Kirchraumpädagogik
Immer noch prägen Kirchen in Deutschland das Erscheinungsbild von Dörfern und Städten. Vielen Menschen sind Kirchen jedoch fremd geworden. Sie sind nicht mehr vertraut mit deren Sinn und theologischem Programm, mit dem kunstvollen Inneren der Gotteshäuser und dessen Bedeutung. Das lässt sich ändern. Kirchenpädagogik lautet das Zauberwort. Kirchen werben für sich selbst mit ihren Kirchen.
"Es war sehr beeindruckend, muss ich sagen, so ‘ne Führung hab ich noch nie erlebt, die so eindrücklich war durch diese Effekte, dass es dunkel war, dass man mit der Lampe wohin leuchten musste. Also ich glaub’, das ist ‘ne Führung, die werd’ ich nicht vergessen und viele Details, die ich hier erfahren habe, auch nicht."
Ein begeisterter Teilnehmer nach einer nächtlichen Kirchenführung im Berliner Dom. Kirche als Entdeckungsraum. Kirchenpädagogik, mitunter auch Kirchraumpädagogik genannt – das ist die Lehre von der Vermittlung des Sinngehalts von Kirchengebäuden
Tacke: "Wie kommt ein Bettelorden, der in der Tat arm anfängt, dazu, innerhalb von 150 oder 180 Jahren nach seiner Gründung ‘ne neue Kirche zu bauen?"
Willi Tacke, Kirchenführer, ehemaliger Lehrer und Experte für die Geschichte der katholischen Kirche im sonst so protestantischen Bremen.
Tacke: "Wenn man das Mittelalter verstehen will, dann muss man im Grunde wissen, dass die größte Angst des Menschen die ist, nicht in den Himmel zu kommen. Und weil sie die Bibel ja auch wörtlich nahmen, wussten sie: Also, 144.000 Bezeichnete gibt’s, also der Platz ist da sehr eng. Ich muss mich also schon anstrengen und alle möglichen Tricks aufwenden, um in den Himmel zu kommen. Und dafür gab es das so genannte Seelgerät, das heißt: man beauftragte Pfarrer, für das Seelenheil der Verstorbenen zu beten. Und aus diesem Geld für das Seelgerät ist die heutige Kirche entstanden."
"Kirchenführungen herkömmlichen Stils setzen auf die (möglichst) interessante Vermittlung von Wissen über den jeweiligen Kirchenraum. Unterstellt wird, dass dieses Wissen weitgehend ohne Verlust ›abgespeichert‹ werden kann."
Schreibt Hartmut Rupp, Direktor des Religionspädagogischen Instituts der badischen Landeskirche. Rupp schreibt im "Handbuch der Kirchenpädagogik", als habe er Willi Tacke genau vor Augen. Wenige Zeilen später notiert er:
"Kirchenerschließung [hingegen] geht ... davon aus, dass das Verstehen eines Kirchenraums durch subjektive Aneignung geschieht. ... Soll eine Kirchenerschließung gelingen, muss sie Methoden anwenden, welche die eigene Wahrnehmung stimulieren, subjektive Deutungsprozesse initiieren und genügend Raum geben, um persönliche Eindrücke, Entdeckungen und Einsichten zum Ausdruck zu bringen."
Tacke: "Man soll sich ja nicht selber loben, aber die Leute sind begeistert, weil ich eben keine trockenen Zahlen aneinanderreihe, sondern in salopper Sprache Geschichten erzähle und ihnen versuche, die Dinge nicht, sagen wir, mit frommem Augenaufschlag, sondern teilweise auch mit Humor nahe zu bringen."
Kirchenführungen und Kirchenerschließungen bringen Menschen und Kirchen in Beziehung – auf verschiedene Weise und mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Dabei beschränken sich Kirchenerschließungen nicht auf Sehen, Reden und Zuhören. Durch Fühlen und Riechen lässt sich ein Kirchenraum ebenso erkunden wie etwa im bewussten Pilgerschritt oder mit einem Säulentanz.
Ortswechsel. Gisela Donath vom Kirchenpädagogischen Dienst Berlin sitzt mit einer Schulklasse mitten im Berliner Dom.
Donath: "Also jetzt, denk ich, solltet ihr einfach mal Euren Blick schweifen lassen – einen Augenblick nur mal so rumgucken."
"Bitte, was fällt Dir auf?"
"Die Bilder haben einen Leuchteffekt, also die leuchten richtig."
