Kirchenanwalt Reymar von Wedel

Hoffnungsträger für politische Gefangene der DDR

06:20 Minuten
Reymar von Wedel an einem Schreibtisch voller Dokumente
Was kostet die Freiheit: Reymar von Wedel verhandelte im Auftrag der evangelischen Kirche über die Freilassung politischer Gefangener der DDR. © Deutschlandradio / Günter Jeschonnek
Von Günter Jeschonnek · 13.09.2020
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Kurz nach dem Mauerbau begann Westdeutschland, politische Gefangene der DDR freizukaufen. Der heute 94-jährige Kirchenanwalt Reymar von Wedel spielte eine zentrale Rolle bei der geheimen Aktion.
In der stilvollen Seniorenresidenz Kleinmachnow an der Stadtgrenze Berlins besuche ich Reymar von Wedel. Sein Sohn Caspar begleitet mich. Er engagiert sich für die Stiftung seines in Berlin geborenen Vaters.

Grenzgänger zwischen West und Ost

1954 wurde Reymar von Wedel juristischer Mitarbeiter der Kirche, und 1961 berief ihn der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kurt Scharf, zu seinem persönlichen Referenten. Von Wedel wurde zu einem Grenzgänger zwischen West und Ost und ist bis heute einer der wichtigsten Zeitzeugen des Kalten Krieges.
"Ich habe ein bisschen Theologie studiert und bin dann Jurist geworden", erinnert sich der 94-Jährige, "erst Kirchenbeamter, dann Anwalt und Notar. Mein wichtigster Partner als solcher war Wolfgang Vogel, der bekannte Anwalt. Wir haben Ost-West-Verhandlungen geführt."
Wer hatte Reymar von Wedel beauftragt, sich zuerst für die Freilassung inhaftierter Christen und später für politische Gefangene und Ausreisewillige in der DDR einzusetzen? "Beauftragt? Der Bischof Scharf. Scharf hat mich in die DDR geschickt. Er war ja ausgewiesen."

Mit falschem Ausweis nach Ostberlin

Die SED ließ den kritischen Bischof Kurt Scharf nicht mehr nach Ostberlin einreisen, weil sie die Verbindung zwischen den Ost- und Westgemeinden der evangelischen Kirche trennen wollte.
Reymar von Wedel durfte als Westberliner ebenfalls nicht nach Ostberlin einreisen. Deshalb besorgte er sich über einen Stuttgarter Schulfreund einen gefälschten westdeutschen Pass, um zu dem Ostberliner Anwalt Wolfgang Vogel zu gelangen.
"Ich bin durch die Grenze und habe Vogel in seinem Büro besucht", erinnert sich Reymar von Wedel. "Damit hat alles angefangen. Am zweiten Tag, waren wir schon per Du. Ich hatte eine Liste von Inhaftierten, eine vorbereitete Liste von den dringlichsten Fällen: Christen, die sich irgendwie gegen den Staat und gegen die Polizei gewandt hatten, irgendwas gemacht hatten, was dem MfS nicht gefiel." Dem Ministerium für Staatssicherheit, der Stasi.

Christen in Stasi-Haft

Reymar von Wedels spezielles Engagement für Christen wurde ab Ende 1964 erweitert. "Wir haben uns um alle Leute gekümmert", sagt er. "Wer sich an uns gewandt hat, dem haben wir versucht zu helfen. Ich war Kirchenbeamter, aber ich bin ausgestiegen, um freier Anwalt zu werden, um besser arbeiten zu können. Ich war der einzige Anwalt aus Westberlin, der auch in Ostberlin arbeiten konnte."
Der privilegierte DDR-Anwalt Wolfgang Vogel, der das ermöglichte, hatte ebenfalls besondere Beziehungen zur Kirche, sagt von Wedel: "Vogel war Katholik und hatte Kontakt mit dem Caritasverband. Wenn sie in Not waren, wenn sie sich an uns wandten, und wenn wir von ihnen hörten, da haben wir keinen Unterschied gemacht."
Reymar von Wedel an seinem Schreibtisch, mit Blick auf den Balkon
Reymar von Wedel blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Mit seiner Stiftung unterstützt er heute verfolgte Christen in aller Welt.© Deutschlandradio / Günter Jeschonnek
In seinem lesenswerten Büchlein "Durch die Mauer. Als Anwalt für die Kirche" berichtet Reymar von Wedel als unmittelbarer politischer Zeitzeuge über seine Tätigkeit bis zum Mauerfall, mehrere seiner komplizierten Fälle und die wichtigsten Mitstreiter in Ost und West.

Stiftung setzt Engagement für politische Häftlinge fort

2016 initiierte der Jurist die Gründung seiner Stiftung in Erinnerung an Bischof Kurt Scharf und anknüpfend an den Freikauf von etwa 35.000 politischen Häftlingen aus der DDR. Auch über seinen Tod hinaus will sich Reymar von Wedel für Christen einsetzen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Das Stiftungskapital kam vor allem aus einem Immobilienverkauf.
"Ich hatte als Anwalt gut verdient. Das Grundstück brachte 1,8 Millionen, und davon habe ich eben eine Million für die Stiftung genommen", sagt Reymar von Wedel.
Seine Tochter Juliane und Sohn Caspar von Wedel sind aktive Mitglieder des Vereins "Hilfe für inhaftierte Christen - in memoriam Kurt Scharf e.V." Sein Sohn, pensionierter Lehrer und Schriftführer des Vereins, gibt über die aktuelle Arbeit Auskunft.

Hilfe für inhaftierte Christen weltweit

"Wir haben das Hauptkapital angelegt, und es wird geplant, aus den Zinsen diese Arbeit für verfolgte Christen zu betreiben", sagt Caspar von Wedel. "Wir haben aber im Augenblick den Kontakt zu einer Christen-Gemeinde in Karatschi, in Pakistan, ein Pastor John Joseph Masi. Und der setzt sich ein für verfolgte Christen, die im Gefängnis sind und wegen Blasphemie angeklagt sind."
Es sei sehr sehr schwierig ist, diese Menschen vor Gericht zu verteidigen, so Caspar von Wedel: "Wenn man da in Pakistan nicht als Verhafteter tätig wird, dann tut die Justiz gar nichts. Dann bleibt man bis in alle Ewigkeit dort. Und dann ist es ein Problem, dass die Anwälte, die sich in so einem Fall engagieren, wirklich unter hoher persönlicher Gefahr leben. Deshalb trauen sich da viele Anwälte nicht ran."
Pastor Masi, der pakistanische Partner der Stiftung, sei international viel unterwegs, sagt von Wedel. "Er schreibt mir dann immer das Problem, und dann sagt er: 'Beten Sie für uns.' Und dann weiß ich irgendwie schon Bescheid."
Und was kann die Öffentlichkeit für diese christliche Stiftung tun? "Darüber reden. Und dann zahlen", sagt Reymar von Wedel: "Spenden geben."

Reymar von Wedel: "Durch die Mauer. Als Anwalt für die Kirche"
epubli Verlag (Kindle), 2020
137 Seiten, 5,99 Euro

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