Kirchhof erwartet keine Erhöhung der Erbschaftssteuer

Moderation: Birgit Kolkmann |
Der Steuerexperte Paul Kirchhof hat eine Abschaffung der Schenkungssteuer für Ehegatten gefordert. Der Gesetzgeber solle die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Vereinfachung des Erbschaftssteuerrechts dazu nutzen, um den Transfer von Vermögen unter lebenden Ehegatten freizustellen, sagte Kirchhof, Finanz- und Steuerrechtler an der Universität Heidelberg. Die Ehe sei eine Erwerbsgemeinschaft. Daher sei es nicht erheblich, wem was gehöre.
Birgit Kolkmann: Wenn es ans Erben geht, freut sich auch der Staat. Je größer das Vermögen, umso mehr Erbschaftssteuer fließt in die Kassen, und besser noch: Es wird Geld und Anlagevermö-gen vererbt. Das wird bislang viel höher versteuert als Immobilien und Betriebsvermögen. Doch durch diese Rechnung hat das Bundesverfassungsgericht jetzt einen dicken Strich gemacht.

Ungerecht und verfassungswidrig sei die unterschiedliche Besteuerung und bei Immobilien und Betriebsvermögen wird zu viel gemauschelt, oft viel zu niedrige Verkehrswerte angesetzt. Damit ist also künftig Schluss. Der Gesetzgeber muss ein neues Erbschaftssteuergesetz ausarbeiten. - Zum Interview in Deutschlandradio Kultur begrüße ich den ehemaligen Verfassungsrichter Professor Paul Kirchhof, Finanz- und Steuerrechtler an der Uni Heidelberg. Schönen guten Morgen!

Paul Kirchhof: Schönen guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Professor Kirchhof, müssen wir nun damit rechnen, daß bald mehr Erbschaftssteuer gezahlt werden muss?

Kirchhof: Nein. Das Konzept des Verfassungsgerichts ist nicht ein Konzept der Steuererhöhung, eher im Gegenteil. Es soll das verwirrende und nicht mehr verständliche Recht ganz einfach entwi-ckelt werden, sodass jeder Bürger weiß, welche Steuerlast auf ihn zukommt.

Kolkmann: Das heißt aber doch, dass es wieder Steuerentlastungen oder Begünstigungen geben muss, wenn die Steuer nicht steigen soll?

Kirchhof: Zunächst einmal soll die Steuer auf alle Schultern derer, die etwas erben oder etwas geschenkt bekommen, verteilt werden. Und wenn ich eine breite Grundlage habe, dass alle die Steuer mittragen, kann ich die Steuersätze wesentlich senken. Natürlich kann man, wenn man den Grundwert, um den es hier geht, richtig definiert hat, daran auch besondere Regelungen der Be-günstigung und der Lenkung anknüpfen.

Das Kernanliegen des Gerichtes ist, dass erst mal der Wert, der Zuwachs an Leistungsfähigkeit richtig definiert wird: bei den Grundstücken, bei den Betrieben, bei den Häusern. Nun steht nicht an jedem Haus und an jedem Betrieb ein Kaufpreis, dass ich wüsste, was der Wert dieses Grundstückes ist. Deswegen muss bewertet werden. In diesen Bewertungsmethoden haben wir gegenwärtig so viele Widersprüche, so viele Besonderheiten, Privilegien, dass teilweise das Geldvermögen zu 100 Prozent angesetzt wird, aber Grundvermögen teilweise mit 30, 20, 10 Prozent seines realen Wertes.

Kolkmann: Weil sich Betriebe zum Beispiel arm rechnen können. – Welche Möglichkeiten gibt es denn nun für den Gesetzgeber, mehr Gerechtigkeit zu schaffen, ohne die Bürger über Gebühr zur Kasse zu bitten? Werden Sie der Bundesregierung zum Beispiel dabei helfen, dieses Gesetzeswerk auszuarbeiten?

Kirchhof: Das sicherlich nicht. Ich bin ja nicht in der Verantwortung der Bundesregierung. Aber es bietet sich für die Bundesregierung und damit für das Parlament eine ganz einmalige Chance, dieses komplizierte Recht einfach und nachvollziehbar zu machen. Der Bürger kann ja eine Steuerlast, gegen die er sich immer wehrt – keiner hat Freude, Steuern zu zahlen -, nur als gerecht verste-hen, wenn sie erst mal verständlich ist.

Und wenn er weiß, da habe ich eine Erbschaft gemacht, etwa wenn das Haus vererbt wird von den Eltern auf die Kinder, dann weiß er: Da gibt es einen ausreichenden Freibetrag, da muss ich mir im Normalfall keine Sorgen machen, dann wird keine Steuer gezahlt. Wenn es aber höhere Werte sind, etwa großes Grundbesitzvermögen, Betriebsvermögen, Anteile an Kapitalgesellschaften: Dann möchte er im Vorhinein genau berechnen können, welche Schuld auf ihn zukommt.