"Vorn im Altarraum die Bilder, die werden vom Tageslicht erleuchtet. Bitte!"
"Es ist riesig."
"Ja. Bitte."
"Die große Orgel."
Die Schülerinnen und Schüler aus dem Berliner Stadtteil Marzahn staunen. Sie entdecken Neues und Ungewohntes im großen Kirchengebäude, das der Berliner lustvoll spottend "Seelengasometer" nennt. Später schickt die Kirchenpädagogin die Kinder als Detektive auf den Weg.
Donath: "Jeder bekommt so einen Zettel. Ihr werdet feststellen: Einige Abbildungen, die haben wir schon gehabt. Aber manches haben wir eben noch nicht gehabt. Ihr könnt zu zweit gehen, ihr könnt zu dritt gehen, wie es euch so lieb ist."
"Also, Johannes haben wir gefunden, dann haben wir noch zwei Engel gefunden auf den zwei größeren Bildern vorne beim Altar. Und jetzt müssen wir noch weiter suchen."
"Die vier Buchstaben haben wir gefunden, die sind da oben an der Kuppel. Dann haben wir die Abkürzung INRI gefunden, die am Kreuz von Jesus hängt."
"Also ich hab den Vater von Jesus Christus, den Josef, gefunden und noch ein paar Bilder die jetzt am Dom, also an der Kuppel oben dran sind, und auch den Adler, der am Taufstein dran war."
"Dann haben wir, wie hieß er?"
"Friedrich den Weisen haben wir gefunden."
"Ja."
"Der ist da oben."
"Das ist des, wo sie Jesus verspottet haben unten am Kreuz."
"Hier ist ein Bild von Josef, wo er in der Krippe ist und eine Lampe anleuchtet, damit die Hirten, die kommen, damit die sehen, wie Maria – hat das Kind ja geboren – damit die das Kind von Maria sehen."
Mit einem Glöckchen ruft Gisela Donath die Schülerinnen und Schüler wieder in die Kirchenbank. Die Ergebnisse werden gemeinsam gesichtet, erklärt und gedeutet. Auf spielerische Weise prägen sich den Kindern Motive der christlichen Ikonografie und deren Bedeutung ein.
Donath: "Eigentlich geht’s um Frage und Antwort. Das gelingt nicht immer so und artet manchmal doch in Vorträge aus, ist aber nicht so beabsichtigt. Beabsichtigt ist der Dialog."
Einen ganzen Morgen verbringt Gisela Donath mit den Kindern im Berliner Dom. Kirchenerschließung erfordert Zeit, setzt auf Verlangsamung. Das hängt, so Hartmut Rupp, mit einer wichtigen Eigenart von Kirchbauten zusammen.
"Da diese auf Besinnung, Ruhe, Einkehr, Meditation oder bedachtes Hören ausgerichtet sind, bedürfen sie einer ruhigen, behutsamen Erschließung, einer verweilenden Betrachtung und einer nachdenklichen Verständigung. All dies braucht Zeit."
"Ich war bis jetzt das erste Mal in der Kirche oder im Dom. Das macht eigentlich Spaß. Für mich ist es ganz, ganz, ganz neu."
"Naja, also ich war jetzt schon öfters in der Kirche, aber der Berliner Dom, es ist bis jetzt das Imposanteste, wo ich jetzt drin war, ist auch riesengroß, sieht gut aus."
"Wenn ich in Thüringen bin, da war’n wir einmal Heiligabend in der Kirche. Da haben die auch das Krippenspiel gemacht. Ja, und das war’s auch."
"Ich war auch einmal zu Weihnachten mit meiner Oma, aber sonst nicht."
"Ich mache die Erfahrung, dass es ganz unterschiedliche Menschen gibt, unabhängig davon, ob sie aus dem ehemaligen Ostteil oder Westteil kommen, dass es eine Frage von Bildungsgut ist und von Interesse, dass aber nach wie vor Gruppen, die aus ehemaligen stärker ostdeutsch geprägten Gebieten, dass da doch eine ganz große Lücke auch herrscht."
Diesem Umstand verdankt die Kirchenraumpädagogik ihre Entstehung. Über die Werbewirksamkeit schreibt August Laumer, Lehrbeauftragter für Pastoraltheologie und Liturgiewissenschaft in Passau:
"Einerseits stellte sich seit der Wiedervereinigung Deutschlands gerade in den Diasporagebieten zunehmend das Problem, wie Nichtgetauften kirchliche Räume und Kunstwerke in ihrer Bedeutung nähergebracht werden können. ... Aber auch bei Kirchenführungen in überwiegend christlichen Gebieten nehmen immer öfter Menschen teil, die kaum religiöses Vorwissen mitbringen.
