steigt im Rekordtempo, das weiß inzwischen jeder. Die Gründe sind denkbar schnell auf den Punkt gebracht: Sinkende Einnahmen, steigende Ausgaben. In Zahlen: Minus 10 Prozent Einnahmen, plus 5 Prozent Ausgaben, Kassenkredite von fast 34 Milliarden Euro, erwartetes Finanzdefizit für 2010: 12 Milliarden. Den nackten Zahlen indessen wohnt kein Schrecken mehr inne – zu viele große Zahlen sind in den letzten Monaten über uns gekommen, als dass sie uns noch den Schlaf rauben könnten.

Eine auf Zahlen beschränkte Situationsdiagnose jedoch beschreibt nur die äußerste Schicht des Problems; man muss sie durchdringen, um die finanzielle Katastrophe der Kommunen als unsere eigene zu begreifen.

Zuerst die bürgerliche Dimension: In blühenden Kommunen zeigt der Staat seine Butterseite. Er baut Schwimmbäder und Parkbänke, hängt Abfallkörbe auf, pflegt Parks, unterhält Feuerwehr, Theater, Vereine und Orchester und schafft es mit Tischtennisplatten, Schulgärten und Computerpools, dass selbst Schule schön ist. In diesen größtenteils freiwilligen Leistungen schafft der kommunale Staat die Orte der Öffentlichkeit, an denen sich die Bürgerschaft, die Zivilgesellschaft erst entfalten kann. Die Finanznot der Kommunen aber zwingt zur Reduktion auf Pflichtaufgaben und macht das Staatserlebnis der Bürger zum Horrortrip. Ihre Steuern, Gebühren und Entgelte halten den Staat vor allem in den Bereichen am Leben, die sie selbst am wenigsten schätzen: als Eingriffsverwaltung.

Zweitens die soziale Dimension: Auf der Suche nach finanzieller Entlastung gerät noch zaghaft, doch beharrlich das wachsende Budget der Sozialausgaben in den Fokus der klammen Kommunen. Einzelfallhilfe drei Mal pro Woche – reicht einmal nicht? Erfüllen billige Pflegeheime den Unterbringungszweck schlechter als teure? Kann 110 nicht den Frauennotruf ersetzen? Politischer Logik entspricht, dass jedes Ratsmitglied, das sich einer bestimmten Klientel verpflichtet fühlt, sich im Konsolidierungsprozess schützend vor diese stellen wird. Der Sportsfreund wird Theater schließen, aber keine Sportplätze. Der Theaterfreund wird Blumenrabatten zur Disposition stellen, nicht aber die mundartliche Kleinkunstbühne. Der Freund des Mittelstandes wird gegen die Erhöhung der Gewerbesteuer ins Feld ziehen, aber eine Gebührenerhöhung für den ÖPNV für vertretbar halten. Im Kampf um knappe Mittel positionieren sich die organisierten Interessen erst für sich und dann füreinander. Pakete werden geschnürt: Wenn du gegen die Kürzung meines Theaters stimmst, stimme ich für den Erhalt deiner Sportplätze. Am Ende bleiben die auf der Strecke, die weder Fürsprecher haben, noch sich selbst gut organisieren können – etwa weil sie arm, alt oder vereinzelt sind.

Drittens die föderale Dimension: Trotz zahlreicher Versuche, kommunale Ausgabenpflichten und Einnahmequellen näher aneinander zu führen, unterliegen die Kommunen im finanziellen Wettkampf noch immer den ebenfalls armen Ländern und dem Bund, die ihnen Auf- und Ausgaben vorschreiben, ohne die rechtlichen Grundlagen für auch entsprechende Einnahmen bereitzustellen. Weil in der vertikalen Dimension wenig Hoffnung auf Besserung ist, verfallen die Kommunen in eine horizontale Konkurrenz um Gewerbetreibende (und damit Gewerbesteuerzahler), bei der der Norden dem Süden, der Osten dem Westen und jede Kommune jeder anderen abzutrotzen versucht, was nur möglich ist.

Das Ergebnis aber sind nicht "gleichwertige Lebensverhältnisse", sondern ein "race to the bottom", eine Abwärtsspirale kommunaler Einnahmen, von denen nur die Unternehmer profitieren, die als vermeintliche Glücksbringer hofiert werden und im Zweifel einfach nach nebenan zu ziehen drohen. Die Kommunen insgesamt hat die Konkurrenz um das Gewerbe nicht davor gefeit, 2009 den dramatischsten Rückgang in den Gewerbesteuereinnahmen zu erleben. In den Worten des Deutschen Städtetages: "Der Absturz der Gewerbesteuereinnahmen war im Jahr 2009 ohne Beispiel, viele Städte haben dramatische Einbrüche von 40 Prozent oder mehr erleiden müssen. Bundesweit wird von einem Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen (netto) um ca. 17,4 Prozent ausgegangen, die kommunalen Einnahmeverluste betragen allein hieraus 5,5 Milliarden Euro."

Alles in allem zeugt die Finanznot der Kommunen von einem politischen Gesamtschaden, der in den nackten Zahlen nicht einmal annähernd begreiflich wird. Als Zivilgesellschaft, als Sozialstaatsbürger, als Bundesbürger mit dem Anspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse trifft die finanzielle Krise der Kommunen uns in einem zentralen Lebensnerv – in den Kommunen geht unser Staat vor die Hunde, und wir haben keine Ahnung, was wir außer Klagen, Meckern und Zuschauen tun können.

Petra Dobner, Politikwissenschaftlerin, Studium der Philosophie und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin; anschließend wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Politische Theorie an der Universität Potsdam, wissenschaftliche Assistenz an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. 2007/08 Fellow am Wissenschaftskolleg. Heute Privatdozentin für Politikwissenschaft.