Kolkmann: An Omas kleines Häuschen geht keiner heran. Das ist ja immer der Standardspruch, der dann kommt, weil davor haben die meisten Menschen Angst. Es werden aber in Deutschland in den nächsten Jahren ja gigantische Werte vererbt werden. Das sind doch nicht nur Omas kleine Häuschen.

Kirchhof: Ja. Dieses kleine Häuschen der Oma ist kein Problem. Das ist außen vor wegen der Freibeträge. Das hat das Bundesverfassungsgericht auch 1996 gesagt, daß das Familiengut, also sagen wir mal das Einfamilienhaus mit den Einrichtungen und dem Auto, auf das die Familie sich eingestellt hat, das sozusagen die Lebensgrundlage für eine Familie ist, jedenfalls nicht reduziert werden darf aus Anlass des Todes. Das wäre ja auch, sagen wir mal, keine noble Geste des Gesetz-gebers. Da besteht keine Gefahr.

Kolkmann: Ich dachte Sie wollten das jetzt noch weiter ausführen. – Wo fängt denn das an, daß das kleine Häuschen nicht mehr klein ist und wo dann besteuert werden soll?

Kirchhof: Im Moment liegen die Freibeträge zwischen 300.000 und 400.000 Euro. Dann muss man sehen, dass es ja normalerweise zwei Erbfälle gibt, nach dem Vater, nach der Mutter oder nach dem Großvater und der Großmutter. Das wird man alles jetzt neu überdenken müssen, denn diese vom Verfassungsgericht vorgesehene Erneuerung des Steuerrechts bietet ja auch die Chance, über eine Erhöhung der Freibeträge nachzudenken, nicht nur über eine Senkung der Steuersätze.

Kolkmann: Wenn der Erbfall dann mehrfach eintritt, wie Sie das gerade angedeutet haben, erst die Oma, dann der Vater und die Mutter möglicherweise, ist das dann nicht irrsinnig, wenn immer wieder eine Steuer gezahlt werden muss?

Kirchhof: Das ist sicherlich eine Schwäche des geltenden Erbschaftssteuerrechts. Das knüpft einfach an den Todesfall an oder vorausgehend an die Schenkung. Nun kann aber, wenn schon das Unglück eingetreten ist, der Todesfall häufiger eintreten, also sehr kurze Phasen der Erbfolge sich ereignen. Und auch darüber wird der Gesetzgeber nachdenken, ob man dort nicht korrigieren muss.

Das zweite, was ganz wichtig ist: Er wird nachdenken müssen, ob die Schenkungen unter Ehegatten wirklich wie bisher schenkungssteuerpflichtig sein sollen. Denn normalerweise sagt man zu Recht, die Ehen sind eine Erwerbsgemeinschaft, eine Eigentumsgemeinschaft, und wem formal was ge-hört, ist eigentlich nicht so erheblich. Deswegen sollte der Transfer von Vermögenswerten inner-halb der Ehe, also unter lebenden Ehegatten bei der Gelegenheit auch steuerfrei gestellt werden, wie das in vielen anderen Ländern als selbstverständlich der Fall ist.

Kolkmann: Viele Menschen versuchen ja auch, die Erbschaftssteuer zu umgehen, indem sie vor dem Tod bereits das Eigentum übertragen: auf die Kinder oder auf andere Angehörige. Es gibt ja bei Banken zum Beispiel eine regelrechte Ratschlagskiste, wie man die Erbschaftssteuer umgehen kann. Müsste das im Prinzip auch deswegen vereinfacht werden, damit die Schlupflöcher nicht zu groß sind?

Kirchhof: Da haben wir im Ansatz ein gutes Recht. Das sagt nämlich, die Schenkung und die Erbschaft werden gleichbehandelt. Also wenn ich durch eine Schenkung den Erbfall vorwegnehme, das Vermögen schon übertrage, dann wird das genauso behandelt wie die Erbschaft.

Nur diese Gestaltungsmöglichkeiten, die Sie ansprechen, ergeben sich gegenwärtig einmal daraus, dass die Bewertungen so verschieden sind, und dann auch daraus, dass die Freibeträge alle zehn Jahre neu genutzt werden können. Aber all das steht jetzt zur Disposition des Parlaments. Das Ver-fassungsgericht fordert die grundsätzliche Überlegung, wie man das Erbschaftssteuerrecht einfach gestalten kann.

Kolkmann: Vielen Dank Professor Paul Kirchhof, Finanz- und Steuerrechtler an der Uni Heidelberg, zur Reform des Erbschaftsrechts, die nun ansteht.