Eine zweite Wurzel der Kirchenraumpädagogik liegt in der Museumspädagogik. Hier wurden zuerst neue Methoden entwickelt, um gerade Kindern Zugänge zu Ausstellungen und einzelnen Kunstwerken zu eröffnen."
Nach wie vor sind Kinder eine wichtige Zielgruppe für Kirchenerschließungen, doch richten sich immer mehr Angebote auch an Erwachsene.
Flügger: "Meine Kollegin und ich, wir bieten alle zwei Monate einen Abend an 'Dom bei Nacht' zum Wochenausklang am Freitagabend, ganz bewusst, um zur Ruhe zu kommen, um diese Kirche auf sich wirken zu lassen."
Babett Flügger, Pastorin am St. Petri Dom in Bremen.
Flügger: "Man kann mit dem Klang spielen. Wir haben Glocken und wir können die, die abends da sind, einladen je mit einer Glocke sich an eine Stelle zu stellen, um mal die Weite zu hören – das kann man.
Darum geht es ganz stark: Den Raum zu erleben, das, was er auch an Spiritualität ausstrahlt, an einem Punkt deutlich erlebbar zu machen und damit natürlich einzuladen, ihn unter Umständen auch einmal dann im Gottesdienst zu erleben. Das ist aber nicht unser vordringliches Ziel."
Kirchenerschließungen bringen Menschen und Kirchen in Beziehung – im Dreischritt von wahrnehmen – erklären – deuten. Die bisweilen unkonventionellen Methoden sind keineswegs Spielchen, wie sie von Erwachsenen zuweilen belächelt werden. Die kreativen Zugangsweisen dienen dem intensiven Wahrnehmen und dem ganzheitlichen Erleben des Kirchenraums. Denn Gott wird – pointiert gesprochen – nicht nur Wort, sondern auch Person und Raum.
"So habe ich den Bremer Dom noch nie erlebt: der Kerzenschein, die Stille – und das hat mir, finde ich, wirklich gut getan. Die Weite und die Besonderheit des Raumes über diese verschiedenen Sinne zu erfahren – das war schon sehr eindrucksvoll. Und ich merkte plötzlich: Ja, das macht mich innerlich weit.
Und ganz besonders toll fand ich, den Raum über die Klänge zu erfahren und damit neu zu durchmessen. Total ungewohnt, aber klasse. Ich bin begeistert!"
Ein begeisterter Teilnehmer nach einer nächtlichen Kirchenführung im Berliner Dom. Kirche als Entdeckungsraum. Kirchenpädagogik, mitunter auch Kirchraumpädagogik genannt – das ist die Lehre von der Vermittlung des Sinngehalts von Kirchengebäuden
Tacke: "Wie kommt ein Bettelorden, der in der Tat arm anfängt, dazu, innerhalb von 150 oder 180 Jahren nach seiner Gründung ‘ne neue Kirche zu bauen?"
Willi Tacke, Kirchenführer, ehemaliger Lehrer und Experte für die Geschichte der katholischen Kirche im sonst so protestantischen Bremen.
Tacke: "Wenn man das Mittelalter verstehen will, dann muss man im Grunde wissen, dass die größte Angst des Menschen die ist, nicht in den Himmel zu kommen. Und weil sie die Bibel ja auch wörtlich nahmen, wussten sie: Also, 144.000 Bezeichnete gibt’s, also der Platz ist da sehr eng. Ich muss mich also schon anstrengen und alle möglichen Tricks aufwenden, um in den Himmel zu kommen. Und dafür gab es das so genannte Seelgerät, das heißt: man beauftragte Pfarrer, für das Seelenheil der Verstorbenen zu beten. Und aus diesem Geld für das Seelgerät ist die heutige Kirche entstanden."
"Kirchenführungen herkömmlichen Stils setzen auf die (möglichst) interessante Vermittlung von Wissen über den jeweiligen Kirchenraum. Unterstellt wird, dass dieses Wissen weitgehend ohne Verlust ›abgespeichert‹ werden kann."
Schreibt Hartmut Rupp, Direktor des Religionspädagogischen Instituts der badischen Landeskirche. Rupp schreibt im "Handbuch der Kirchenpädagogik", als habe er Willi Tacke genau vor Augen. Wenige Zeilen später notiert er:
"Kirchenerschließung [hingegen] geht ... davon aus, dass das Verstehen eines Kirchenraums durch subjektive Aneignung geschieht. ... Soll eine Kirchenerschließung gelingen, muss sie Methoden anwenden, welche die eigene Wahrnehmung stimulieren, subjektive Deutungsprozesse initiieren und genügend Raum geben, um persönliche Eindrücke, Entdeckungen und Einsichten zum Ausdruck zu bringen."
Tacke: "Man soll sich ja nicht selber loben, aber die Leute sind begeistert, weil ich eben keine trockenen Zahlen aneinanderreihe, sondern in salopper Sprache Geschichten erzähle und ihnen versuche, die Dinge nicht, sagen wir, mit frommem Augenaufschlag, sondern teilweise auch mit Humor nahe zu bringen."
Kirchenführungen und Kirchenerschließungen bringen Menschen und Kirchen in Beziehung – auf verschiedene Weise und mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Dabei beschränken sich Kirchenerschließungen nicht auf Sehen, Reden und Zuhören. Durch Fühlen und Riechen lässt sich ein Kirchenraum ebenso erkunden wie etwa im bewussten Pilgerschritt oder mit einem Säulentanz.
Ortswechsel. Gisela Donath vom Kirchenpädagogischen Dienst Berlin sitzt mit einer Schulklasse mitten im Berliner Dom.
Donath: "Also jetzt, denk ich, solltet ihr einfach mal Euren Blick schweifen lassen – einen Augenblick nur mal so rumgucken."
"Bitte, was fällt Dir auf?"
"Die Bilder haben einen Leuchteffekt, also die leuchten richtig."
"Vorn im Altarraum die Bilder, die werden vom Tageslicht erleuchtet. Bitte!"
"Es ist riesig."
"Ja. Bitte."
"Die große Orgel."
Die Schülerinnen und Schüler aus dem Berliner Stadtteil Marzahn staunen. Sie entdecken Neues und Ungewohntes im großen Kirchengebäude, das der Berliner lustvoll spottend "Seelengasometer" nennt. Später schickt die Kirchenpädagogin die Kinder als Detektive auf den Weg.
Donath: "Jeder bekommt so einen Zettel. Ihr werdet feststellen: Einige Abbildungen, die haben wir schon gehabt. Aber manches haben wir eben noch nicht gehabt. Ihr könnt zu zweit gehen, ihr könnt zu dritt gehen, wie es euch so lieb ist."
"Also, Johannes haben wir gefunden, dann haben wir noch zwei Engel gefunden auf den zwei größeren Bildern vorne beim Altar. Und jetzt müssen wir noch weiter suchen."
"Die vier Buchstaben haben wir gefunden, die sind da oben an der Kuppel. Dann haben wir die Abkürzung INRI gefunden, die am Kreuz von Jesus hängt."
"Also ich hab den Vater von Jesus Christus, den Josef, gefunden und noch ein paar Bilder die jetzt am Dom, also an der Kuppel oben dran sind, und auch den Adler, der am Taufstein dran war."
"Dann haben wir, wie hieß er?"
"Friedrich den Weisen haben wir gefunden."
"Ja."
"Der ist da oben."
"Das ist des, wo sie Jesus verspottet haben unten am Kreuz."
"Hier ist ein Bild von Josef, wo er in der Krippe ist und eine Lampe anleuchtet, damit die Hirten, die kommen, damit die sehen, wie Maria – hat das Kind ja geboren – damit die das Kind von Maria sehen."
Mit einem Glöckchen ruft Gisela Donath die Schülerinnen und Schüler wieder in die Kirchenbank. Die Ergebnisse werden gemeinsam gesichtet, erklärt und gedeutet. Auf spielerische Weise prägen sich den Kindern Motive der christlichen Ikonografie und deren Bedeutung ein.
Donath: "Eigentlich geht’s um Frage und Antwort. Das gelingt nicht immer so und artet manchmal doch in Vorträge aus, ist aber nicht so beabsichtigt. Beabsichtigt ist der Dialog."
Einen ganzen Morgen verbringt Gisela Donath mit den Kindern im Berliner Dom. Kirchenerschließung erfordert Zeit, setzt auf Verlangsamung. Das hängt, so Hartmut Rupp, mit einer wichtigen Eigenart von Kirchbauten zusammen.
"Da diese auf Besinnung, Ruhe, Einkehr, Meditation oder bedachtes Hören ausgerichtet sind, bedürfen sie einer ruhigen, behutsamen Erschließung, einer verweilenden Betrachtung und einer nachdenklichen Verständigung. All dies braucht Zeit."
"Ich war bis jetzt das erste Mal in der Kirche oder im Dom. Das macht eigentlich Spaß. Für mich ist es ganz, ganz, ganz neu."
"Naja, also ich war jetzt schon öfters in der Kirche, aber der Berliner Dom, es ist bis jetzt das Imposanteste, wo ich jetzt drin war, ist auch riesengroß, sieht gut aus."
"Wenn ich in Thüringen bin, da war’n wir einmal Heiligabend in der Kirche. Da haben die auch das Krippenspiel gemacht. Ja, und das war’s auch."
"Ich war auch einmal zu Weihnachten mit meiner Oma, aber sonst nicht."
"Ich mache die Erfahrung, dass es ganz unterschiedliche Menschen gibt, unabhängig davon, ob sie aus dem ehemaligen Ostteil oder Westteil kommen, dass es eine Frage von Bildungsgut ist und von Interesse, dass aber nach wie vor Gruppen, die aus ehemaligen stärker ostdeutsch geprägten Gebieten, dass da doch eine ganz große Lücke auch herrscht."
Diesem Umstand verdankt die Kirchenraumpädagogik ihre Entstehung. Über die Werbewirksamkeit schreibt August Laumer, Lehrbeauftragter für Pastoraltheologie und Liturgiewissenschaft in Passau:
"Einerseits stellte sich seit der Wiedervereinigung Deutschlands gerade in den Diasporagebieten zunehmend das Problem, wie Nichtgetauften kirchliche Räume und Kunstwerke in ihrer Bedeutung nähergebracht werden können. ... Aber auch bei Kirchenführungen in überwiegend christlichen Gebieten nehmen immer öfter Menschen teil, die kaum religiöses Vorwissen mitbringen.
Eine zweite Wurzel der Kirchenraumpädagogik liegt in der Museumspädagogik. Hier wurden zuerst neue Methoden entwickelt, um gerade Kindern Zugänge zu Ausstellungen und einzelnen Kunstwerken zu eröffnen."
Nach wie vor sind Kinder eine wichtige Zielgruppe für Kirchenerschließungen, doch richten sich immer mehr Angebote auch an Erwachsene.
Flügger: "Meine Kollegin und ich, wir bieten alle zwei Monate einen Abend an 'Dom bei Nacht' zum Wochenausklang am Freitagabend, ganz bewusst, um zur Ruhe zu kommen, um diese Kirche auf sich wirken zu lassen."
Babett Flügger, Pastorin am St. Petri Dom in Bremen.
Flügger: "Man kann mit dem Klang spielen. Wir haben Glocken und wir können die, die abends da sind, einladen je mit einer Glocke sich an eine Stelle zu stellen, um mal die Weite zu hören – das kann man.
Darum geht es ganz stark: Den Raum zu erleben, das, was er auch an Spiritualität ausstrahlt, an einem Punkt deutlich erlebbar zu machen und damit natürlich einzuladen, ihn unter Umständen auch einmal dann im Gottesdienst zu erleben. Das ist aber nicht unser vordringliches Ziel."
Kirchenerschließungen bringen Menschen und Kirchen in Beziehung – im Dreischritt von wahrnehmen – erklären – deuten. Die bisweilen unkonventionellen Methoden sind keineswegs Spielchen, wie sie von Erwachsenen zuweilen belächelt werden. Die kreativen Zugangsweisen dienen dem intensiven Wahrnehmen und dem ganzheitlichen Erleben des Kirchenraums. Denn Gott wird – pointiert gesprochen – nicht nur Wort, sondern auch Person und Raum.
"So habe ich den Bremer Dom noch nie erlebt: der Kerzenschein, die Stille – und das hat mir, finde ich, wirklich gut getan. Die Weite und die Besonderheit des Raumes über diese verschiedenen Sinne zu erfahren – das war schon sehr eindrucksvoll. Und ich merkte plötzlich: Ja, das macht mich innerlich weit.
Und ganz besonders toll fand ich, den Raum über die Klänge zu erfahren und damit neu zu durchmessen. Total ungewohnt, aber klasse. Ich bin begeistert!"